02.03.2014 | Jesaja 58,1-9a | Estomihi
Pfr. Dr. Gottfried Martens


Wie fastet man richtig? Schwestern und Brüder: Es mag sein, dass vielen von euch diese Frage reichlich abgedreht vorkommt: Wieso sollte mich das interessieren, wie man richtig fastet? Ich muss doch gar nicht fasten! Also brauche ich dazu auch keine Ratschläge.

Es gibt allerdings viele unter uns, für die war die Frage, wie man richtig fastet, vor noch gar nicht langer Zeit eine ganz wichtige Frage, eine Frage, die von beinahe lebenswichtiger Bedeutung sein konnte. Wer es wagte, im Iran oder Afghanistan während des Fastenmonats Ramadan tagsüber in der Öffentlichkeit zu essen, zu trinken oder zu rauchen, musste mit massiven auch körperlichen Strafen rechnen. Ja, im Islam ist es genau vorgeschrieben, wie man richtig fastet: Während des Fastenmonats darf man vom Beginn der Morgendämmerung an bis zum Abend eben nichts essen, nicht trinken, nicht rauchen, auch keinen Geschlechtsverkehr haben. Kurz vor der Morgendämmerung muss man noch einmal etwas essen, um während des Tages durchzuhalten. Wer sich an diese Bestimmungen hält, hat eindeutig bessere Chancen, am großen Tag des Gerichts schließlich nicht in der Hölle zu landen.

Doch gefastet wird eben nicht nur im Islam. Gefastet wird auch hier in Deutschland; ja Fasten wird hier in unserem Land im selben Maße immer beliebter, wie die Wohlstandsbäuche wachsen. Unzählige Fastenkuren und Fastenwochen werden bei uns angeboten, 1588 Bücher zum Thema „Fasten“ werden bei Amazon im Internet angeboten  – und alles dient dabei dem eigenen Wohlbefinden, der Selbsterfahrung: kurzum, dem höchsten Heil und Glück, das viele Menschen sich in ihrem Leben überhaupt vorstellen können.

Es gibt natürlich auch noch das christliche Fasten. Die Fastenzeit, die am kommenden Mittwoch beginnt, erinnert uns daran. Doch eine sehr große Bedeutung hat dieses Fasten im Bewusstsein der meisten Kirchglieder nicht mehr: Entweder wird es zum Anlass genommen, sich mal wieder einer dringend nötigen Gewichtsreduktion zu unterziehen, oder aber es ist eine Übung für liturgische Feinschmecker, die sich noch genau an die kirchlichen Fastenregeln vergangener Zeiten erinnern und diese mit dem ihnen eigenen Stilempfinden für sich selber aufgreifen.

Ja, ganz unterschiedliche Formen des Fastens gibt es. Und doch stehen diejenigen, die diese Formen praktizieren, immer wieder in derselben Gefahr: Dass es ihnen nämlich bei ihrem Fasten nur um sich selber geht, um ihr eigenes Wohlbefinden oder auch um die Verbesserung ihres Verhältnisses zu Gott.

Und genau das ist nun auch das Thema der Predigtlesung dieses heutigen Sonntags vor den Fasten: Gefastet wurde damals auch in Israel; man ging in Sack und Asche, quälte sich selber und erwartete davon, mit diesen Bekundungen der eigenen Frömmigkeit den lieben Gott schwer beeindrucken zu können, dass der dann anschließend auch genau das machte, was man von ihm erwartete. Doch Gott spielt dieses Spiel nicht mit. Statt von den Fastenauftritten seines Volkes zu Tränen gerührt zu sein, schickt Gott den Israeliten einen Propheten, und der redet mit seinem Volk Klartext, macht ihm im Auftrag Gottes deutlich, was er von diesem liturgisch gewiss ganz korrekten Fasten hält – nämlich gar nichts.

Und warum hält Gott von diesem Fasten nichts? Ist er etwa gegen Fasten, findet er Fasten blöde oder überflüssig? Keineswegs. Im Gegenteil: Gott bringt seinem Volk, bringt damit auch uns hier in unserer Predigtlesung bei, wie man tatsächlich richtig fastet. Ja, das bringt er uns bei, weil dieses richtige Fasten für ihn nicht bloß ein nettes Hobby ist, kein Schmankerl für traditionsbewusste Christen. Nein, in diesem richtigen Fasten kommt vielmehr zum Ausdruck, ob wir eigentlich verstanden haben, wer Gott ist, was er für uns tut und was er von uns und für uns will.

Ja, Gott regt sich kräftig über das Fasten seines Volkes damals auf. Weshalb? Weil die Leute allen Ernstes glaubten oder zumindest so taten, als könnten sie mit ihrem Fasten, mit ihren guten Werken ihr Verhältnis zu ihm, Gott, in Ordnung bringen. ja, weil die Leute bei ihrem Fasten tatsächlich nur um sich selber kreisten, um ihren Vorteil, den sie sich von ihrem Fasten erhofften. Was für ein Wahnsinn zu glauben, man könne mit dem Anziehen von Sackgewändern, man könne mit dem Verzicht auf Süßigkeiten, Fleisch oder Alkohol, man könne überhaupt mit irgendwelchen Frömmigkeitsübungen etwas für das eigene Seelenheil tun! Ja, wenn das so einfach wäre, dann hätte es sich Jesus natürlich auch ersparen können, sich ans Kreuz nageln zu lassen; dann wäre es für ihn sinnvoller gewesen, sich als Ernährungsberater zu betätigen!

Ja, Wahnsinn ist es ohnehin, zu glauben, wir könnten Gott mit unseren guten Werken beeindrucken. Aber erst recht ist es natürlich Wahnsinn, sich selber vor Gott als fromm und gerecht hinzustellen und es zugleich im Alltag an Liebe und Barmherzigkeit gegenüber anderen Menschen fehlen zu lassen. Ja, es ist schon erstaunlich, woran Gott hier die Abtrünnigkeit, die Sünde seines Volkes festmacht: daran, dass es so tut, als ob der Umgang mit dem Nächsten nichts mit dem Glauben zu tun hätte, daran, dass es glaubt, der Umgang mit den Ärmsten und Schwächsten in der Gesellschaft habe nichts mit seiner Beziehung zu Gott zu tun. Ja, daran, dass die Reichen ihren Arbeitern den gerechten Lohn vorenthalten und sie damit in Unfreiheit halten, dass sie mit allen Mitteln versuchen, ihren eigenen Vorteil gegenüber den Schwächeren zu sichern, daran, dass sie konsequent an der gewiss oft genug abstoßenden Not derer vorbeischauen, die eigentlich auf ihre Hilfe angewiesen wären. Wer sich mit seinem Fasten nur auf sich selber und Gott konzentriert, an dessen Fasten hat Gott in der Tat kein Gefallen, ja, dessen Gottesdienste ekeln Gott an, wie er es in der alttestamentlichen Lesung des heutigen Sonntags formuliert.

Nein, Schwestern und Brüder, wir brauchen doch nicht zu fasten, um Gott gnädig zu stimmen. Wir brauchen nicht zu fasten, um Gott dazu zu bewegen, dass er sich uns naht, wie es die Israeliten damals dachten. Gott ist uns doch schon längst nahe gekommen in seinem Sohn Jesus Christus. Er ist zu uns Sündern gekommen, hat unser kaputtes Verhältnis zu ihm, Gott, in Ordnung gebracht, als er für uns am Kreuz gestorben ist. Nein, ich faste nicht, um etwas bei mir oder bei Gott zu erreichen, sondern ich faste, weil Gott bei mir schon längst erreicht hat, was er wollte, weil er mich schon längst zu seinem geliebten Kind gemacht hat.

Und dann muss ich eben nicht mehr beim Fasten zuerst und vor allem darauf achten, was mir das bringt. Ja, dann muss ich beim Fasten noch nicht einmal zuerst mein Verhältnis zu Gott bedenken. Dafür hat Christus schon das Nötige getan. Sondern dann kann ich mich auf Gottes Anleitung zum rechten Fasten einlassen, ohne Angst zu haben, ich würde etwas verpassen oder verlieren. Ja, ich gebe zu: Was Gott uns hier als Anleitung zum rechten Fasten gibt, ist ganz schön konkret, das bleibt nicht schön allgemein: Nun gut, das mit der Ausnutzung von Arbeitern für Hungerlöhne ist vielleicht nicht unbedingt unser größtes Problem, jedenfalls nicht unbedingt auf der Seite der Täter. Diejenigen, die sich diese Worte Gottes anhören und zu Herzen nehmen sollten, jawohl auch in unserem Land, die sitzen nicht unbedingt heute hier in der Kirche. Aber dass wir dem Hungrigen unser Brot brechen, das rückt dann schon näher an uns heran. Gott erwartet von uns in der Tat, dass wir nicht bloß ein wenig von unserem Überfluss abgeben, sondern auf einen Teil von dem verzichten, was auch wir eigentlich scheinbar zum Leben brauchen. Gott erwartet von uns, dass wir uns Menschen zuwenden, die weniger haben als wir – und das erwartet er nicht nur von Deutschen, die eine einigermaßen ausreichende Rente haben, das erwartet er durchaus auch von Asylbewerbern. Gott erwartet von uns in der Tat, dass wir Menschen bei uns aufnehmen, die ohne Obdach sind, denen Asyl anderswo verwehrt wird. Gott erwartet von uns, dass wir uns von der Bedürftigkeit von Menschen nicht abstoßen lassen, sondern ihre Not aushalten und ihr ins Auge sehen. Ja, Gott erwartet von uns, dass wir Menschen nicht nach ihrem Geburtsort beurteilen, sondern sie nur nach einem einzigen Maßstab beurteilen: ob sie unser Fleisch und Blut sind.

Das ist das Fasten, das uns von Gott aufgetragen ist, das Gott von uns erwartet. Ja, wir wissen, wie sehr wir selber immer wieder daran scheitern – aber kleine Schritte versuchen wir hier in unserem Missionsprojekt doch zu gehen, machen uns daran, zu teilen, abzugeben an die, die weniger haben als wir, machen uns daran, Menschen bei uns aufzunehmen, die dringend auf Obdach und Asyl angewiesen sind, versuchen, nicht wegzuschauen, wenn es um unser Fleisch und Blut geht, das aus dem Iran oder Afghanistan hierher nach Deutschland geflohen ist.

Nein, wir tun das nicht, um den Himmel zu kommen. Aber Gott verspricht uns, dass es uns gut tut, dass unsere Heilung voranschreitet, wenn wir dieses Fasten, das Gott uns verordnet, bei uns praktizieren. Würden wir alles, was uns angeblich zusteht, nur für uns haben wollen, würden wir unsere Türen vor Menschen in Not verschließen, würden wir anfangen zu sortieren, wer scheinbar zu uns passt und wer nicht, dann wären wir eine kranke Gemeinde. Doch Gott möchte, dass unser Licht hervorbricht wie die Morgenröte, dass Menschen durch das, was in unserer Mitte geschieht, auf seine Liebe aufmerksam werden, möchte uns erleben lassen, dass wir dann auch in unserer Not nicht vergeblich zu ihm rufen. Ja, Gott möchte, dass es uns richtig gut geht; darum leitet er uns zu diesem Fasten an. Macht ihr dabei mit – nicht nur in den kommenden sieben Wochen? Amen.