28.05.2012 | Epheser 4,11-16 | Pfingstmontag

Als wir am Himmelfahrtstag mit dem Jugendkreis vom Besuch des Erlebnisbades in Oranienburg zurückkamen, setzte ich mich in der S-Bahn neben eine ältere Dame. Misstrauisch beäugte sie unsere Brüder aus dem Iran, die gegenüber von ihr saßen. „Was machen die denn bloß hier in Deutschland?“, fragte sie mit deutlich empörter Stimme. Ich erklärte ihr, dass sie aus dem Iran fliehen mussten, weil sie Christen sein wollten. Doch damit hatte ich bei der Dame genau das richtige Thema angestoßen: Die Kirche, so erklärte sie mir, sei nur eine Bande von Heuchlern und Verbrechern, Stalin und Hitler seien Werkzeuge der Kirche gewesen, und überhaupt sei alles Schlechte in der Welt immer nur von der Kirche gekommen. Und dass sich die Kirche jetzt auch noch um Asylbewerber kümmere, passte für sie genau in die Liste der Verbrechen, die die Kirche im Lauf der Kirchengeschichte begangen hatte. Es war erschütternd, wieder einmal mitzuerleben, wie verbittert Menschen sein können – und wie sich diese Verbitterung dann ganz konkret immer wieder Bahn bricht in einem Hass auf die Kirche, die als Inbegriff alles Bösen in der Welt angesehen wird.
Nicht nur für diese Dame war und ist die Kirche ein Reizwort. In ganz ähnlicher Weise können wir es oftmals in unseren Medien beobachten, wie die Kirche und das, was in ihr geschieht, in ganz bestimmte Ecken gestellt wird, wie man bestimmte Klischees von ihr pflegt und empört reagiert, wenn sie nicht den Maßstäben entspricht, die man an sie anlegt. Und wenn dann auch noch schier unfassliches Versagen der Kirche und unfassliche Verfehlungen ihrer Amtsträger ans Tageslicht kommen, wie wir es in den vergangenen Jahren vor allem beim Thema „Missbrauch“ miterleben mussten, dann liefert dies natürlich noch einmal in besonderer Weise Wasser auf die Mühlen derer, die immer schon wussten, dass man mit der Kirche nichts zu tun haben sollte.
Bei euch ist das, so denke und hoffe ich, doch anders. Ich gehe davon aus, dass die allermeisten von euch doch positive Erfahrungen mit der Kirche gemacht haben, dass die allermeisten von euch nicht den Eindruck haben, die Kirche sei eine Heuchlerbande und der Pastor ohnehin ein gut getarnter Verbrecher. Sonst würdet ihr wahrscheinlich heute an diesem schönen Pfingstmontag auch nicht hier in der Kirche sitzen. Doch einem anderen Trend in unserer Gesellschaft werdet auch ihr euch immer wieder nur schwer entziehen können: dem Trend, Kirche und Glauben voneinander zu trennen. „Ich glaube ja an Gott – aber das kann ich auch ohne Kirche, dazu muss ich doch nicht in die Kirche gehen!“ – So lautet eine weitverbreitete Auffassung, die unserem eigenen Empfinden, dass wir für die Kirche nun mal keine Zeit haben, auf so angenehme Weise entgegenkommt. Ja, geht das mit dem Glauben nicht tatsächlich auch ohne Kirche?
Geht es nicht, so behauptet der Apostel Paulus in der Predigtlesung des heutigen Festtags. Das Bild von Kirche, das er uns hier vor Augen stellt, ist ein völlig anderes als das, das wir uns normalerweise von der Kirche machen mögen. Kirche ist viel mehr als das, was wir erst einmal von ihr wahrnehmen, so macht er es uns hier deutlich – und erklärt uns zugleich, warum Glauben ohne Kirche nicht geht.
Ihr braucht die Kirche, so schreibt es Paulus den Christen in Ephesus und uns heute Morgen hier in Berlin. Ihr braucht die Kirche,
- weil Kirche kein McDonalds ist
- weil ihr erwachsen werden sollt
I.
Dass Kirche kein McDonalds ist, mag den meisten von uns ohne großes Nachdenken einleuchten. Zu unterschiedlich ist das Speisenangebot in beiden Einrichtungen, zu unterschiedlich auch die Ausstattung der Gebäude. Doch das ändert nichts daran, dass es nicht wenige Menschen gibt, die die Kirche tatsächlich wie McDonalds behandeln oder benutzen: Wenn sie von Zeit zu Zeit mal das Bedürfnis nach ein bisschen religiöser Auferbauung verspüren, schauen sie mal wieder kurz in der Kirche vorbei, bedienen sich da und verschwinden dann wieder. Die Kirche als McChurch – am besten mit Drive In-Schalter. Ob da in der Kirche noch andere Leute sitzen, ist gar nicht so interessant; Hauptsache, ich kann mir dort mein religiöses Menü abholen und mich dadurch mal wieder ein bisschen besser fühlen!
Doch die Kirche ist kein Schnellrestaurant, kein Selbstbedienungsladen, so macht es uns der heilige Paulus hier deutlich. Sie ist Leib Christi – und das heißt: Ein jeder, der getauft ist, gehört zu ihr, ist ein Glied an ihr, ist für das Funktionieren des gesamten Leibes wichtig. Ein Glied hängt am anderen, schreibt der Apostel. Wenn du dich aus der Gemeinschaft der Kirche ausklinkst, wenn du meinst, es würde ausreichen, nur mal hier und da in der Kirche vorbeizuschauen, dann hat das Konsequenzen nicht nur für dich, sondern für andere, die doch auf dich, auf dein Mitwirken in der Kirche angewiesen sind. Und umgekehrt gilt das gleiche: Wenn du glaubst oder auch so lebst, als ob die Kirche nur ein religiöser McDonalds ist, dann verzichtest du auf etwas, was für deinen Glauben entscheidend wichtig ist: auf die Gemeinschaft mit deinen Brüdern und Schwestern, die dir Mut machen, an Christus dranzubleiben, die dir helfen, im Glauben zu wachsen. Kein Glied an einem menschlichen Körper kann nur für sich existieren – und ebenso wenig kann ein Christ nur für sich existieren. Denn er braucht die anderen Glieder, und er hat es vor allem nötig, fest mit dem Haupt, mit Christus, verbunden zu bleiben. Und das geht eben nur, wenn man eingebunden ist in die Gemeinschaft des Leibes Christi, der Kirche, so zeigt es uns der Apostel Paulus hier.
II.
Und damit sind wir schon beim Anderen: Ihr braucht die Kirche, so schreibt der Apostel hier, weil ihr erwachsen werden sollt.
Normalerweise geht das mit dem Erwachsenwerden ja ganz von selbst. Für Jugendliche dauert es oft zwar viel zu lange, bis es endlich soweit ist, versucht man gerne, dieses Erwachsenwerden ein wenig zu beschleunigen – zum Teil auf vernünftige, zum Teil auf völlig bescheuerte Weise. Doch letztlich bleibt dieses Erwachsenwerden ein natürlicher Prozess, selbst wenn die geistige Reife auch nach der Vollendung des 18. Lebensjahrs mitunter noch etwas hinterherhinkt.
Im christlichen Glauben, in der Kirche, ist das tatsächlich etwas anders. Da wird man mit zunehmendem Lebensalter, mit zunehmender Zeit der Zugehörigkeit zu einer Kirche nicht unbedingt geistlich reifer. Im Gegenteil: Das geschieht eben leider sogar ziemlich häufig, dass Menschen, die altersmäßig längst erwachsen sind, geistlich immer noch irgendwo in der Vorpubertät hängengeblieben sind. Da geht man dann vielleicht immer noch deshalb mal von Zeit zu Zeit zur Kirche, weil man hofft, dort den einen oder anderen Bekannten zu treffen, weil ein nettes Rahmenprogramm geboten wird, weil man ja doch irgendwie an den lieben Gott glaubt. Doch mit Fragen des Glaubens hat man sich über all die Jahre eigentlich kaum auseinandergesetzt, ist da nicht irgendwie weitergekommen. Im Gegenteil hat man im Laufe der Zeit vielleicht sogar noch das vergessen, was man im Konfirmandenunterricht mal gelernt hatte. Erwachsene auf geistlichem Kleinkindniveau – da kann man sich mitunter tatsächlich nur noch die Haare raufen.
Jugendliche und Erwachsene auf geistlichem Kleinkindniveau – das ist für die Betroffenen nicht nur ziemlich peinlich, das kann auch richtig gefährlich werden, so schreibt der Apostel hier: Ihr seid doch in eurem Glauben als Christen gleichsam unterwegs wie in einem Schiff. Und wenn dann Stürme aufkommen, wenn einem dann alle möglichen anderen Lehren, Ideologien und Meinungen um die Nase wehen, dann kann es leicht passieren, dass die einen völlig vom Kurs abbringen, weil man selber eigentlich gar nicht weiß, wo die Fahrt denn nun hingehen soll. Wenn ich nur zur Kirche gehe, weil ich da vielleicht ein paar Bekannte treffe, dann kann ich irgendwann auch die Kirche gegen die Kneipe eintauschen, weil ich da vielleicht sogar noch mehr Bekannte treffe als hier in der Kirche. Wenn ich nur in die Kirche komme, weil mir hier was geboten wird, dann kann ich es irgendwann auch mal sein lassen, wenn mir mein sonstiges Unterhaltungsangebot im Leben ausreicht. Wenn ich von den Lehren des christlichen Glaubens kaum noch eine Ahnung habe, kann es passieren, dass ich irgendwann mal auf alle möglichen anderen Angebote des religiösen Supermarkts hereinfalle, der uns umgibt, dass ich glaube, das sei ja alles ganz in Ordnung, nur weil es irgendwie ganz fromm oder religiös oder nach Gott klingt. Dann kann es sein, dass ich entweder in einer Sekte lande oder mir meinen Privatglauben zusammenschraube, der mit dem Glauben an Christus nicht mehr viel zu tun hat, der mich am Ende mit meinem Segelboot ganz woanders ankommen lässt, als ich ursprünglich vorgehabt hatte. Ja, das kann passieren, dass ich am Ende das Ziel meines Lebens verfehle, eben weil ich in meinem Glauben niemals erwachsen geworden bin.
Wie gesagt, das mit dem geistlichen Erwachsenwerden geht nicht von selbst. Da ist schon Training nötig, oder, wie es der Apostel Paulus hier formuliert, Zurüstung. Ja, die Kirche ist in der Tat so etwas wie eine geistliche Muckibude, die uns hilft, im Glauben zu wachsen, zu reifen, stärker zu werden. Und das ist eben eine besondere Aufgabe der Hirten und Lehrer, wie Paulus sie hier nennt, also der Pastoren, wie wir sie heute nennen: Sie sollen den Gemeindegliedern helfen, im Glauben zu wachsen, sollen ihnen helfen, im Glauben erwachsen zu werden, dass sie sich nicht von allen möglichen falschen Lehren, Vorstellungen und Religionen umpusten lassen, sondern Kurs halten, dass sie nicht zuletzt auch immer wieder erkennen, dass Christen die Kirche brauchen, um im Glauben voranzukommen. Dabei sollen die Pastoren also den Gemeindegliedern helfen, reife, mündige Christen zu werden, die selber ein Urteilsvermögen haben, die zwischen dem Zeitgeist und dem Heiligen Geist, zwischen Mehrheitsmeinung und dem Willen Gottes unterscheiden können, ja, deren Umgang mit anderen Menschen geprägt ist von der Liebe, die wir von Christus geschenkt bekommen haben.
Aber vor allem bleibt es eben die Aufgabe der Hirten und Lehrer, der Pastoren, den Gemeindegliedern zu helfen, immer mehr auf das Haupt hin zu wachsen, auf Christus. Dem soll alles dienen, was sie in der Gemeinde machen, dass die Gemeindeglieder immer fester mit Christus verbunden werden. Darum ist es ihre erste Aufgabe, Gottes Wort zu verkündigen und die Sakramente auszuteilen. Ohne die wächst und reift im Glauben und in der Kirche gar nichts.
Gemeindeglieder werden es immer wieder erleben, dass diejenigen, die sie als Hirten und Lehrer, als Pastoren erleben, menschlich gesprochen ziemliche Nieten und Flaschen sind. Aber das, was sie austeilen, ist trotzdem Kraftnahrung, kann trotzdem helfen, stärker und reifer zu werden, kann vor allem helfen, trotz allem die Verbindung zu Christus zu halten.
Gott geb’s, dass ihr hier in der Gemeinde alle miteinander weiter geistlich wachst, dass ihr euch nicht selber etwas vormacht und meint, auch mit einem selbstgebastelten Glauben bei Gott durchkommen zu können, sondern wahrhaftig werdet und bleibt. Ja, Gott geb’s, dass ihr Christus immer besser kennenlernt und darum immer klarer erkennt, wo ihr ihm begegnen könnt: eben nicht in euren Gedanken und Gefühlen, sondern allein hier in seinem Heiligen Mahl. Ja, Gott geb’s, dass ihr alle miteinander wisst, warum wir als Christen allen Grund haben, heute Pfingsten zu feiern: den Geburtstag der Kirche, in der wir durch Christus selig werden sollen. Amen.