08.06.2014 | Römer 8,1+2+10+11 | Heiliges Pfingstfest
Pfr. Dr. Gottfried Martens

Wenn man die Glieder unserer Gemeinde, die früher Muslime waren, danach fragt, was der christliche Glaube für sie bedeutet, dann bekommt man immer wieder eine Antwort zu hören: „Azadeh“ – Freiheit! Das ist es, was sie nun im christlichen Glauben erfahren. Und das ist in der Tat richtig und wichtig. „Freiheit“ ist ein zentrales Thema unseres Glaubens, unserer christlichen Verkündigung, so macht es auch der Apostel Paulus in der Predigtlesung des heutigen Festtags deutlich. Allerdings muss man dann auch wissen, was mit „Freiheit“ im christlichen Glauben gemeint ist. Die Freiheit eines Christenmenschen besteht eben nicht bloß darin, dass ich Wodka trinken, Schweineschnitzel essen, schöne Frauen im Bikini anstarren und sonntags morgens im Bett liegen bleiben darf. Da geht es schon um mehr und um Tieferes, so zeigt es uns der Apostel Paulus hier, spricht davon, dass wir frei gemacht worden sind „von dem Gesetz der Sünde und des Todes“.

Was ist damit gemeint? Ich nenne zwei Erfahrungen aus dem Iran und Afghanistan und aus Deutschland: Im Iran und in Afghanistan haben viele von euch deutlich erfahren, dass der Islam in ganz besonderer Weise eine Gesetzesreligion ist: Alles wird genau in Gesetzen geregelt, was ein Mensch darf und was er nicht darf – und wenn er das dann doch macht, dann ist es Sünde. Doch das Spannende ist nun: Diese ganzen Gesetze führen ja nicht dazu, dass die Menschen dadurch bessere Menschen werden, dass das Zusammenleben in der Gesellschaft dadurch besser und liebevoller wird. Sondern diese Gesetze reizen die Menschen geradezu dazu, sie zu übertreten. Alkoholismus ist beispielsweise im Iran mittlerweile eine Volkskrankheit, sodass nun in Teheran gerade vor kurzem die erste Klinik zur Behandlung von Alkoholismus eröffnet worden ist – obwohl nach den Gesetzen des Islam niemand im Land überhaupt Alkohol trinken darf. Ja, Gesetze machen Menschen nicht besser, sondern erweisen sich immer wieder als Gesetz der Sünde und des Todes, rufen Übertretungen hervor, führen schließlich bis in den Tod, was im Iran und Afghanistan nun in besonders bedrückender Weise Realität wird.

In Deutschland gibt es eine andere Form von Gesetzlichkeit: Da steckt bei vielen Menschen die Vorstellung im Kopf: „Ich muss einfach nur ein anständiger Mensch sein, dann wird der liebe Gott mich schließlich schon in den Himmel lassen.“ Was für ein fataler Irrtum, zu glauben, man könne sich dadurch einen Platz im Himmel sichern, dass man in seinem Leben nichts mit der Polizei zu tun hat und sich ansonsten an bestimmte gesellschaftliche Regeln hält, immer anständig den Müll trennt und sich mit irgendwelchen Spenden von ökologischen Sünden freikauft! Und dabei reicht der Blick vieler noch nicht einmal bis zum Himmel, beschränkt sich der Horizont des anständigen Lebens auf die paar Jahre, die man hier auf Erden verbringt. Der Himmel wird dann verkürzt auf einige lustige Stunden hier auf Erden, darauf, dass am Ende des Lebens eine Reihe von Leuten bleibt, die einen in guter Erinnerung behalten. So sieht es hier in Deutschland aus: das Gesetz der Sünde und des Todes.

Ja, der Tod, er setzt unserer Freiheit enge Grenzen, so erleben wir es alle miteinander, so erleben es Menschen im Iran und Afghanistan genauso wie in Deutschland. Angst hat man davor, über den Tod zu reden, weil man mit ihm nicht fertig wird, weil er alle unsere menschlichen Bemühungen in Frage stellt. Viele von euch haben mir erzählt, wie dunkel und traurig im Iran Beerdigungen sind, wie oft sie von dieser Vorstellung geprägt sind, dass der Mensch im Normalfall am Ende in der Hölle landet. Hier in Deutschland versucht man bei Beerdigungen nicht selten, den Tod ein wenig aufzuhellen, etwa durch bunt bemalte Särge oder irgendwelche Schnulzen, die vom Tonband abgespielt werden, weil die anwesende Trauergemeinde zum Singen nicht mehr in der Lage ist. Doch auch wenn man eine Trauerfeier nett zu gestalten versucht und der Redner noch so viele schöne Anekdoten aus dem Leben des Verstorbenen zum Besten gibt – es ändert nichts daran, dass eine solche Trauerfeier letztlich trostlos bleibt, wenn der Tod alle weiteren Lebensperspektiven radikal abschneidet.

Auf diesem Hintergrund reden wir als Christen von der Freiheit, die uns im Glauben geschenkt ist, von der Freiheit, zu der uns Christus befreit hat. Ich muss nicht versuchen, durch die Einhaltung aller möglichen Gesetzesvorschriften vielleicht doch noch der Hölle zu entkommen, ich darf mich fröhlich verabschieden von dem Irrglauben, Gott mit meinem kleinbürgerlichen Anstand beeindrucken zu können. Frei werde ich nicht dadurch, dass Gott die Anforderungen etwas herunterschraubt, Alkohol in Maßen, den einen oder anderen Seitensprung und einmal im Monat sogar einen Besuch bei McDonalds erlaubt. Im Gegenteil: Gott führt uns zunächst einmal dahin, dass wir erkennen, dass wir mit all unseren Bemühungen, uns durch unser Tun den Himmel zu sichern, scheitern müssen und scheitern werden. Wir schaffen es nicht, in den Himmel zu kommen, jedenfalls nicht in den echten und nicht bloß in die verschiedenen mehr oder weniger spießigen Himmelsersatzangebote, die uns hier auf Erden gemacht werden.

Und dann beginnen wir zu erahnen, wie ganz neu, wie ganz anders die Freiheit ist, die uns als Christen geschenkt wird. Und diese Freiheit ist unlöslich verbunden mit einer Person, mit ihm, Jesus Christus. Frei bin ich einzig und allein „in Christus Jesus“, verbunden mit ihm. Denn wenn ich in ihm bin, dann muss ich nichts mehr tun, um in den Himmel zu kommen, dann bin ich hier und jetzt schon im Himmel, weil dieser Himmel er, Christus, in Person ist. Ich muss keine Angst mehr davor haben, im letzten Gericht Gottes verurteilt, verdammt zu werden, denn wenn Gott auf mich blickt, dann sieht er Jesus Christus, der mich umhüllt wie ein Gewand, der mich schützend in sich birgt und mich aufatmen lässt. Nein, nichts tue ich als Christ mehr, um in den Himmel zu kommen, alles tue ich, weil ich in Christus Jesus und mit ihm im Himmel bin. Und in Christus Jesus, verbunden mit ihm, muss ich auch keine Angst mehr haben vor dem ewigen Tod, denn wenn umgekehrt Christus in uns wohnt, dann wohnt der in mir, der stärker ist als der Tod, dann werde ich in der Kraft seines Geistes auch für immer und in Ewigkeit leben, dann muss bei meiner Beerdigung der Tod nicht schön geredet oder verdrängt werden, dann darf da ein Osterfest gefeiert werden, bei dem nicht der Mensch gerühmt wird, sondern der, der Jesus von den Toten auferweckt hat und auch uns auferwecken wird.

Ja, ein freier Mensch bin ich, ganz gewiss. Aber ich bin es einzig und allein, weil ich mit Christus verbunden bin, weil Gottes Geist mein Leben erfüllt. Niemals bin ich in mir selber frei, ohne Christus, ohne den Heiligen Geist. Und wenn ich meine, mich aus dieser Verbindung mit Christus, mich von den Kraftquellen des Heiligen Geistes lösen zu können, dann verspiele ich meine Freiheit, dann gerate ich wieder in den Bann der Mächte, die mich wieder unter das Gesetz der Sünde und des Todes zwingen wollen.

Liebe Schwester, lieber Bruder, nimm es ganz ernst, was der Apostel Paulus hier schreibt. Das klingt alles beim ersten Hinhören ziemlich abstrakt und hat doch so direkt mit deinem Leben zu tun: Frei bist du nur in der Gemeinschaft mit Jesus Christus. Frei bist du nur, wenn deine Taufe das wichtigste Ereignis deines Lebens ist und bleibt. Frei bist du nur, wenn du dir von Christus immer wieder die Schuld und das Versagen deines Lebens abnehmen lässt und ihn selber, seinen Leib und sein Blut als Arznei des ewigen Lebens empfängst. Frei bist du nur, wenn du dich von Gottes Geist in deinem Leben leiten lässt, wenn du auf das Wort der Heiligen Schrift hörst, das von diesem Geist gewirkt ist, wenn du dich nicht leiten lässt, von dem, was alle anderen denken, sondern einzig und allein von Gottes guter, befreiender Botschaft.

Ja, die Freiheit, die wir als Christen haben, ist und bleibt immer eine umkämpfte Freiheit. Es warten da in unserem Leben genügend Geiselnehmer, die uns die Freiheit rauben wollen: der alte Mensch in uns, wie Paulus ihn nennt, diese Stimme in uns, die uns einreden will, wir würden durch Christus unsere Freiheit verlieren, wir könnten ohne ihn freier sein. Und da ist natürlich auch der Teufel, der uns einredet, wir müssten doch wieder Angst vor dem Tod haben, müssten versuchen, in diesem Leben so viel wie möglich zu erleben, weil man doch nur dies eine Leben hat – und da wäre es dann ja lauter Zeitverschwendung, allzu oft in die Kirche zu gehen und die Gemeinschaft mit Christus zu suchen!

Ja, alleine hätten wir gegen diese Geiselnehmer keine Chance. Aber er wohnt doch in uns, der Geist Gottes, der Geist Jesu Christi, der Heilige Geist. Er ist keine blasse Idee, sondern der Herr, der lebendig macht, so haben wir es eben wieder im Nizänischen Glaubensbekenntnis bekannt. Und dieser Herr, der ist stärker als diese Geiselnehmer, der schenkt und erhält uns immer wieder neu die Freiheit, die diesen Namen wirklich verdient, die Freiheit von der Angst vor Gottes Gericht, die Freiheit von dem Zwang, uns selber den Himmel zu verdienen, die Freiheit von der Anklage unseres Gewissens, die Freiheit vor der Macht des ewigen Todes.

Verstehst du das alles? Nein, du brauchst es nicht alles zu verstehen, kannst es auch gar nicht – ich übrigens auch nicht. Der christliche Glaube ist nicht eine Theorie, die man verstehen kann oder muss. Sondern christlicher Glaube ist Lebensgemeinschaft mit Christus – er, Christus, in uns und wir in ihm: und mit ihm und in ihm der Heilige Geist, der da ist, wo Christus ist. Klinke dich aus dieser Lebensgemeinschaft bloß nicht aus, bleibe dran an Christus, an der Speise seines Leibes und Blutes! Dann hast du, was Christus dir schenken will und schenkt: Freiheit – Azadeh! Amen.