29.01.2012 | Offenbarung 1,9-18 | Letzter Sonntag nach Epiphanias

Dieses Jahr braucht ihr keine Weihnachtsgeschenke zu kaufen. Denn am 21. Dezember dieses Jahres geht ja ohnehin die Welt unter, so behaupten es allen Ernstes nicht wenige Menschen in unserem Land. Sie beziehen sich dabei auf eine angebliche Ankündigung in einem alten Maya-Kalender, wonach am 21. Dezember 2012 die Weltgeschichte endet. Alle möglichen Horrorszenarien haben daraufhin die Anhänger dieser Weltuntergangstheorie schon gezeichnet und behaupten zugleich, dass die Verantwortlichen in den Regierungen und bei der NASA darüber schon längst Bescheid wüssten, was für furchtbare Dinge da auf uns zukommen, und sie nur deshalb verschweigen, um nicht vorzeitig eine allgemeine Massenpanik auf dieser Welt auszulösen.

Schwestern und Brüder, das mit der Ankündigung des Weltuntergangs im Maya-Kalender ist in Wirklichkeit natürlich völliger Humbug, der jeglicher Grundlage entbehrt. Ich habe dazu im neuen Pfarrbrief noch einiges Weitere ausgeführt. Doch interessanter als die Frage danach, ob die Welt am 21. Dezember untergeht, ist das Lebensgefühl, das sich in solchen Erwartungen Ausdruck verschafft: Wir sind hilflos irgendwelchen Entwicklungen und Mächten ausgeliefert, müssen ohnmächtig zusehen, wie uns unsere Zukunft genommen wird, haben keine Chance, uns gegen das, was da auf uns zukommt, was uns jetzt auch schon beherrscht, zur Wehr zu setzen.

Da muss man dann gar nicht unbedingt an den Weltuntergang am 21. Dezember glauben, da kann man stattdessen auch Bezug nehmen auf die Weltwirtschaft, auf die Euro-Krise, auf Killer-Viren, auf den Islam und manches mehr. Immer wieder ist das Gefühl, ist die Angst die gleiche: Da entwickelt sich etwas, wogegen wir nicht ankommen, was unser Leben, was unsere Zukunft bedroht. Und das muss alles auch gar nicht unbedingt völlig irrational sein. Solche Gefühle, solche Ängste können auch eine sehr reale Grundlage haben, wenn man beispielsweise von einer schweren Krankheit oder anderen Schicksalsschlägen betroffen ist. Hilflos kommen wir uns dann vor; trostlos scheint die Lage zu sein, in der wir uns befinden.

Ganz ähnliche Erfahrungen machten damals auch die ersten christlichen Gemeinden in Kleinasien, im Gebiet der heutigen Westtürkei: Da war ein Kaiser namens Domitian an die Macht gekommen, der von seinen Untertanen verlangte, dass sie ihn als „unseren Herrn und Gott“ verehrten und anbeteten. Noch wurde diese Verehrung und Anbetung nicht systematisch verlangt und abgefragt; aber für diejenigen, die nicht bereit waren, bei diesem Kaiserkult mitzumachen, wurde die Bedrohung doch schon ziemlich real. Der Johannes, dessen Worte wir hier eben vernommen haben, hatte das in seinem eigenen Leben schon ganz konkret erfahren: Er hatte seinen Mund bereits aufgemacht, hatte sich dem Anspruch des römischen Kaisers widersetzt und war dafür auf die Insel Patmos vor der türkischen Westküste verbannt worden. Wir mögen es ja für eine ganz schöne Vorstellung halten, auf Patmos Urlaub zu machen; für Johannes war die Insel damals so etwas Ähnliches wie Alcatraz, ein Gefängnis, das ihm jede Zukunftsperspektive nahm.

Und so sitzt der Johannes da also am Strand von Patmos und blickt sehnsüchtig übers Meer hinweg Richtung Festland. Es ist Sonntag, und da spürt er es besonders, wie schwer es ist, als Christ allein sein zu müssen, nicht am Gottesdienst teilnehmen zu können, abgeschnitten zu sein von der gemeinsamen Feier des Heiligen Mahls.

Doch mit einem Mal hört der Johannes eine Stimme. Sie kommt von hinten, sodass er sich umdrehen muss, um zu schauen, wer da hinter ihm zu ihm spricht. Das ist ein kleines, aber wichtiges Detail, das Johannes hier beschreibt, denn es macht deutlich: Was er nun vernimmt, ist nicht ein Tagtraum, der ihn beim Blick über das Meer überkommen hat. Johannes hat da am Strand keinen Sonnenstich bekommen und sieht mit einem Mal vor sich auf dem Meer lauter Dinge, die er mit gekühltem Kopf wohl nicht wahrgenommen hätte. Sondern er wird im Gegenteil aus seinen Tagträumen gerissen und mit einer Wirklichkeit konfrontiert, die gerade nicht seinen Wünschen, Erwartungen oder Ängsten entspricht und ihn zu einer völlig neuen Blickrichtung anleitet.

Johannes wird aufgefordert, niederzuschreiben, was er nun sieht, und damit werden zunächst einmal sieben christliche Gemeinden in Kleinasien, werden darüber hinaus nun aber auch wir als Hörer dessen, was er geschrieben hat, mit hineingenommen in diese unfassliche Vision, die dem Johannes hier zuteil wird. Nicht Angst und Schrecken soll diese Vision bei Johannes und bei uns auslösen, sondern im Gegenteil Trost, Ermutigung und Freude. Johannes erfährt: Was ich in meinem Alltag erlebe, was mir Angst macht, was mich voller Sorge und Furcht in die Zukunft blicken lässt, ist nicht alles. Es gibt da eine Realität, die stärker ist als all das, was mir, was uns allen zunächst vor Augen steht, eine Wirklichkeit, die uns hilft, auch unseren Alltag und auch unsere Zukunftserwartungen noch einmal mit anderen Augen zu sehen. Johannes darf gleichsam schon einmal durch den Schleier hindurchblicken, der uns noch vor unseren Augen hängt und uns daran hindert, das Entscheidende für unser Leben wahrzunehmen. Und mit seinen Worten ermöglicht er auch uns diesen Blick durch den Schleier, der uns erkennen lässt, was wirklich wahr ist.

Was sieht Johannes da, als er sich umdreht? Er sieht nicht etwas, sondern er sieht IHN, den auferstandenen und erhöhten Christus in seiner ganzen Herrlichkeit. Dieser Anblick war für Johannes so unbeschreiblich schön, so überwältigend, dass er nur mithilfe von Bildern wiedergeben kann, was, nein, wen er da gesehen hat: Von einem, der dem Menschensohn gleich ist, spricht er hier, jener Gestalt, die schon Daniel im Alten Testament angekündigt hatte und von der Daniel erklärt hatte, dass diesem Menschensohn einmal alle Völker und Leute aus so vielen verschiedenen Sprachen dienen sollten, dass seine Macht ewig ist und nicht vergeht. Mit den Worten Daniels beschreibt Johannes die Herrlichkeit dieses Menschensohns, der ihm in priesterlichem und königlichem Gewand entgegentritt und zugleich als Richter erkennbar wird, dessen Wort zwischen Tod und Leben scheidet. Schwestern und Brüder, wenn wir versuchen wollten, dieses Bild zu zeichnen, würden wir dem, was Johannes hier schaut, noch nicht einmal ansatzweise gerecht werden. Eines sollte sich uns von daher wohl am ehesten einprägen: Der strahlende Lichtglanz, der von ihm, dem auferstandenen Herrn der Welt ausgeht.

Geradezu körperlich erfährt es Johannes, dass dieser Christus, der ihm da begegnet, nicht bloß ein guter Mensch, ein weiser Lehrer ist, sondern nicht weniger als Gott selbst in seiner Herrlichkeit, und so widerfährt ihm, was Menschen notwendigerweise widerfährt, wenn sie hier auf Erden den lebendigen Gott erblicken: Er sinkt wie tot danieder. Doch dann geschieht etwas Unfassliches: Dieser Herr der Herrlichkeit beugt sich ganz tief zu ihm, Johannes, hinunter, legt seine rechte Hand auf ihn und richtet ihn auf mit seinem tröstenden Wort: „Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle.“ Schwestern und Brüder: In diesem kurzen Wort des Auferstandenen steckt eigentlich der ganze Trost des Evangeliums drin: „Fürchte dich nicht“, sagt Christus. Ich komme nicht, um dich zu vernichten; ich komme, um dich aufzurichten, um dir Leben zu schenken. Und das sagt er nicht einfach, das lässt er den Johannes zugleich leibhaftig erfahren, macht sich ganz klein, berührt ihn mit seiner Hand, fügt seinem Wort das wirksame Zeichen hinzu.  „Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige“, fährt Christus fort. Anfang und Ende der Welt, Anfang und Ende der Geschichte werden nicht von irgendeinem Maya-Kalender bestimmt, nicht von römischen Kaisern oder mächtigen politischen Organisationen, auch nicht von irgendwelchen kosmischen Prozessen. Er, Christus, ist es allein, der die Welt und damit auch die Geschichte, ja, auch unsere ganz persönliche Lebensgeschichte in seiner Hand hält. Fürchte dich nicht – nicht vor dem 21. Dezember 2012, nicht vor dem Zusammenbruch des Euro, nicht vor Krankheiten und auch nicht vor dem Vormarsch des Islam. Fürchte dich nicht: Christus ist das A und O, er allein steht am Ziel der Geschichte; ihm entgleitet nichts. Fürchte dich nicht, ja, du brauchst dich noch nicht einmal vor dem Tod zu fürchten. Denn er, Christus, hat als erster den Satz gesagt, den auch du einmal wirst sagen dürfen: „Ich war tot.“ „Ich war tot“, so kann nur der reden, der den Tod besiegt, ihn hinter sich gelassen hat, der lebendig ist von Ewigkeit zu Ewigkeit. Wir mögen den Eindruck haben, der Tod sei das unwiderrufliche Ende unserer Existenz, das schwarze Loch, dem wir nicht mehr entkommen werden, ein Gefängnis, dessen Tür für immer verrammelt bleibt. Doch Johannes darf ihn schauen, ihn, den auferstandenen Herrn, wie er mit den Schlüsseln des Todes und der Hölle in seinen Händen herumspielt: Der Tod hat nicht mehr die Macht, Menschen für immer unter seiner Herrschaft festzuhalten; Christus hat ihm die Schlüssel abgenommen, kann von nun an aufschließen, wann immer er will. Und er will, will auch dir die Tür aufschließen, dass der Tod für dich nicht länger das Ende ist, sondern die Durchgangstür ins ewige Leben, wo du ihn, Christus, auch einmal schauen wirst, nicht mit Zittern, sondern mit nie mehr endender Freude.

Liebe Schwester, lieber Bruder, lass dir das Bild des auferstandenen Christus in seiner Herrlichkeit von Johannes vor Augen stellen, damit dir wieder neu oder überhaupt ganz neu aufgeht, was hier eigentlich geschieht, wenn wir am Tag des Herrn hier in dieser Kirche zusammenkommen, um miteinander Gottesdienst zu feiern, um miteinander das Mahl des Herrn zu feiern: Da tritt er auch in unsere Mitte, macht sich für uns ganz klein, verbirgt den Lichtglanz seiner Herrlichkeit vor uns, damit wir eben nicht in unseren Kirchenbänken wie tot daniedersinken, sondern es wagen können, hierher nach vorne zu kommen, hier an den Altar, wo der auferstandene Christus mit uns genau dasselbe macht wie mit Johannes damals: Er beugt sich zu uns herab und berührt uns leibhaftig, mit seinem Leib und Blut, verborgen in den Gestalten von Brot und Wein, und gibt uns damit Anteil an seinem unzerstörbaren Auferstehungsleben. Ja, schau auf ihn, den auferstandenen Christus in seiner Herrlichkeit, wie ihn Johannes dir vor Augen malt, damit du nie mehr auf die Idee kommst, wir wären hier im Gottesdienst nur unter uns, und das Interessanteste, was man hier erleben könnte, sei, was dein Nachbar neben dir gerade sagt oder macht. Ja, schau auf ihn, den auferstandenen Christus in seiner Herrlichkeit, und dann sinke auf die Knie, nicht vor Schrecken, sondern vor Freude, wenn er hier gleich wieder sein mächtiges Wort spricht, das Brot und Wein zu Trägern seiner leibhaften Gegenwart werden lässt. Ja, schau auf ihn, den auferstandenen Christus in seiner Herrlichkeit, wenn du so viel Sorgen und Ängste mit in diesen Gottesdienst gebracht hast, wenn dich so viel bedrückt und umhertreibt, wenn du gar nicht weißt, wie es mit dir in deinem Leben eigentlich weitergehen soll: Schau auf ihn, und lass es dir zusagen, hier am Altar: Fürchte dich nicht, ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Nichts, wirklich gar nichts kann dich aus meiner Hand reißen. Schau auf ihn, den auferstandenen Christus in seiner Herrlichkeit, wenn dich wieder einmal die Angst überkommt vor dem, was andere über dich denken könnten, wenn dich wieder einmal die Angst davor überkommt, gegen den Strom schwimmen zu müssen. Hat auch nur einer von denen, vor denen du dich fürchtest, das Format dieses auferstandenen Herrn?

Und schau auf ihn, den auferstandenen Christus in seiner Herrlichkeit, wenn du am Grab eines geliebten Menschen stehst, wenn du denkst, nun sei alles zu Ende, alles aus und vorbei. Da steht er, dein auferstandener Herr, neben diesem Grab und klimpert schon mit den Schlüsseln, mit den Schlüsseln des Todes und der Hölle, hat sich schon längst daran gemacht, auch diesen Menschen herauszureißen aus dem Dunkel des Todes in das Licht der ewigen Herrlichkeit. Ja, schau auf ihn, den auferstandenen Christus in seiner Herrlichkeit, wenn du merkst, dass es schließlich auch mit deinem Leben zu Ende geht. Du brauchst keine Angst zu haben vor ihm. Fürchte dich nicht, so ruft er es dir zu; fürchte dich nicht vor mir, fürchte dich nicht vor deiner Sünde, fürchte dich nicht vor dem Tod. Ich bin es, der Lebendige, ich bin es, der dich doch schon in deiner Taufe bei deinem Namen gerufen hat. Noch schaust du mich nur vermittelt durch das Wort, das du hörst. Doch bald schon wirst du mich von Angesicht zu Angesicht sehen, wirst gar nicht mehr verstehen können, warum du dich vor so vielem in deinem Leben gefürchtet hast. Denn nichts kann dich von mir trennen. Halte dich nur an mich; dann wirst auch du leben, leben in alle Ewigkeit. So tröstet er dich: der Erste und der Letzte und der Lebendige. Amen.