14.04.2013 | St. Johannes 21,15-19 | Misericordias Domini
Pfarrer Dr. Gottfried Martens

„Konfirmation ist geil“ – so hatte es einer unserer Konfirmanden am letzten Sonntag nach dem Gottesdienst auf der Facebook-Seite unserer Gemeinde eingetragen. Ich hätte selber möglicherweise ein anderes Adjektiv verwendet; aber davon abgesehen habe ich mich über diese Eintragung natürlich sehr gefreut, denn ich weiß, dass es jedem der 24 Konfirmanden am letzten Sonntag nicht zuerst und vor allem um irgendwelche Geschenke ging, sondern in der Tat darum, Ja zu sagen zum Geschenk der Taufe, Ja zu Christus, zum Leben mit ihm, und für dieses Leben mit Christus gesegnet zu werden.

Aber nun ist schon wieder eine Woche bei unseren Konfirmanden vorbei – und bei den meisten anderen von uns ist der Tag der Taufe, der Tag der Konfirmation sogar schon länger vorbei. Der Alltag ist wieder eingekehrt. Und damit stellt sich dann eben auch die Frage: Ist auch Misericordias Domini noch „geil“, bleibt es für uns wichtig, was wir bei unserer Konfirmation, bei unserer Taufe bekannt haben, oder rückt das alles nun doch bald wieder in Vergessenheit?

Genau um diese Frage geht es auch in der Predigtlesung des heutigen Sonntags: Bleiben wir auch dann an Christus dran, wenn uns so vieles daran zu hindern scheint? Eine Begegnung zwischen dem auferstandenen Christus und Petrus, dem Verleugner, wird uns hier im letzten Kapitel des Johannesevangeliums geschildert, und darin wird uns zugleich Mut gemacht, Mut, dranzubleiben an Christus
- trotz unserer Schuld
- trotz der Pastoren
- trotz allen Leids

I.
Da stand eine ganze Menge zwischen Petrus und Christus, als die beiden sich am See Genezareth nach der Auferstehung Jesu wiedertrafen: Dreimal hatte Petrus wenige Tage zuvor ihn, Christus, verleugnet, hatte erklärt, dass er für immer von Gott verflucht sein wolle, wenn er diesen Jesus jemals gekannt haben sollte. Was für ein Schlag ins Gesicht für ihn, Jesus, der doch auch für Petrus gerade sein Leben in den Tod gab!

Und nun stehen sich die beiden wieder gegenüber. Doch Jesus wartet nicht darauf, dass Petrus nun zu einer großen Entschuldigungsrede ansetzt, dass er irgendwie versucht, das alles zu erklären oder sich da herauszureden. Jesus weiß: Wenn er nicht die Initiative ergreift, wenn er nicht den ersten Schritt macht, dann kommt der Petrus aus dieser Nummer nicht mehr raus, dann besteht die Gefahr, dass das Verhältnis zwischen ihm, Petrus, und ihm, Jesus, auf die Dauer belastet, ja zerstört bleibt.

Und nun hört euch an, wie Jesus mit dem Versagen des Petrus umgeht: Er stellt ihn nicht vor den anderen Jüngern bloß, er macht ihn nicht zur Schnecke wegen seiner Feigheit, er stellt einfach nur eine Frage: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Simon – so hatte er ihn auch bei seiner ersten Begegnung angeredet. Und nun – nun gibt er ihm die Möglichkeit zum Neuanfang, gibt ihm die Möglichkeit, sich wieder neu zu ihm zu bekennen, wieder neu mit ihm zu leben.

Genau so geht Jesus auch mit uns um. Es mag sein, dass es da auch in unserem Leben Schuld gibt, mit der wir uns nicht mehr unter die Augen unseres Herrn trauen. Doch wir brauchen keine Angst vor ihm zu haben. Er staucht auch uns nicht zusammen, wendet sich nicht von uns ab, schenkt auch uns wieder die Möglichkeit des Neuanfangs, führt uns wieder zurück zur Ursprungssituation unserer Taufe. Und es mag in unserem Leben auch geschehen, dass wir ihn verleugnen, dass wir vielleicht nicht nur mal kneifen, wo ein Bekenntnis zu unserem christlichen Glauben erforderlich gewesen wäre, sondern dass wir uns in unserem Leben vielleicht auch einmal richtig von ihm abwenden. Doch Jesus gibt uns nicht auf. Er nagelt uns nicht auf unsere Abkehr von ihm fest, sondern spricht uns an, will uns immer wieder Brücken bauen, um zu ihm zurückkehren zu können.

Und immer wieder ist es die eine Frage, die er an uns richtet, unser ganzes Leben lang: Hast du mich lieb? Das ist die eigentlich entscheidende Frage unseres Lebens, die Frage, von der her sich alle weiteren Entscheidungen in unserem Leben ergeben. Jesus macht uns keine Vorschriften, wie oft wir bitteschön zum Gottesdienst zu kommen haben. Er fragt uns einfach: Hast du mich lieb? Wenn wir darauf wie Petrus antworten können: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe, dann haben wir auf die Frage, wie wichtig uns die Begegnung mit ihm im Gottesdienst ist, auch schon gleich eine Antwort gegeben. Ja, um Liebe geht es in unserem christlichen Glauben immer wieder und zuerst: um die Liebe, mit der Jesus selber uns unser Versagen vergibt, um die Liebe, mit der er uns umfängt, und um die Liebe zu ihm, die er eben damit in uns schafft, um die Liebe, die sich dann auch in unserem Alltag auswirkt. „Liebe – und dann tu was du willst“, so hat es einmal der heilige Augustinus formuliert. In der Tat: Wenn wir Jesus lieb haben, dann wird das unser Leben, unser Handeln prägen. Habe sie darum stets im Ohr, die Frage deines Herrn: Hast du mich lieb? Er fragt dich, um dich in seiner Nähe zu halten, ein Leben lang.

II.
Aber nun muss es nicht immer nur unsere Schuld, unser Versagen sein, das uns in die Gefahr bringt, die Verbindung zu Christus zu verlieren. Manch einer tut sich auch darum schwer, an Christus dranzubleiben, weil der Pastor ihm dabei im Wege steht, weil der ihm einen Anstoß bereitet.

Bemerkenswertes wird uns hier in unserer Predigtlesung berichtet: Christus, der gute Hirte, vertraut seine Schafe, die, die zu ihm gehören, tatsächlich einem anderen an, ja, ausgerechnet dem Petrus, ausgerechnet diesem Versager, der gerade zuvor gezeigt hat, wie wenig Verlass auf ihn ist, ausgerechnet diesem Versager, der nichts Anderes kann als zu stammeln, dass er doch ihn, Jesus, trotz all seines Versagens lieb hat. Der soll nun der Hirte der Herde sein, der soll nun die Schafe Jesu weiden. Das klingt doch wahnsinnig, das kann doch gar nicht gut gehen, möchte man meinen. Doch mit diesem Petrus hat Jesus im Weiteren tatsächlich seine Kirche gebaut, hat ihm den Auftrag zum Weiden, zum Hirtendienst nicht wieder entzogen, sondern ihn tatsächlich tun lassen, was doch eigentlich die Aufgabe des guten Hirten selber ist.

Was Jesus damals mit dem Petrus gemacht hat, macht er heute immer noch: Er ruft Menschen in den Hirtendienst, die dafür doch eigentlich gar nicht geeignet erscheinen, Menschen, deren Schwachheit, deren Versagen so offensichtlich sind, dass sie einem doch direkt ins Auge springen. Ja, es fällt nicht schwer, das Versagen der Hirten, die Christus berufen hat, zu benennen und zu beschreiben und es ihnen unter die Nase zu reiben, und es scheint nur allzu naheliegend zu sein, sich eben darum letztlich eben auch von Christus selber zu distanzieren, wenn er den Menschen solch ein Bodenpersonal zumutet.

Doch unsere heutige Predigtlesung leitet uns dazu an, tiefer und weiter zu blicken: Dass die Hirten, die die Gemeinde weiden, Versager sind, darüber muss überhaupt nicht diskutiert werden. Und doch ist in ihrem Dienst, so unvollkommen er auch ausgeführt werden mag, Christus selber gegenwärtig, üben sie diesen Dienst eben nicht bloß als Privatpersonen, sondern in der Vollmacht Christi aus. An dieser Predigt, die ihr gerade hört, mag man nach den Regeln menschlicher Redekunst so manches auszusetzen haben. Und doch weidet Christus selber euch dadurch nun, hilft euch dadurch, bei ihm zu bleiben. An der menschlichen Art eines Pastors mag einen manches stören; doch da, wo er im Auftrag Christi sich Gemeindegliedern zuwendet, ist es Christus selber, der euch sucht und findet und in seiner Gemeinschaft festhält.

Und umgekehrt soll ein Hirte, der seinen Dienst im Auftrag Christi ausübt, eben niemals auf die Idee kommen zu meinen, es seien seine Schafe, die er da weidet. Es sind und bleiben die Schafe Christi, es bleibt seine Herde, der er mit seinem Hirtenamt dient. Niemals soll und darf er darum die Schafe an seine Person binden, alles soll er tun, damit die, die ihm anvertraut sind, nicht ihn mit dem guten Hirten Jesus Christus verwechseln können. Keiner von euch ist ein Schaf von Pastor Büttner oder von mir. Ihr gehört alle zur Herde Jesu Christi, ganz gleich, wer euch auch als Hirte dienen mag. Aber eben darum lasst euch auch durch keinen Pastor von eurer Zugehörigkeit zu Christus abbringen. Es ist und bleibt nun einmal die Art unseres Herrn, mit Versagern seine Kirche zu bauen.

III.
Und dann kündigt Christus hier dem Petrus am Ende unserer Predigtlesung auch noch an, dass sein Leben einmal so enden wird, dass er nicht mehr selber entscheiden wird, wohin er geführt wird, sondern seine Hände gebunden werden an den Kreuzesbalken, den er zu seiner Hinrichtung zu schleppen hat. Christus verspricht dem Petrus also gerade nicht, dass das Leben in seiner Nachfolge für ihn immer nur problemlos und einfach sein wird, dass es nur Erfolge und Glücksmomente mit sich bringt. Sondern er kündigt ihm ganz nüchtern an, dass das Leben in seiner Nachfolge Leiden, Kreuz und Tod bedeutet.

Dass das Leben in der Nachfolge Jesu sehr direkt ins Leiden, in die Verfolgung, ins Gefängnis, ja in den Tod führen kann, davon können viele Glieder unserer Gemeinde aus ihrem eigenen Leben so manches berichten und erzählen. Sie können damit auch uns helfen, uns von eben dieser Illusion zu befreien, als könne man am Verlauf unseres Lebens immer gleich ablesen, dass es sich lohnt, an Jesus Christus zu glauben. Menschlich gesprochen ist oft genau das Gegenteil der Fall, müssen gerade Christen immer wieder erfahren, was es heißt, geführt zu werden, wohin man eigentlich gar nicht will. Lassen wir uns darum nicht davon irritieren, wenn unser Leben ganz anders verläuft, als wir dies geplant haben und uns selber vorgestellt haben. Leiden, Enttäuschungen, Schicksalsschläge sind kein Beleg dafür, dass Christus uns verlassen hätte oder dass es sich nicht lohnen würde, weiter in seiner Nachfolge zu leben. Christus verspricht uns kein einfaches und sorgenfreies Leben; aber er verspricht uns ein Leben, das viel weiter und viel tiefer reicht als ein Leben ohne ihn. Er verspricht uns ein Leben, in dem wir auch in allem Schweren doch von ihm gehalten bleiben. Ja, er verspricht uns ein Leben, das einmal einmündet in das ewige Leben, auch wenn die Wege dorthin für uns mitunter schwer nachvollziehbar sind.

Zu diesem Leben habt ihr in eurer Taufe, in eurer Konfirmation Ja gesagt – und ihr tut gut daran, bei diesem Ja zu bleiben, trotz aller Schuld, trotz des Versagens von Pastoren, trotz aller Enttäuschungen und allen Leids im Leben. Denn ihr habt ihn doch, den einen, der stärker ist als alles, was euch bedrängt, den einen, der sogar stärker ist als der Tod, ihn, Christus, euren Heiland. Gott geb’s, dass ihr mit eurer Antwort auch weiter nicht zögert, wenn er euch fragt: Hast du mich lieb? Ja, Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, dass ich dich lieb habe! Amen.