11.12.2013 | Offenbarung 2,1-7 | Mittwoch nach dem zweiten Advent
Pfr. Dr. Gottfried Martens

Er liegt schon hinter der Kirche für den Heiligen Abend bereit: Der Weihnachtsbaum, den wir am 24. Dezember wieder hier in unserer Dreieinigkeitskirche aufstellen werden. Das Aufstellen von Weihnachtsbäumen hat hier in Deutschland mittlerweile solch eine Bedeutung gewonnen, dass Menschen, die erst einmal vom christlichen Glauben keine Ahnung haben, denken mögen, wir würden hier zu Weihnachten so etwas wie ein Baumfest feiern, würden wohl als Christen irgendwelche heiligen Bäume verehren. Statt zu Weihnachten werden die Weihnachtsbäume hier in Deutschland seit einigen Jahren nun schon in der Adventszeit, ja zum Teil sogar schon am Ewigkeitssonntag aufgestellt. Doch die wenigsten Menschen wissen eigentlich noch, warum wir das eigentlich machen: Es hängt mit der Predigtlesung des heutigen Abends zusammen, mit dem Brief, den der erhöhte Christus damals vor gut 1900 Jahren an die Christen in Ephesus hat schreiben lassen. Darin verspricht er denen, die ihm treu bleiben, die bei ihm bleiben, dass sie einmal essen werden von dem Baum des Lebens, der im Paradies Gottes steht.

An diesen Baum des Lebens kamen Adam und Eva nicht mehr heran, seit sie aus dem Paradies vertrieben wurden, an diesen Baum des Lebens kam kein Mensch mehr heran, seit wir Menschen uns von Gott getrennt hatten und nicht mehr dazu in der Lage waren, diese Trennung von Gott zu überwinden, wieder mit Gott zusammenzukommen. Doch Gott wollte eben nicht, dass wir Menschen für immer von ihm getrennt blieben, er wollte nicht, dass uns am Ende unseres Lebens einfach nur der ewige Tod erwartete. Und so ließ er seinen eigenen Sohn Mensch werden, ließ ihn geboren werden als kleines Kind in Bethlehem. Und eben damit überwand er den tiefen Graben, der uns von Gott trennte, schloss uns wieder neu die Tür zum Paradies auf. „Heut schließt er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis“, so werden wir es darum in einigen Tagen wieder singen. Ja, wir dürfen wieder Anteil haben am Baum des Lebens – einmal am Ende unseres Lebensweges hier auf Erden, aber auch jetzt schon, wann immer wieder das Heilige Mahl empfangen, Leib und Blut Christi unter den Gestalten von Brot und Wein. Und darum hängte man an die Weihnachtsbäume früher auch Oblaten, Lebkuchen, die an die Hostie des Heiligen Abendmahls erinnerte, an die Speise des ewigen Lebens, die wir dort empfangen.

Nicht auf ein Baumfest, nicht auf ein Fest der Besinnlichkeit und der Geschenke ist also unser Leben ausgerichtet, sondern auf die Feier des Lebens in der ewigen Gegenwart unseres Herrn Jesus Christus. Nein, das ist nicht selbstverständlich; daran müssen wir immer wieder neu erinnert werden. So war es auch schon damals bei den Christen in Ephesus:
Mit großer Begeisterung hatten sie sich damals dem christlichen Glauben zugewandt, hatten ihren neu geschenkten Glauben mit großer Freude praktiziert und sich durch nichts und niemand davon abbringen lassen, das Wort Christi zu hören und ihm selber zu begegnen im Heiligen Mahl, hatten sich durch nichts und niemand davon abbringen lassen, diese gute Botschaft auch anderen Menschen weiterzusagen und den Brüdern und Schwestern in der christlichen Gemeinde mit Liebe zu begegnen. Doch so ganz allmählich war diese erste Begeisterung aus der Gemeinde gewichen, der Alltag war eingekehrt; was früher einmal das Allerwichtigste im Leben gewesen war, verblasste allmählich; andere Beschäftigungen im Alltag schienen dann doch wieder wichtiger zu sein. Ja, natürlich hatte man sich nicht ganz von der Gemeinde abgewandt, machte weiter mit, aber die erste Liebe zu Christus, die erste Freude über ihn war längst vorbei. Und das wirkte sich dann auch in der Gemeinde aus, im Umgang mit den Schwestern und Brüdern, dass auch hier von dieser ersten Liebe nicht mehr viel übrig blieb, dass man sich nicht mehr freute über diejenigen, die neu in die Gemeinde kamen, sondern eigentlich am liebsten unter sich blieb. Doch dem, um den es doch eigentlich in dieser Gemeinde geht, der der eigentliche Herr der Gemeinde ist, ist eben dies nicht egal: Klartext spricht Christus hier in seinem Brief an die Gemeinde in Ephesus, formuliert ganz direkt: „Ich habe gegen dich, dass du die erste Liebe verlässt. So denke nun daran, wovon du abgefallen bist, und tue Buße, kehre um!“ Wenn du aus der Gemeinde nur noch einen Club machst, in dem man nette Geselligkeit pflegt, wenn ich, Christus, für euch nur noch ein nettes Hobby bin, wenn ihr euch vielleicht noch am Weihnachtsbaum erfreut, aber nicht mehr an mir, dann steht ihr in der Gefahr, dass ihr das eigentliche und größte Fest eures Lebens verpasst: die Feier des ewigen Lebens mit dem Baum des Lebens im Paradies Gottes!

Schwestern und Brüder: Die Adventszeit, die wir gerade begehen, ist eben nicht einfach bloß eine Vorweihnachtszeit. Sondern sie ist zuerst und vor allem Bußzeit, Zeit, in der wir über uns und über unser Leben nachdenken sollen: Wie sieht es mit der ersten Liebe bei uns in unserem Leben aus? Prägt die Freude über Christus, über seine Lebenshingabe für uns am Kreuz, immer noch unser Leben? Oder ist der Glaube an ihn auch für uns längst zu einer Routine geworden? Ja, stehen wir vielleicht gar in der Gefahr, den Glauben an Christus auch bei uns zur schönsten Nebensache der Welt werden zu lassen? Hat sich auch in unserem Leben Anderes vor ihn, Christus, geschoben, vor die Begegnung mit ihm in seinem Heiligen Mahl? Ist uns noch klar, dass es in der Kirche darum geht, dass Menschen zum ewigen Leben gerettet werden, freuen wir uns von daher noch über einen jeden, der den Weg in unsere Mitte findet, oder stehen wir auch in der Gefahr, zu einem Club werden zu wollen, in dem neu Hinzukommende eigentlich nur stören? Ja, prägt die Liebe, die wir von Christus empfangen, unseren Umgang mit unseren Brüdern und Schwestern, oder ist uns ihr Geschick letztlich schon egal geworden, empfinden wir es vielleicht gar als lästig, sich näher damit zu befassen?

Schwestern und Brüder: Ich empfinde es als einen besonderen Segen für unsere Gemeinde, dass diejenigen Geschwister in unserer Mitte, die aus dem Iran und Afghanistan stammen, uns wieder neu anstecken mit dieser ersten Liebe, mit dieser ersten Freude über Christus, die sie in ihrem Leben erfahren. Das tut auch den einheimischen Christen richtig gut. Doch die Warnung unseres Herrn Jesus Christus gilt auch denen, die neu in unsere Gemeinde hinzukommen: Gebt die erste Freude über Christus nicht auf, bleibt in seiner Liebe, lasst Christus nicht nach der ersten Begeisterung bald wieder an den Rand eures Lebens rücken! Es geht doch um euer ewiges Leben!

Hören wir darum immer wieder auf das Wort unseres Herrn, lassen wir uns von ihm immer wieder den Blick weiten hin auf das eigentliche Ziel unseres Lebens und hin auf die Brüder und Schwestern neben uns, die unsere Liebe und Zuwendung brauchen! Nein, nie und nimmer können wir uns selber das ewige Leben verdienen; nie und nimmer können wir selber die erste Liebe zu Christus in uns wieder neu entzünden. Das kann nur Christus selber mit seiner frohen Botschaft, mit seiner Vergebung, mit den Gaben seines Heiligen Mahles. Bleiben wir darum immer nur dran an ihm. Dann werden auch wir tatsächlich einmal für immer essen dürfen vom Baum des Lebens, dort, wo es einmal keine Weihnacht mehr geben wird, weil es überhaupt keine Nacht mehr geben wird, sondern nur noch Licht ohne Ende – bei ihm, Christus, der dich auch heute wieder einlädt zu sich. Amen.