11.05.2014 | Apostelgeschichte 17,22-34 | Jubilate
Pfr. Dr. Gottfried Martens

Am Samstag, dem 6. September, findet in unserer Stadt wieder die Lange Nacht der Religionen statt. Angemeldet hierzu haben sich bereits unter anderem das Tibetische Buddhistische Zentrum, der Sri Ganesha Hindu Tempel, das Sufi-Zentrum Rabbaniyya, der Orden der Schwestern der Perpetuellen Indulgenz, eine Vereinigung lesbischer Nonnen, das Lotos-Vihara Meditationszentrum, die Quäker, die Johannische Kirche, die Neuapostolische Kirche, Eckankar, die Religion vom Licht und Ton Gottes, die Gemeinschaft der Selbstverwirklichung, die Religion Abrahams, die Gesellschaft zur Förderung des Koran- und Arabischunterrichtes, die Herrnhuter Brüdergemeine und die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. In unserem Pfarrkonvent hatten wir uns überlegt, ob auch wir uns an dieser Langen Nacht der Religionen beteiligen sollten, hatten dann aber doch sehr eindeutig festgestellt, dass wir uns eigentlich nicht gerne als beliebiges religiöses Angebot in dieser illustren Gesellschaft präsentiert sehen wollen.

Der Apostel Paulus sah sich damals in Athen vor eine ganz ähnliche Frage gestellt: Sollte er öffentlich auftreten auf dem Areopag, dort, beim Religionsministerium, das darüber entschied, welche neuen Götter in Athen verehrt werden durften? Sollte er sich der Gefahr aussetzen, einfach nur als Vertreter eines neuen exotischen Religionsangebots angesehen zu werden, in seinem Anspruch überhaupt nicht ernstgenommen zu werden von seinen Zuhörern? Paulus riskiert den Gang auf den Areopag, riskiert es, missverstanden, ja auch ausgelacht zu werden. Und er fängt mit seiner Rede ganz geschickt an. Er erwähnt die Religiosität der Athener, was diese sehr erfreut haben dürfte, und kommt dann gleich auf ein ganz besonderes Phänomen zu sprechen: Allen möglichen Göttern hatten die Athener Heiligtümer und Altäre errichtet; aber es könnte ja sein, dass sie doch irgendeinen Gott dabei übersehen hatten und dieser Gott dann sauer oder zornig werden könnte, weil er nicht angemessen verehrt wurde. Und so hatten die Athener dann auch vorsichtshalber sogar gleich mehrere Altäre für unbekannte Götter aufgestellt, um auf diese Weise auf Nummer Sicher zu gehen. Und daran knüpft der Apostel hier nun an, allerdings auf eine ganz eigene Weise: Denn ganz forsch erklärt er: „Nun verkündige ich euch, was ihr unwissend verehrt.“ Ja, all die anderen Altäre, die ihr hier aufgestellt habt, die taugen ohnehin nichts. Es gibt nicht viele Götter, sondern nur den einen Gott – und von dem hattet ihr bisher keine Ahnung. Wobei der Ausdruck „keine Ahnung“ so ganz auch wieder nicht stimmt. Denn eine Ahnung hatten sie, die Athener, schon, so wie alle Menschen: Es gibt ihn, den einen Gott, der nicht nur ein Produkt unserer Wünsche ist. Es gibt ihn, den einen Gott, dem die ganze Welt, dem alles Leben, dem nicht zuletzt auch der Mensch seine Existenz verdankt. Und dieser eine wahre Gott, der steht als Schöpfer seiner Schöpfung gegenüber, ist nicht ein Teil von ihr, ist nicht auf Verehrung oder Unterstützung durch Menschen angewiesen. Aber er ist eben auch nicht fern von seiner Schöpfung, hat sich als Schöpfer so sehr in seine Schöpfung eingebracht, dass Paulus hier einen griechischen Dichter zitieren kann: Wir Menschen sind göttlichen Geschlechts. Doch Gott bleibt zugleich Gott, lässt sich nicht binden an irgendwelche Bilder und Kunstwerke, will nicht, dass Menschen von solchen Bildern erwarten, was sie doch nur von ihm allein, dem lebendigen Gott, erwarten können.

Zur Umkehr ruft Paulus im Namen dieses unbekannten und doch zugleich wahren, lebendigen Gottes die Zuhörer auf dem Areopag auf. Doch er begnügt sich nicht mit der Kritik an irgendwelchen Götzenbildern. Er kommt nun in seiner Predigt auf das Entscheidende zu sprechen, nein: auf den Entscheidenden, auf ihn, Jesus, auf ihn, den Gott von den Toten auferweckt hat. Erst als Paulus an diese Stelle kommt, wird es für die Zuhörer so richtig spannend: Dass das mit den vielen Göttern ziemlicher Quatsch ist, dass auch der Glaube an Götter Quatsch ist, die sich da oben auf dem Olymp, dem Götterberg, benehmen wie pubertierende Jugendliche, das war vielen gebildeten Athenern mittlerweile auch ohne die Predigt des Apostels schon klar. Aber was Paulus dann als Alternative benennt: den Glauben an Jesus Christus, den Gott von den Toten auferweckt hat, das kam bei seinen Zuhörern damals zumeist gar nicht so gut an: Was für ein Blödsinn: Auferstehung der Toten! Die Leute sollen doch froh sein, wenn sie mit ihrem Tod endlich aus dem Gefängnis ihres Körpers befreit werden und nur noch als reine Seele weiterexistieren können! Doch auch damals in Athen gab es eben auch die anderen, diejenigen, die Paulus bitten, noch einmal weiterzuerzählen, diejenigen, denen durch die Verkündigung des Paulus schließlich der Glaube an Christus geschenkt wird: ein Mitglied des Stadtrats namens Dionysius und eine Frau namens Damaris, die dort in der neu entstehenden Athener Gemeinde wohl auch weiterhin eine wichtige Rolle spielte.   

Nein, groß war der Erfolg, den Paulus in Athen mit seiner Verkündigung zu verzeichnen hatte, nach menschlichen Maßstäben wahrlich nicht. Und doch: Wie gut, dass er sich damals auf den Areopag gestellt hat, wie gut für Dionysius und Damaris, wie gut auch für uns, die wir von ihm lernen können, wie wir unseren Glauben gegenüber Menschen bezeugen können, die anderen Religionen anhängen oder selber gar nicht wissen, wo und wie sie religiös eigentlich verortet sind.

Ja, Menschen haben eine Ahnung von Gott. Das gilt auch heute noch. Das gilt für Menschen hier in Deutschland, die sich zwar kaum in der Kirche blicken lassen, aber vorsichtshalber doch nicht ganz austreten – man weiß ja nicht, ob da nicht doch was ist, und da ist es dann schon besser, wenn man es sich mit diesem höheren Wesen nicht so ganz verdorben hat! Das gilt für all diejenigen, die zwar vom christlichen Glauben nichts mehr wissen wollen, aber auf alles mögliche Esoterik-Geschwurbel sofort hereinfallen. Und das gilt auch für den Islam. Nein, man kann natürlich nicht einfach sagen, dass Allah der Gott ist, an den wir Christen glauben. Schließlich betont der Islam, man glaube nicht an einen Gott, der einen Sohn hat – also ist der Gott, an den man in dieser Religion glaubt, nicht der Vater Jesu Christi. Aber eine Ahnung von diesem unbekannten Gott, über dessen wahres Wesen man im Islam so wenig erfährt, haben Muslime eben wohl doch, so zeigt es uns Paulus hier.

Aber wer dieser Gott wirklich ist, das erfahren sie eben nicht aus dem Koran. Das muss ihnen erst noch gesagt werden. Ja, auch Muslime wissen etwas davon, dass Gott der Schöpfer der ganzen Welt ist. Sie wissen auch und betonen es, dass es Unsinn ist, Gott in der Form eines Götzenbildes zu verehren. Aber so ganz kommen sie selber von solchen Vorstellungen auch nicht los, pilgern nach Mekka und verehren dort einen schwarzen Stein, der doch eigentlich zu ihrer Vorstellung von Gott so gar nicht passt – ein Stück heidnischer Volksglaube, der auch im Islam zu finden ist, der ansonsten vor solchen Vorstellungen doch immer so sehr warnt. Und genauso erleben wir es hier in Deutschland, wie selbst recht gebildete Leute, wie auch Menschen, die selber Christen sein wollen, alle möglichen Formen von Aberglauben pflegen, immer in der Hoffnung, damit alle möglichen bösen Geister austricksen zu können. Was für ein Irrglaube!

Doch wie fehlgeleitet ein solcher Glaube ist, darauf kommt man selber eben nicht, solange einem nicht die Augen dafür geöffnet werden durch die Verkündigung des einen, den der den meisten so unbekannte Gott in diese Welt geschickt hat, damit wir Menschen ihn, Gott, richtig kennenlernen können. Von diesem Jesus Christus muss die Rede sein, wenn wir als Christen unseren Glauben bezeugen. Wir können ihn nicht eben mal ein wenig verschämt unter den Tisch fallen lassen, wenn wir mit Angehörigen anderer Religionen, wenn wir vor allem auch mit Muslimen sprechen. Wir können uns nicht mit der Mogelpackung zufrieden geben, dass sowohl der Islam als auch das Christentum doch eine abrahamitische Religion sei. Abrahamitisch, sich auf Abraham berufend, das reicht eben nicht. An Christus führt kein Weg vorbei, wenn wir unseren Glauben bekennen, an ihm, der für uns gestorben und auferstanden ist.

Wenn wir uns also auf die Marktplätze unserer heutigen Zeit begeben, dann macht das keinen Sinn, wenn wir uns nur als Spezialisten zur Befriedigung religiöser Bedürfnisse betätigen. Entweder wagen wir wie Paulus den Eklat, sprechen klar und eindeutig von Jesus Christus, von seiner Auferstehung – oder wir sollten es lieber mit öffentlichen Auftritten ganz bleiben lassen. Wir sind als Christen doch keine Wellness-Berater. Es geht doch in unserem Glauben um nicht weniger als darum, ob wir einmal in Gottes Gericht gerettet werden, weil wir ihn, unseren Herrn, als unseren Retter erkannt und an ihn geglaubt haben. Ja, das Zeugnis von Jesus Christus, dem auferstandenen Herrn, schulden wir eben auch unseren muslimischen Mitmenschen. Sie brauchen ihn doch auch, weil sie nur durch ihn gerettet werden. Dass Muslime schon etwas von dem Schöpfer und von Gottes Gericht wissen, kann nicht schaden. Umso deutlicher werden sie dann den Unterschied zwischen dem Islam und dem christlichen Glauben erkennen: Es geht schlicht und einfach darum, ob wir versuchen müssen, mit unserem guten Tun, mit unseren guten Werken einen letztlich unbekannten Gott gnädig zu stimmen, oder ob wir durch den Glauben an Jesus Christus ins rechte Verhältnis zu Gott gesetzt werden. Dass Gott in Jesus Christus so nahe zu uns kommt, dass er uns liebt, dass er uns am Ende nicht in die Hölle verdammen, sondern ins ewige Leben führen will, das ist in der Tat eine ganz wunderbare Botschaft – nicht zuletzt auch für Muslime. Wagen wir uns also heraus aus unseren Zimmern und Wohnungen, scheuen wir uns nicht, anderen Menschen von Jesus Christus zu erzählen! Was darauf wird, das dürfen wir ganz Gott überlassen. Hauptsache, wir verstecken uns mit unserer Botschaft nicht. Wir wissen doch, was so viele noch nicht wissen: Wer Gott ist und wie er ist: keiner, vor dem wir Angst haben müssen, sondern einer, der uns geschaffen hat, damit wir für immer voller Freude mit ihm leben. Einer, dem wir so wichtig sind, dass er seinen Sohn für uns hat am Kreuz sterben lassen. Ja, diese Botschaft wirkt Glauben, wirkt Freude, lässt Menschen frei werden. So hat es Paulus damals auf dem Areopag erfahren, und so erfahren wir es heute auch, hier in Steglitz. Amen.