17.04.2014 | Hebräer 2,10-18 | Gründonnerstag
Pfr. Dr. Gottfried Martens

Vor einigen Tagen las ich eine anrührende Geschichte: Ein 14jähriger polnischer Junge lag nach einem Autounfall mehrere Monate im Koma. Die Ärzte gaben ihm schon keine Chance mehr. Doch seine Eltern gaben nicht auf: Immer wieder setzten sie ihm Kopfhörer auf und spielten ihm die Reportagen von Toren seines Lieblingsfußballspielers Cristiano Ronaldo vor. Und siehe da: Bei einem dieser Treffer wachte der Junge völlig überraschend auf und jubelte mit. Als Cristiano Ronaldo diese Geschichte hörte, lud er den Jungen zum Spiel von Real Madrid gegen Borussia Dortmund ein, empfing ihn danach persönlich und schenkte ihm das Trikot, das er im Spiel getragen hatte. Der Junge konnte sein Glück nicht fassen und hörte gar nicht mehr auf, vor Freude zu weinen.

Um eine noch viel bewegendere Begegnung geht es am heutigen Abend in diesem Gottesdienst zum Tag der Einsetzung des Heiligen Altarsakraments: Da trifft nicht bloß ein Fußballfan seinen Lieblingsspieler, dem er viel zu verdanken hat, sondern da trifft kein Geringerer als der Herr der Welt mit Menschen zusammen, die ihm nicht nur viel, sondern alles überhaupt zu verdanken haben. Ja, genau das geschieht hier und heute in unserer Mitte, geschieht nun gleich wieder, wenn wir das Heilige Mahl feiern, für dessen Stiftung wir Christus an diesem Abend in ganz besonderer Weise danken. Eben dafür will uns auch der Verfasser des Hebräerbriefes in unserer heutigen Predigtlesung die Augen öffnen. Wenn wir gleich das Heilige Mahl feiern, so macht er es uns deutlich,

-    dann begegnen wir Gott auf Augenhöhe
-    dann werden wir nicht mehr von der Furcht beherrscht
-    dann wird uns in unserer Not geholfen

I.
Das war sicher ein großer Moment für den 14jährigen Dawid, als er sein großes Idol einmal aus der Nähe sehen durfte, einmal mit ihm für ein paar Minuten zusammen sein durfte. Doch die Begegnung dauerte nur ein paar Minuten; dann war Cristiano Ronaldo wieder weg, fuhr wieder in seine eigene Welt, unerreichbar für den normalen Fußballfan, und Dawid blieb zurück mit den schönen Erinnerungen an eine besondere Begegnung.  

Hier am Altar erleben wir heute Abend viel Größeres: Da kommt, wie gesagt, nicht bloß ein Fußballstar zu uns, sondern der, dem Cristiano Ronaldo seine Existenz verdankt, ja, dem wir alle unsere Existenz verdanken. Nein, er, durch den das ganze Weltall geschaffen ist, schaut nicht bloß ein paar Minuten bei uns vorbei und verschwindet dann wieder. Sondern er, der Sohn Gottes, hat sich ganz auf unsere Augenhöhe begeben, ist ganz einer von uns geworden, so dürfen wir heute Abend wieder neu staunend erkennen. Fleisch und Blut hat er angenommen, unser Menschsein, hat es selber erfahren, was es heißt, zu leiden, was es heißt, angefochten und versucht zu sein, was es heißt, verhaftet zu werden, was es heißt, ausgepeitscht und gefoltert zu werden, was es heißt, sterben zu müssen. Nicht von oben herab behandelt uns Christus, der Sohn Gottes, sondern ganz auf Augenhöhe, nennt uns nicht seine Diener, sondern seine Brüder, erschlägt uns nicht mit dem Glanz seiner Herrlichkeit, sondern kommt zu uns ganz klein, verborgen in einem Stück Brot und einem Schluck Wein. Aber eben darin finden wir wirklich ihn, leibhaftig, ihn, der Fleisch und Blut angenommen hat, nicht nur vorübergehend, sondern für immer und ewig. Nein, Christus verschwindet nicht wieder nach einigen Minuten von uns, sondern er lebt mit seinem Fleisch und Blut in uns, distanziert sich nicht wieder von uns, sondern bleibt in uns, bleibt an unserer Seite als unser Bruder, hilft uns, die Wege zu gehen, die vor uns liegen. Der lebendige Gottessohn – unser Bruder: So geht Gott mit uns um, so zeigt er uns seine Liebe, so lässt er sie uns heute Abend erfahren hier im Heiligen Mahl.

II.
Doch nun kommt Christus heute Abend nicht bloß zu uns, um unsere Neugier zu befriedigen, um uns ein besonderes persönliches Erlebnis zu bescheren. Sondern er kommt, um uns zu freien Menschen zu machen, zu Menschen, die sich nicht von der Furcht vor dem Tod beherrschen und knechten lassen.

Ach, wie aktuell, wie passend ist diese Beschreibung unserer menschlichen Situation, die der Verfasser des Hebräerbriefs hier in unserer Predigtlesung liefert: Unfrei sind wir, Knechte, getrieben von der Furcht vor dem Tod, getrieben von der Furcht, etwas im Leben zu verpassen, nicht genügend mitzubekommen. Furcht vor dem Tod – sie steht unbewusst und unausgesprochen hinter der Jagd so vieler Jugendlicher nach immer neuen Kicks: Es könnte ja sein, dass es da etwas gibt, was ich noch nicht ausprobiert habe und vielleicht bald schon nicht mehr ausprobieren kann. Furcht vor dem Tod – sie steht unbewusst und unausgesprochen hinter der Frustration und Depression so vieler Asylsuchender in unserem Land: Da sitzen wir jahrelang in unseren Heimen herum, verpassen die besten Jahre unseres Lebens, ja, das Leben rinnt uns zwischen unseren Fingern dahin. Furcht vor dem Tod – sie steht unbewusst und unausgesprochen hinter den Versuchen von uns Menschen, unser Leben immer weiter zu beschleunigen, immer mehr unterzubringen in den paar Jahren, die uns noch bleiben. Und Furcht vor dem Tod ist es, die so viele Menschen davon abhält, sich realistisch mit ihrer eigenen Zukunft zu beschäftigen, die sie verdrängen lässt, was auf sie zukommen mag, selbst wenn es schließlich auf das Sterben zugeht.

Der Teufel macht sich diese Furcht vor dem Tod zunutze, so deutlich formuliert es der Hebräerbrief hier. Er versucht, uns in dieser Furcht festzuhalten, dass wir uns ja nur damit beschäftigen, was wir in dieses Leben alles hineinpacken können, und meinen, wir hätten keine Zeit, auf die gute Botschaft zu hören, die uns von dieser Furcht befreien könnte.

Doch nun kommt er heute Abend in unsere Mitte, er, der mit seinem Tod am Kreuz unserem Tod den Schrecken genommen hat, er, der am Kreuz die Macht des Teufels gebrochen hat. Er kommt in den Gestalten von Brot und Wein und will uns eben damit befreien, befreien von der Herrschaft der Furcht vor dem Tod in unserem Leben. Wer den Leib und das Blut des gekreuzigten und auferstandenen Christus empfängt, empfängt damit die Speise des ewigen Lebens, das Heilmittel der Unsterblichkeit. Ja, wer den Leib und das Blut seines Herrn hier am Altar empfängt, der darf befreit nach vorne blicken, der weiß, dass dieses Leben hier und jetzt nicht alles ist, sondern gerade einmal der Anfang eines Lebens in der ewigen herrlichen Freiheit der Kinder Gottes, ja, der lässt sich nicht länger treiben von der Angst, im Leben etwas zu verpassen. Aufatmen darfst du hier am Altar: Dein Tod ist nicht mehr das Ende deiner Hoffnungen; Christus, der Sieger über den Tod, verbindet sich mit dir, lässt schon hier und jetzt in deinem Leben die Ewigkeit beginnen. Ja, Christus schlägt dem Teufel heute Abend sein wichtiges Unterdrückungsinstrument aus der Hand, führt dich wie einst das Volk Israel an diesem Abend wieder neu aus der Knechtschaft in die Freiheit.

Cristiano Ronaldo mag damals den 14jährigen Dawid aus dem Koma herausgeholt haben. Vom Tode retten konnte und kann er ihn dennoch nicht. Doch Christus kann dies, macht dies mit dir heute Abend. Ja, wie viel Größeres darfst du heute Abend hier in dieser Kirche erleben als jener jugendliche Fußballfan vor einigen Wochen in Madrid!

III.
Doch noch sind wir nicht am Ziel angekommen; noch sind wir unterwegs. Und solange wir unterwegs sind, stehen wir in der Gefahr, dass wir vom Weg zu diesem Ziel abkommen, dass uns unsere Sünde und Schuld, unser Versagen gegenüber Gottes Geboten daran hindert, dieses Ziel schließlich auch zu erreichen.

Doch genau darum ist Christus unser Hoherpriester geworden, so formuliert es der Hebräerbrief hier, ja, er ist Priester und Opfer zugleich: Er opfert sich selbst für uns am Kreuz, gibt sein Leben für uns in den Tod, damit uns unsere Sünde nicht länger von Gott trennt. Und als Hoherpriester tritt er nun für uns vor Gott ein, betet für uns, nimmt uns wieder auf in die Gemeinschaft mit Gott. Ja, Christus weiß, was es heißt, angefochten zu sein, weiß, was es heißt, versucht zu werden. Und eben darum gibt er uns nicht auf, wenn wir vom Wege abzukommen drohen, staucht uns nicht zusammen, wenn wir schuldig geworden sind, sondern hilft uns mit großer Barmherzigkeit wieder zurecht. Genauso darfst du es heute Abend hier am Altar wieder erleben: Christus schickt dich nicht weg, weil ihm irgendwann mal die Geduld ausgeht; Christus schickt dich nicht weg, weil er nicht dazu bereit wäre, dir zum hundertsten Mal dieselben Sünden zu vergeben. Er ist und bleibt barmherzig, gibt dir immer wieder und auch heute Anteil an seinem Opfer, dir zugut, schenkt dir auch heute wieder seine Vergebung. Und zugleich hilft er dir dabei, dranzubleiben an ihm, schenkt er dir die Kraft, den Weg mit ihm weiterzugehen und sich durch nichts und niemand darin beirren zu lassen.

Lass die Begegnung mit Christus hier am Altar darum ja kein einmaliges Erlebnis bleiben. Du brauchst diese Begegnung immer wieder neu. Dafür hat Christus sein Heiliges Mahl ja gestiftet, dass du es jedes Mal empfängst, wenn er dich an seinen Altar einlädt. Er will dir helfen, er will dich retten, dich zum Leben führen. Dafür hat er seinen Leib geopfert und sein Blut vergossen, dafür macht er sich jetzt gleich wieder ganz klein, jawohl: für dich! Amen.