25.12.2013 | Galater 4,4-7 | Heiliges Christfest
Pfr. Dr. Gottfried Martens

Sieht sie nicht schön aus, die Krippe unterhalb der Kanzel? Ja, eine solche Krippendarstellung gehört einfach mit dazu zu einer weihnachtlich gestalteten Kirche. Wir sind hier eben nicht in einer Moschee, in der es streng verboten wäre, Menschen bildlich darzustellen, geschweige denn den Sohn Gottes selber, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegend. Doch als Christen haben wir eben diese Freiheit, Bilder und Figuren zur Verkündigung des christlichen Glaubens zu gebrauchen, ja, haben wir die Freiheit, auch ihn, Christus, den Gottessohn, bildlich darzustellen, eben weil Gott Mensch geworden ist, sichtbar, erkennbar, darstellbar. Ja, auch unsere schöne Krippe predigt die Geburt von Jesus Christus im Stall von Bethlehem – und die persische Delegation, die sich aus dem Morgenland auf den Weg zur Krippe begeben hat, ist auch schon zu sehen.

Ja, Krippendarstellungen sind eine besondere Form der christlichen Verkündigung – und doch sind sie zugleich nicht mehr als bloß Standbilder, erzählen nur einen kleinen Ausschnitt aus einer größeren Geschichte, können als Standbilder entsprechend auch missverstanden werden, tauchen dann auch an allen möglichen Stellen auf, wo sie sicher nicht so sehr der Verkündigung dienen als vielmehr der Anregung vorweihnachtlicher Kauffreude oder der Erzeugung einer besonderen Form von Gemütlichkeit.

Krippendarstellungen sind nur Standbilder; es gibt ein Davor und ein Danach – genau darum geht es auch in der Predigtlesung des Heiligen Christfestes. Ja, auch in dieser Predigtlesung ist von einer Geburt die Rede, nein, nicht von irgendeiner Geburt, sondern von eben dieser Geburt, die auch unsere Krippendarstellung bezeugt. Aber bevor es dazu in Bethlehem kam, war bereits eine Menge passiert, was sich in solch einer Darstellung gerade nicht abbilden lässt.

Um diese Krippendarstellung wirklich zu begreifen, muss man nämlich in der Tat bei Adam und Eva anfangen, bei der Abwendung der ersten Menschen von Gott. Frei wollten sie sein, frei von der Bevormundung durch Gottes Gebot. Doch genau das Gegenteil erreichten sie: Unfrei wurden sie gerade dadurch, dass sie meinten, sie könnten sich von Gottes Gebot emanzipieren, könnten selber sein wie Gott. Seitdem leben wir Menschen getrennt von Gott, unter der Knechtschaft der Sünde und des Todes. Was für eine Katastrophe, die wir Menschen uns da eingebrockt haben, die jeder Mensch in seinem Leben für sich nachvollzieht! Was für ein Verhängnis, unfrei zu sein und sich aus dieser Unfreiheit selber nicht befreien zu können! Was für eine entsetzliche Perspektive, wenn uns am Ende unseres Lebens nichts anderes erwartet als nur der ewige Tod!

Gott jedenfalls war nicht cool genug, um bei dieser Katastrophe einfach nur ungerührt zuzuschauen; er war und ist nicht dazu in der Lage, einfach wegzublicken und zu sagen: „Selbst schuld!“ Irgendwann konnte er einfach nicht mehr, war das Maß bei ihm voll, so voll, dass er sich nicht mehr zurückhalten konnte und wollte, dass er sich einmischen musste, um selber in Ordnung zu bringen, was wir Menschen so verbockt hatten. So sehr hatten wir Menschen uns in unsere Unfreiheit, in unser Unglück hineingeritten, dass es für Gott schon eine ganz schön schwierige Operation war, um uns da wieder rauszuholen. Da reichte es nicht, irgendeinen Boten, irgendeinen Propheten zu schicken, da musste Gott schon selber ran, musste seinen eigenen Sohn schicken mitten in unsere Katastrophensituation hinein, mitten hinein in das Leben in der Unfreiheit, mitten hinein in das Leben, das vom Tod gezeichnet ist. Nur so konnte Gott seinen Rettungsplan durchführen, nur so konnte er sich daran machen, uns aus unserer Lage zu befreien.

Schau dir daraufhin noch einmal die Krippe an: Nein, es ist nicht einfach bloß eine romantische Darstellung: ein kleines, süßes Baby in einem urigen Stall. Sondern dieses Baby hat eine Vorgeschichte; der da liegt, ist kein anderer als der, der die Welt geschaffen hat und der sich nun auf den Weg begeben hat, um uns zu befreien. Dieses Baby liegt da in der Krippe, weil Gott in seiner Liebe unsere Abwendung von ihm nicht länger ertragen konnte. Ja, dieses Baby liegt da in der Krippe mit nur einem Lebensziel: zu sterben für dich und für mich – am Kreuz.

Und damit sind wir schon beim Anderen: Die Geschichte, die diese Krippe hier erzählt, endet nicht in Bethlehem, die endet auch nicht einige Jahre später auf dem Hügel von Golgatha, die endet auch nicht mit der Auferstehung dieses Kindes in der Krippe aus dem Grab in Jerusalem. Diese Geschichte geht immer weiter, bis heute, ja sie führt direkt hinein hier in diese Kirche, führt einige Meter weiter von dieser Krippendarstellung hin zu diesem Taufstein, den man jetzt zu Weihnachten neben dem Weihnachtsbaum so leicht übersehen mag. Ja, genau darum hat das Kind damals in der Krippe von Bethlehem gelegen, genau darum hat sich der Sohn Gottes in solch einen stinkenden Futtertrog legen lassen, damit du ein freier Mensch wirst, damit du Kind Gottes wirst, ein Mensch, der sich den Weg in den Himmel nicht mit seinen guten Werken erarbeiten muss, sondern der schon längst Erbe bei Gott ist, schon längst wieder den freien Zugang zu Gott hat. Ja, genau das ist am Tag deiner Taufe geschehen, genau das ist bei so vielen von euch geschehen an eben diesem Taufstein, der hier in der Kirche steht: da ist Gottes große Rettungsaktion, die er im Stall von Bethlehem gestartet hatte, bei dir, in deinem Leben, ans Ziel gekommen. Du brauchst keine Angst zu haben vor Gott, brauchst dich nicht zu fürchten vor seiner Strafe, brauchst dich nicht zu fürchten vor dem ewigen Tod. Du brauchst dich nicht länger treiben zu lassen von der Furcht, in deinem Leben etwas zu verpassen, weil du zurzeit nichts tun, nichts arbeiten darfst. Du brauchst dich nicht länger treiben zu lassen von der Frage, was andere Leute wohl über dich denken, wie sie dich wohl einschätzen. Du bist Kind Gottes – Größeres kann man von keinem Menschen sagen. Du bist Erbe bei Gott, steinreich, hast einen Schatz im Himmel, den dir niemand nehmen kann. Selbstbewusst darfst du durchs Leben gehen, als ein freier Mensch, als ein Mensch, der zunächst und vor allem einen freien Zugang zu Gott hat, ihn jederzeit als Abba, als „Papa“, als „Papi“ anreden darf. Ja, so darfst du Gott anreden in der Kraft des Heiligen Geistes, den Gott dir in deiner Taufe geschenkt hat.

Ja, schau sie dir an, die Krippe hier unter der Kanzel, und dann schau auf dich selber, und fang an zu staunen: Ja, für mich hat dieses Kind da gelegen, für mich hat der Sohn Gottes da gelegen, damit ich auch Kind Gottes werde, damit ich sein Bruder, seine Schwester werde, damit ich genauso ewig leben darf wie er. Schau sie dir an, die Krippe unter der Kanzel, und lass dich durch sie an deine neue Geburt erinnern, an deine Taufe, durch die Gott dich zu solch einem reichen Menschen gemacht hat! Dazu ist er selber ganz arm geworden, dazu hat er sich in Windeln wickeln lassen, damit du frei bist und bleibst, in alle Ewigkeit. Gib diese Freiheit nur niemals auf, lass sie dir immer wieder schenken von dem Kind in der Krippe, wenn du ihm begegnest, auch heute wieder, hier an seinem Altar! Da bist du dann mitten dabei beim Happy End der Geschichte, die damals an Weihnachten begonnen hat. Amen.