07.04.2012 | 1. Thessalonicher 4,13-14 | Heilige Osternacht

Ungewissheit kann etwas Furchtbares sein. Nicht zu wissen, wie es mit einem in der Zukunft weitergeht, nicht zu wissen, wo man in Zukunft weiterleben, wie man in Zukunft weiterexistieren kann, ist bedrückend und belastend. Zahlreiche Brüder und Schwestern, die heute Nacht diesen Gottesdienst mit uns feiern, leben genau in dieser Ungewissheit, wissen nicht, ob sie weiter hier in diesem Land werden bleiben dürfen, ob sie vielleicht doch wieder abgeschoben werden in den Iran, in ein Land, aus dem sie geflohen sind, weil sie dort ihres Lebens nicht mehr sicher sein konnten. Solche Ungewissheit kann regelrecht krank machen, schlaflose Nächte bereiten, zermürben.

Doch es gibt eine Ungewissheit, die ist noch furchtbarer, als nicht zu wissen, wo man künftig zu Hause sein wird. Noch furchtbarer ist es, nicht zu wissen, wie Gott zu uns steht, wie er einmal über unser Leben urteilen wird, ob und wie es nach dem Tod für uns weitergehen wird.

Hier in Deutschland haben sich viele Menschen ein erstaunlich dickes Fell gegenüber dieser Ungewissheit zugelegt. Viele interessieren sich noch nicht einmal für die Frage, ob Gott überhaupt existiert, befassen sich mit ihr höchstens vielleicht bei dem einen oder anderen Salongeplauder zu fortgeschrittener Stunde. Und wenn es ihn denn gibt, davon sind sie überzeugt, wird er einem am Ende des Lebens schon keine Probleme bereiten; er wird schon nicht weniger tolerant sein als sie selber, wird gewiss jeden nach seiner Façon selig werden lassen. Doch wenn man sich die Todesanzeigen in der Zeitung am Sonntag anschaut, dann stellt man fest: Die meisten geben sich angesichts des Todes sogar mit noch weniger Hoffnung zufrieden: Man denkt daran zurück, dass der Verstorbene ein guter Mensch war, versichert ihm und sich, dass man ihn immer im Herzen behalten wird – und das war es dann. So leben und sterben Menschen, die keine Hoffnung haben, die noch nicht einmal Interesse daran zeigen, Gewissheit zu haben im Angesicht des Todes.

Dieses erschreckend dicke Fell haben die Brüder und die Schwester in unserer Mitte, die heute Nacht die Heilige Taufe empfangen haben, nicht. Undenkbar war und ist es für sie, die Frage nach Gott, die Frage danach, wie er zu uns steht, einfach so in die Ecke zu packen, wie dies hier in unserem Land üblich ist. Dass Gott existiert, dass sie ihm ihr Leben verdanken, dass er der Richter ist, der das letzte Urteil über ihr Leben fällt, das hatten sie auch schon früher gehört, als sie noch in ihrer Heimat, im Iran, lebten. Aber wie dieser Gott zu ihnen steht, wie er umgeht mit der Schuld, mit dem Versagen ihres Lebens, darauf konnten sie keine Antwort bekommen. Denn es gab zwischen ihnen und Gott keine persönliche Verbindung; Gott blieb für sie ganz fern, überaus groß, aber vor allem unnahbar. Ob er sie am Ende in den Himmel lassen oder in der Hölle verdammen würde – wer konnte es wissen? Kein Wunder, dass es da immer wieder Menschen gab und gibt, die dazu bereit waren und sind, sich selbst und mit ihnen andere, Ungläubige, in die Luft zu sprengen, weil allein dem die Gewissheit des Himmels versprochen ist, der im Heiligen Kampf gegen die Ungläubigen umkommt!

Doch dann hörten unsere Brüder und Schwestern zum Teil schon im Iran, zum Teil hier nach ihrer Ankunft in Deutschland eine gute Nachricht, die so ganz anders war als all das, was sie bisher gehört, erlebt, ja auch selber praktiziert hatten: Gott ist nicht unerreichbar für uns Menschen; er lässt uns nicht im Ungewissen, wer er ist und wie er zu uns steht. Liebe war es, unendliche Liebe, die ihn dazu veranlasste, seinen Sohn Jesus Christus zu uns zu schicken, damit wir durch ihn wissen, wer Gott wirklich ist. Liebe war es, unendliche Liebe, die ihn dazu veranlasste, seinen Sohn Jesus Christus für uns am Kreuz sterben zu lassen, damit unsere Sünde und Schuld uns nicht mehr zu schrecken braucht, damit diese Sünde und Schuld uns nicht mehr von Gott trennt. Ja, selbst die Frage danach, ob und wie es mit uns weitergeht nach unserem Tod ist nicht mehr ungewiss, ist eindeutig beantwortet seit dieser Nacht, in der Christus die Macht des Todes zerbrach, sein Grab verließ und auferstand als Sieger über Teufel, Tod und Hölle.

„Wir wollen euch aber nicht im Ungewissen lassen“ – Was der Apostel Paulus hier in der Predigtlesung der heutigen Nacht schreibt, trifft genau den Kern dessen, warum diese Schwestern und Brüder heute Nacht hierher gekommen sind, um sich taufen zu lassen. Genau diese Gewissheit wollen sie haben, dass Gott ihr liebender Vater ist, dass ihnen ihre Schuld vergeben ist, dass nichts und niemand, selbst der Tod nicht, sie von Gottes Liebe trennen kann. Genau diese Gewissheit wollen sie haben, dass sie mit Christus verbunden sind, dass sie mit ihm in ihre menschlich gesprochen so ungewisse Zukunft gehen, dass der Tod für sie seinen Schrecken verloren hat.

Und genau diese Gewissheit ist ihnen nun eben geschenkt worden, als sie mit Christus gestorben und auferstanden sind in ihrer Heiligen Taufe. Nun sind sie Gottes Kinder, nun brauchen sie sich nie mehr vor ihm zu fürchten, nun dürfen sie gewiss sein: Wir haben den an unserer Seite, der stärker ist als alle Mächte der Welt, der stärker ist selbst als der Tod. Ihr altes Leben, das von Angst, von Druck, von Ungewissheit geprägt war, haben sie nun hinter sich gelassen, sitzen nun vor euch als neue Menschen, die auch mit ihrem neuen Namen, ihrem Taufnamen zum Ausdruck bringen, dass nun etwas ganz Neues für sie begonnen hat, ein neues Leben, das nie mehr enden wird.

„Wir wollen euch nicht im Ungewissen lassen“. Darum, Schwestern und Brüder, feiern wir die Heilige Osternacht, nicht bloß, weil sich da vor 2000 Jahren etwas Sensationelles auf dem Jerusalemer Friedhof abgespielt hat, sondern weil dieses Ereignis uns Zukunft, uns Freude, uns Hoffnung schenkt, dass wir nicht mehr leben müssen wie all die vielen auch in unserem Land, die immer noch keine Hoffnung haben. Christus lebt, und mit ihm leben auch wir, leben mit ihm kraft unserer Taufe, werden leben, selbst wenn wir einmal sterben müssen. Denn Christus lässt uns selbst im Tod nicht los: Zu fest hat er sich mit uns verbunden in der Taufe, zu fest verbindet er sich nun auch gleich wieder mit uns im Heiligen Mahl, wenn er, der Auferstandene, in unsere Mitte tritt mit seinem Leib und Blut. Wenn er aus dem Grab wieder herausgekommen ist – dann werden wir es auch. Wenn er einmal alle, die zu ihm gehören, in den Himmel führen wird, dann werden wir auch mit dabei sein. Ja, dann werdet auch ihr mit dabei sein, liebe Täuflinge – ganz gewiss! Amen.