13.05.2012 | Kolosser 4,2-6 | Rogate

Am vergangenen Montag diskutierten wir in unserem Kirchenvorstand ausführlich das beschleunigte Wachstum unserer Gemeinde, das wir seit einigen Wochen und Monaten bei uns erleben: Immer mehr Taufbewerber klopfen bei uns an, immer mehr neue Gesichter erscheinen bei uns im Gottesdienst. Schon hört man die ersten besorgten Stimmen: Wo soll das alles denn bloß noch hinführen? Wie sollen wir diesen Ansturm denn weiter bewältigen, ja auch kräftemäßig bewältigen? Wie sollen wir damit umgehen, dass sich die Zusammensetzung unserer gottesdienstlichen Gemeinde in so rasantem Tempo verändert? Muss man da nicht etwas unternehmen – und wenn ja, was denn?

Unsere Diskussion im Kirchenvorstand war, gottlob, geprägt von großer Freude über die Probleme, die sich uns nun stellen, von großer Freude über eine Entwicklung in unserer Gemeinde, bei der wir uns selber immer wieder nur die Augen reiben können, um festzustellen, dass wir nicht träumen, sondern dass das, was wir erleben, tatsächlich Realität ist. Doch dass wir damit zugleich vor gewaltigen Herausforderungen stehen, die wir selber aus eigener Kraft kaum bewältigen können, konnten und wollten wir dabei auch nicht verdrängen – und so endete die Diskussion schließlich darin, dass wir uns einig waren, dass uns das, was wir nun erleben, wieder neu ins Gebet treibt, zum Beten führt.

Und damit, Schwestern und Brüder, sind wir nun schon mitten drin in der Predigtlesung dieses heutigen Sonntags, die so aktuell ist, dass man beim Lesen den Eindruck gewinnen kann, der heilige Paulus habe diese Worte extra für unsere St. Mariengemeinde im Mai 2012 geschrieben. Zum Beten leitet er die Empfänger seines Briefes, leitet er auch uns an, genauer gesagt
- zur Danksagung
- zur Wachsamkeit
- zur Missionsbitte

I.
Eine erste sehr effektive Problemlösungsstrategie nennt Paulus uns hier zunächst einmal: Er spricht von der Dankbarkeit. Gerade wenn wir in der Gefahr stehen, uns auf alle möglichen Probleme zu fixieren, die wir in unserem Leben, die wir gerade auch im Leben unserer Gemeinde haben oder vielleicht auch nur künftig haben könnten, tun wir gut daran, immer wieder von Neuem ganz bewusst das Danken einzuüben:
Wenn wir Gott dafür danken, dass er uns, ausgerechnet uns durch Christus gerettet und in seine Gemeinschaft gerufen hat, dass er uns, ausgerechnet uns heute wieder alle Schuld und alles Versagen unseres Lebens vergibt, dann werden wir nicht in die Gefahr geraten, die Gemeinde als eine Art von Club anzusehen, in dem alteingesessene Clubmitglieder kritisch Neuankömmlinge betrachten, ob sie denn nun auch in diesen Club hineinpassen oder nicht. Dann werden wir uns im Gegenteil von Herzen über einen jeden freuen, der in unserer Mitte genau dasselbe erfährt, was wir schon früher erfahren haben. Wenn wir Christus als den Herrn der Welt und Herrn der Kirche preisen, der unsere Zukunft in seiner Hand hält, dann wird unsere Neigung sehr viel geringer werden, uns darüber den Kopf zu zerbrechen, wie wir die Zukunft unserer Gemeinde nach unseren Wünschen und Vorstellungen sichern und gestalten können. Wenn wir Christus immer wieder neu für das wunderbare Geschenk des ewigen Lebens danken, das er uns im Bad der Wiedergeburt, in der Heiligen Taufe gemacht hat, dann werden wir gar nicht mehr auf die Idee kommen, darüber zu stöhnen, wenn wir miterleben, dass Christus auch andere Menschen in der Heiligen Taufe ins ewige Leben rettet, sondern werden uns von Herzen mit einem jeden Bruder und einer jeden Schwester mitfreuen, denen dieses Geschenk auch zuteil wird. Wenn wir das Heilige Mahl, das Mahl der Danksagung, die Eucharistie feiern und darin Christus für die Gabe seines Leibes und Blutes danken, dann werden wir es zugleich als eine Stärkung unseres Glaubens erfahren, wenn andere gemeinsam mit uns in diesen Dank einstimmen und mit uns diese Gabe empfangen, dann werden wir gerade nicht nach Möglichkeit unter uns bleiben wollen, sondern vielmehr erleben, dass geteilte Freude und geteilter Dank tatsächlich doppelte Freude, doppelten Dank bedeutet.

Ja, wenn der Dank unser Beten, unser Gemeindeleben, ja, auch unser Reden über unsere Gemeinde bestimmt, dann werden wir auch all die Herausforderungen in unserer Gemeinde noch einmal mit anderen Augen wahrnehmen. Auf eines muss ich euch dabei allerdings auch zugleich hinweisen: Eine dankende Gemeinde strahlt nach außen aus, wirkt auch für Gäste anziehend und einladend. Eine Gemeinde, in der sich die Gemeindeglieder darauf konzentrieren, sich mit ihren Problemen zu befassen, stößt ab. Eine Gemeinde, in der Neue gleich mit hineingenommen und hineingezogen werden in die Freude über das, was in ihr geschieht, eine Gemeinde, in der der Dank und der Lobpreis den Gottesdienst, die Liturgie bestimmt, muss damit rechnen, dass andere sich von diesem Dank und dieser Freude anstecken lassen. Solchen Dank kann und soll man nicht künstlich zu erzeugen versuchen – das wird nur Krampf. Doch wo einer Gemeinde solche Dankbarkeit geschenkt ist, tut sie gut daran, dieser Dankbarkeit auch freien Lauf zu lassen und sie ja nicht zu ersticken. Ja, seid beharrlich, gerade auch in der Danksagung, so ruft es uns der Apostel zu.

II.
Wenn wir uns Gedanken über unsere Gemeinde machen, tun wir gut daran, diese immer wieder zunächst und vor allem in der Form des Gebets vorzubringen. Dazu gehört gewiss zunächst und vor allem der Dank. Wenn wir aber vor Gott über unsere Gemeinde und ihre Zukunft nachdenken, dann hilft uns das auch zur Wachsamkeit, so macht es der Apostel hier zweitens deutlich.

Wachsamkeit bedeutet zunächst und vor allem, dass wir niemals aus den Augen verlieren, dass wir uns als einzelne Christen, aber gerade auch als Gemeinde immer in einem Kampf befinden, in einem Kampf mit Mächten, die nur dies eine Ziel kennen: zu verhindern, dass Menschen im Glauben an Christus selig werden. Dem Teufel gefällt das überhaupt nicht, wenn Menschen in der Heiligen Taufe seiner Herrschaft entrissen und unter die Herrschaft Christi gestellt werden. Der Teufel mag es überhaupt nicht, wenn Gottesdienste darum länger ausfallen, weil in ihnen so viele Menschen getauft werden – solche Gottesdienste sind ihm ein Horror! Dem Teufel gefällt das überhaupt nicht, wenn das Leben einer christlichen Gemeinde von Dank und Freude geprägt ist, wenn in ihr immer wieder neu Menschen den Weg zu Christus finden. Und eben darum wird er nichts unversucht lassen, auch in unserer Gemeinde diesen Dank und diese Freude zum Verstummen zu bringen, wird nichts unversucht lassen, damit wir uns nach Möglichkeit nur noch mit uns selber beschäftigen, wird nichts unversucht lassen, Menschen dahin zu bringen, dass sie anderen in der Gemeinde zum Anstoß werden. Beten hilft uns zur Wachsamkeit, stellt uns in einen Kampf mit dem Widersacher Gottes. Bleiben wir eben darum beharrlich im Gebet, beten wir immer wieder für unsere Gemeinde und ihre Glieder, dass der böse Feind an ihr und an uns allen keine Macht findet, ja, lassen wir uns bloß nicht einlullen!

Zur Wachsamkeit gehört aber auch, die Wiederkunft unseres Herrn Jesus Christus nicht aus den Augen zu verlieren. Wir wissen nicht, wie viel Zeit uns noch bleibt, Menschen mit der frohen Botschaft von Jesus Christus zu erreichen, wie viel Zeit uns noch bleibt, bis Christus einmal auch der Geschichte unserer Gemeinde ein Ende setzen wird am Tag seiner Wiederkunft. Wachsam sollen wir dem kommenden Herrn Jesus Christus entgegenblicken – nein, gerade nicht voller Furcht, sondern voller Vorfreude, weil wir wissen, dass uns doch gar nichts Besseres passieren kann, als dass Christus unsere Bitte endgültig erfüllen wird: „Dein Reich komme!“ Doch bis es soweit ist, sollen wir „die Zeit auskaufen“, wie Paulus es hier so schön formuliert. Hier und jetzt bieten sich immer wieder neu Gelegenheiten, Menschen mit dem Evangelium zu erreichen, ihnen die wunderbare Hoffnung zu bezeugen, die wir als Christen haben dürfen. Wer wachsam dem kommenden Christus entgegenblickt, der wird sich nicht Sorgen wegen des Wachstums einer Gemeinde machen, sondern der wird im Gegenteil ihn, Christus, darum bitten, unserer Gemeinde immer mehr Probleme mit ihrem Wachstum zu bereiten, uns zu helfen, Zeit und Gelegenheiten in der rechten Weise zu nutzen, um unserer Berufung als Christen und als Kirche nachkommen zu können. Ja, wer sich eine Gemeinde wünscht, in der man am liebsten nur unter sich bleibt, der steht dem Apostel zufolge in der Gefahr, zu verschlafen, was die Stunde eigentlich geschlagen hat.

III.
Und damit sind wir nun schon beim Dritten, was uns St. Paulus hier in unserer Predigtlesung deutlich macht: Zum Gebet eines Christen, zum Gebet der Kirche und Gemeinde gehört unabdingbar immer wieder auch die Missionsbitte dazu, „dass Gott uns eine Tür für das Wort auftue“, wie Paulus es hier so wunderbar formuliert.

Gemeindewachstum und Missionserfolge lassen sich nicht durch unsere menschlichen Bemühungen herstellen, so erfahren wir es zurzeit wieder ganz handgreiflich in unserer Gemeinde.

Wir haben keine Strategie geplant, wie wir Menschen aus dem Iran für unsere Gemeinde anwerben können. Wir haben uns keine Tricks ausgedacht, wie wir sie in unsere Gemeinde locken können. Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich von mir aus überhaupt nicht missionarisch aktiv geworden bin, um diese Menschen mit dem Evangelium zu erreichen. Doch etwas Anderes ist in unserer Mitte geschehen: Glieder unserer Gemeinde und Menschen darüber hinaus haben für unsere Gemeinde gebetet, haben dafür gebetet, dass Gott uns in unserer Gemeinde Türen öffnen möge, ja auch ganz neue Türen öffnen möge. Und genau das hat Christus gemacht. Er hat uns Türen geöffnet, von denen wir kaum eine Ahnung hatten, dass es diese Türen überhaupt gab. Nicht wir haben mit unseren Bemühungen Türen eingetreten, sondern ohne unser Zutun öffneten sich die Türen, und Menschen traten und treten durch diese Türen ein, kommen in unsere Mitte, kommen in die Gemeinschaft mit Christus, stecken uns an mit ihrer Freude darüber, die befreiende Botschaft des Evangeliums entdeckt zu haben.

Denken wir immer wieder neu daran, wenn wir uns Gedanken über unsere Gemeinde machen: Christus hat die Türen geöffnet, nicht wir – und wir tun nicht gut daran, gegen diese Öffnung der Türen anzubeten. Im Gegenteil: Wir tun gut daran, für unsere neuen und unsere künftigen Gemeindeglieder zu beten – nicht allein dafür, dass sie im Glauben wachsen und gefestigt werden, sondern gerade auch dafür, dass sie dazu in der Lage sind, in der rechten Weise ihren Freunden und Bekannten Christus zu bezeugen, dass sie wissen, wie sie denen antworten können, die ihnen abspüren, wie sie sich dadurch verändert haben, dass sie Christen geworden sind.

Und wenn wir so für andere in der Gemeinde beten, wird Gott gewiss auch uns selber offene Augen schenken, dass auch wir wahrnehmen können, wo sich uns Gelegenheiten bieten, Menschen Christus zu bezeugen, die im Augenblick vielleicht noch gar nicht ahnen, wie nötig auch sie ihn haben. Weisheit brauchen wir dafür, den rechten Zeitpunkt und die rechten Worte zu finden – und solche Weisheit ist immer eine Gabe und ein Geschenk Gottes, um das wir immer wieder nur bitten können.

Ja, Schwestern und Brüder, ich weiß, wir müssen damit rechnen, dass wir uns immer noch mehr Probleme in der Gemeinde schaffen, wenn wir das ernst nehmen, was Paulus uns hier ans Herz legt. Gehen wir dieses Risiko ganz fröhlich ein, lassen wir uns durch nichts und niemand vom Danken abbringen, nutzen wir nüchtern die Zeit aus, die uns bleibt, und liegen wir Gott auch weiter in den Ohren, dass er uns immer wieder neu mit der Öffnung von Türen überraschen möge! Denn gottlob liegt unsere Zukunft, ja auch die Zukunft unserer Gemeinde allein in seinen Händen! Amen.