21.05.2014 | 2. Samuel 6,12-16.20-22 | Mittwoch nach Kantate
Pfr. Dr. Gottfried Martens

Während des Abschiedsgottesdienstes von Kardinal Meisner in Köln sprang Ende letzten Jahres eine junge Dame auf den Altar des Kölner Doms, entblößte ihren Oberkörper und rief dabei ein paar wirre Sätze. Was die ganze Aktion sollte, war nicht so ganz nachvollziehbar; doch eines hatte die besagte Dame von vornherein erkannt: Wenn sich jemand während eines Gottesdienstes in der Kirche nackt auszieht und vor der Gemeinde herumturnt, dann erregt das Aufsehen, dann kam man damit die Gefühle von gläubigen Christen besonders stark verletzen.

Von einem Menschen, der nackt vor der Gemeinde herumspringt, ist auch in der Predigtlesung des heutigen Abends die Rede. Allerdings sind die Motive dieses Menschen völlig andere als die jener Femen-Aktivistin im Kölner Dom. Der Mensch, um den es hier in unserer Predigtlesung geht, will nicht provozieren, will erst recht nicht verletzen, will im Gegenteil gerade seine Freude und Ehrfurcht Gott gegenüber zum Ausdruck bringen.

Um König David geht es hier in unserer Lesung. Noch nicht lange war es her, seit er König von ganz Israel geworden war, seit er Jerusalem erobert und zur neuen Hauptstadt seines Reiches gemacht hatte. Doch im Zentrum dieser neuen Hauptstadt sollte nun nicht er, der König, sollte auch nicht der Königspalast stehen. Im Zentrum der neuen Hauptstadt sollte allein der wahre König Israels, sollte allein Gott selber stehen. Und so veranlasst David zuerst einmal, dass die Bundeslade nach Jerusalem in die neue Hauptstadt geholt wird, die Bundeslade, in der sich die Tafeln mit den Zehn Geboten befanden und die gleichsam als Thronsitz Gottes galt, als Ort seiner Gegenwart. Gott soll mitten unter seinem Volk wohnen, darum geht es David. In einer feierlichen Prozession wird die Bundeslade nach Jerusalem gebracht, mit feierlichen Opfern, die dargebracht werden, unter Klängen von Gesängen und eines anständigen Posaunenchors. David selber führte diese Prozession an, bekleidet mit einem leinenen Priesterschurz, heißt es hier. Er nimmt also bei dieser Prozession die Funktion des Priesters wahr. Offenbar trug David auch nicht viel mehr als diesen Priesterschurz um seine Lenden. Und was dann genau passierte, lässt sich aus der Schilderung aus dem 2. Samuelbuch nur ansatzweise erkennen. „David tanzte mit aller Macht vor dem HERRN her“, heißt es hier. So viel ist also klar: David begnügt sich nicht damit, feierlich und gemessenen Schrittes vor der Bundeslade herzugehen, sondern die Freude über die Gegenwart Gottes inmitten seines Volkes, über den Einzug Gottes in seine Stadt Jerusalem, die packt den David so sehr, dass er anfängt zu tanzen. Das war sicher kein langsamer Walzer, da ging es offenkundig schon heftiger zur Sache. Ob die Bevölkerung bei diesem sehr bewegten Tanz des David etwas mehr von dem zu sehen bekam, was sich bei David unter dem Priesterschurz verbarg, als er dies normalerweise zur Schau gestellt hätte, oder ob David bei seinem Tanz sich vielleicht tatsächlich ganz entblößte und ganz nackt tanzte als Ausdruck seiner Demut gegenüber dem großen Gott, wissen wir nicht. Solche Nackttänze gab es damals im religiösen Umfeld von Israel durchaus; sie brachten zum Ausdruck, dass der Mensch nichts hat, womit er die Gottheit beeindrucken könnte. Wie auch immer die Szene damals genau ausgesehen haben mag – so ganz üblich und normal war die Performance von David bei dieser Prozession wohl doch nicht. Jedenfalls bekommt er, als er nach der Prozession nach Hause zurückkommt, von seiner Ehefrau Michal eine heftige Abreibung: Voller Hohn und Spott spricht sie ihn darauf an, wie unmöglich das doch gewesen sei, dass David sich als König so vor seinem Volk entblößt habe. Doch David lässt sich diese Abreibung nicht einfach gefallen: Er besteht darauf, dass es gut und richtig ist, voller Freude vor Gott zu tanzen, voller Freude vor diesem Gott, der ihn zum König erwählt hat. Und er besteht darauf, gerade auch als König zeigen zu dürfen, dass er vor Gott genauso nackt und bloß dasteht, wie jeder andere Mensch auch.

Hat uns diese Geschichte heute irgendetwas zu sagen? O ja, eine ganze Menge! Da ist zunächst einmal die Freude Davids über die Gegenwart Gottes inmitten seines Volkes. Gott bindet sich an äußere Zeichen, und dort, wo er dies tut, ist er tatsächlich da, haben die, die seine Nähe erfahren dürfen, tatsächlich allen Grund zum Jubel und zur Freude. Nein, keine Sorge, ich habe nicht vor, mir jetzt gleich hier am Altar die Kleider vom Leibe zu reißen und vor euch einen liturgischen Nackttanz aufzuführen. Und ich wäre euch sehr verbunden, wenn ihr darauf heute auch verzichten würdet. Aber wenn es uns ein wenig von den Sitzen reißen würde, wenn wir wahrnehmen, was auch heute wieder hier in unserer Mitte geschieht, dann wäre das gar nicht schlecht. Das kann man nicht einfach nur irgendwie zur Kenntnis nehmen, dass der lebendige Gott hier in unsere Mitte kommt, verborgen in einem Stück Brot und einem Schluck Wein. Da ist es schon das Mindeste, dass wir vor diesem Wunder auf die Knie gehen, da tun wir gut daran, uns zu verneigen, tun wir auch gut daran, fröhlich zu singen, wenn er, der Herr, bei uns Einzug hält. Ja, der David kann uns mit seinem Tanz dazu bewegen, selber uns immer wieder auf den Weg zu machen, um das Wunder seines Kommens hier zu erleben. Und er kann uns dazu bewegen, hier beim Gottesdienst nicht einfach Zuschauer zu sein, sondern mitzufeiern mit allem, was wir haben und sind.

Ja, freuen dürfen wir uns alle miteinander, dass wir nicht an einen fernen Gott glauben müssen, der weit weg von uns bleibt, sondern der wirklich in unserer Mitte ist. Aber diese Freude kann dann durchaus auch unterschiedliche Formen annehmen. Jeder von uns hat dann auch wieder seine besondere Weise, seinen Glauben an Christus auszudrücken – manche eher nach außen gewandt, manche eher nach innen gewandt, manche so, dass sie liturgische Zeichen und Gesten schätzen, manche so, dass sie andere Formen ihrer Freude verwenden, manche so, dass sie gerne die klassischen Lieder der Kirche singen, manche so, dass andere Lieder und Melodien ihre Frömmigkeit eher ansprechen. Gewiss, wichtig ist, dass wir alle miteinander um das Wunder wissen, das sich hier auf dem Altar immer wieder neu ereignet. Aber keiner von uns hat das Recht dazu, über die Formen und das Verhalten, womit andere ihren Glauben an Christus zum Ausdruck bringen, zu richten oder sich gar darüber lustig zu machen wie damals die Michal, die Frau von David. Das verletzt, das tut weh, wenn das, was einem persönlich so lieb und wichtig ist, von anderen mit Spott belegt wird, erst recht von solchen, die es eigentlich besser wissen müssten. Achten wir einander also auch in unserer Gemeinde, freuen wir uns darüber, wenn Menschen auch auf unterschiedliche Weise ihre Freude über Christus zum Ausdruck bringen! Denken wir dabei immer wieder an den tanzenden David! Gewiss, wir sollten vermeiden, was andere zu leicht ablenken, ihnen zu leicht Anstoß erregen könnte. Aber dann lasst uns alle zuerst und vor allem auf Christus schauen, auf sein Kommen, ja lasst uns einander Gehilfen der Freude sein, jeder auf seine Weise. Wir haben doch noch viel mehr Grund zum Feiern und Tanzen als David damals. Wir kennen ihn doch, den einen Sohn Davids, der uns vom Tod und von der Hölle gerettet hat. Ja, Martin Luther hat es schon ganz richtig gedichtet: „Nun freut euch, lieben Christen gmein, und lasst uns fröhlich - springen!“ Amen.