22.07.2012 | Philipper 2,1-4 | 7. Sonntag nach Trinitatis

„Ich habe keinen Bock!“ – Vielleicht habt ihr solch eine Äußerung auch schon einmal gehört, ja, vielleicht gehören solche Äußerungen sogar in euren eigenen Sprachschatz hinein. „Ich habe keinen Bock!“ – Ich habe keine Lust, etwas zu tun, was mir nicht passt, was nicht meinem eigenen Vorteil dient, was unbequem ist und nervt. Dieses Gefühl ist uns wohl allen nicht ganz unbekannt; es gibt wohl bei uns allen bestimmte Tätigkeiten, bestimmte Aufgaben, auf die wir keinen Bock haben.

Doch die Aussage „Ich habe keinen Bock!“ ist in vielen Fällen nicht bloß eine Beschreibung der Gefühlslage dessen, der diese Aussage tätigt, sondern ist oft genug auch schon eine scheinbar ausreichende Begründung dafür, das, worauf man keinen Bock hat, dann auch gar nicht zu tun. Wenn ich auf etwas keinen Bock habe, dann muss ich es eben sein lassen, dann muss ich eben darauf warten, dass ich wieder den Bock bekomme, der nötig ist, um die Aufgabe in Angriff zu nehmen.

„Ich habe keinen Bock!“ – Dieser Einstellung kann man durchaus auch in der Arbeit in Kirche und Gemeinde begegnen: Die Kirche nehme ich in Anspruch, wenn sie mir was bringt, wenn ich daran Spaß habe, wenn ich durch sie Vorteile habe. Aber dass ich in ihr etwas tun soll, erst recht etwas, worauf ich gar keinen Bock habe, das geht dann doch zu weit! Und überhaupt: Wenn mir das nicht passt, was ich da in der Kirche, in der Gemeinde erlebe, wenn das nicht meinen persönlichen Wünschen und Bedürfnissen entspricht, dann komme ich eben nicht mehr, dann lasse ich es eben bleiben! Nein, das ist wahrlich nicht nur eine Einstellung von manchen Jugendlichen, das ist eine Einstellung, die man auch bei so manchen Älteren beobachten kann, auch wenn die sich dabei vielleicht sprachlich etwas anders ausdrücken als die Jüngeren.

So ganz neu ist die Sache mit dem „Null Bock“ im Übrigen auch nicht. Schon der Apostel Paulus hatte sich mit einer ganz ähnlichen Einstellung damals bei Gliedern der christlichen Gemeinde in Philippi auseinanderzusetzen: „Ein jeder sehe nicht auf das Seine“, so schreibt es St. Paulus den Christen in Philippi ins Stammbuch: Lasst euch in eurem Zusammenleben in der  Gemeinde nicht von dem leiten, worauf ihr Bock habt, was euch etwas bringt, schaut nicht auf euren Vorteil, sondern schaut auf das, was die anderen in der Gemeinde brauchen, was den anderen in der Gemeinde dient!

Zum Umdenken ruft damit der Apostel Paulus die Christen in Philippi auf, ruft er auch uns auf. Die Kirche ist kein Selbstbedienungsladen, sondern sie ist Familie Gottes, Kraftfeld des Heiligen Geistes. Und eben darum ist es uns als Christen möglich, anders zu leben, anders zu entscheiden, uns nicht vom vorhandenen oder fehlenden Bock bestimmen zu lassen, so macht der Apostel es in den Versen unserer heutigen Predigtlesung deutlich.

Um zu verstehen, worum es St. Paulus hier geht, müssen wir ein wenig über den letzten Vers unserer heutigen Predigtlesung hinausschielen. Da spricht Paulus anschließend nämlich von Christus und von dem Weg, den er für uns gegangen ist, bis zum Tod am Kreuz. Es wird uns in der Heiligen Schrift nicht berichtet, dass Christus auf diesen Weg bis zum Kreuz sonderlichen Bock gehabt hätte. Bequemer hatte er es allemal im Himmel, in der Herrlichkeit, die sein ewiges Zuhause war. Doch Christus hat eben nicht danach gefragt, worauf er Bock hatte, worauf er Lust hatte, was ihm gerade besonders Spaß machte. Sondern er ging seinen Weg bis zum Kreuz aus Liebe zu uns, verzichtete auf alle Vorteile und Privilegien, gab alle Ansprüche auf, die er hatte, nur um zu tun, was für unser Heil nötig war.

St. Paulus stellt uns Christus nun allerdings nicht bloß als großes Vorbild vor Augen. Das würde uns nicht unbedingt motivieren, vielleicht sogar eher frustrieren, wenn wir merken, wie weit wir in unserem Leben hinter Christus zurückbleiben, wie oft wir uns eben doch immer wieder von dem leiten lassen, was uns nützt und worauf wir gerade Lust hat, wie wenig wir oftmals dazu bereit sind, uns auf das einzulassen, was die Menschen in unserer Umgebung, was gerade auch die Schwestern und Brüder in unserer Gemeinde brauchen. Sondern St. Paulus stellt uns Christus und seinen Weg vor Augen, um uns deutlich zu machen, dass er diesen Weg für uns gegangen ist bis zum bitteren Ende, dass er unsere Schuld auf sich genommen hat, die Strafe für unsere „Null-Bock-Haltung“ gegenüber der Not anderer, für unser Desinteresse an dem, was dem anderen dient, für unser Kreisen um uns selbst. Christus ermöglicht uns den Neuanfang, möchte gerade nicht, dass wir an unserer „Null-Bock-Haltung“ zugrunde gehen, an unserem Versagen gegenüber dem, was Gott von uns erwartet. Ja, St. Paulus stellt uns Christus hier so groß vor Augen, um uns daran zu erinnern, dass wir doch seit unserer Taufe „in Christus“ sind, mit ihm verbunden, mit ihm eins, von ihm geprägt. Für uns Christen braucht eben nicht die entscheidende Frage zu sein, ob wir auf etwas Bock haben, sondern ob wir Christus haben, ob der in uns lebt, ob der uns bestimmt mit seiner Liebe, mit seiner Bereitschaft zu Hingabe und Verzicht. Und Paulus macht es uns ganz deutlich: Jawohl, diesen Christus habt ihr, das gilt seit eurer Taufe, und das wird immer wieder neu in eurem Leben Realität, wenn ihr den Leib und das Blut Christi im Sakrament empfangt. Und das wirkt sich auch schon aus in eurem Zusammenleben in der Gemeinde in Philippi, so beschreibt es der Apostel hier in unserer Predigtlesung. Und was er da schreibt, das gilt eben nicht bloß für die Christen damals vor knapp 2000 Jahren in Nordgriechenland, das gilt auch ganz konkret für uns heute hier in unserer Gemeinde in Berlin.

Christus prägt euch, schreibt er, darum gibt es bei euch zunächst einmal „Ermahnung in Christus“. Das gibt es bei euch, dass ihr in der Gemeinde nicht bloß über das schlechte Sommerwetter und über den Urlaub redet, sondern euch auch darüber Gedanken macht, wie ihr anderen Gemeindegliedern helfen könnt, bei Christus zu bleiben, die Verbindung zu ihm, zu seinem Heiligen Mahl zu halten. Das gibt es bei euch, dass ihr Menschen ansprecht, einladet, ermutigt, versucht, ihnen Brücken zu bauen, um wieder bei Christus zu Hause zu sein. Das gibt es, dass ihr Gemeindeglieder und Gäste ansprecht hier vor und nach dem Gottesdienst, ihnen deutlich macht, dass ihr euch darüber freut, dass sie hier sind. Das gibt es, dass ihr Gemeindeglieder besucht, mit ihnen über ihre Sorgen, Nöte und Probleme sprecht, dass ihr auch hier in der Gemeinde zusammenkommt in Gemeindekreisen, euch über Fragen des Glaubens austauscht und die anderen, die da mit euch zusammen sind, dadurch stärkt. Ja, so wirkt sich das aus, wenn nicht der Bock, sondern Christus das Sagen hat in der Gemeinde.

Christus prägt euch, schreibt der Apostel, darum gibt es bei euch „Trost der Liebe“. Das gibt es bei euch, dass Menschen, die traurig sind, in eurer Mitte Trost erfahren, dass sie erfahren, dass ihr Leid den anderen in der Gemeinde nicht egal ist, sondern dass die anderen daran Anteil nehmen. Das gibt es bei euch, dass die Gemeinde mit dabei ist, wenn eines ihrer Glieder zu Grabe getragen wird, dass die Gemeindeglieder den Angehörigen beistehen – nicht nur auf dem Friedhof, sondern dann auch wieder im Alltag. Das gibt es bei euch, dass Kranke besucht werden und für sie gebetet wird; das gibt es bei euch, dass Menschen in der Gemeinde so liebevoll aufgerichtet werden, dass sie heil werden an Leib und Seele. Das gibt es bei euch, dass ihr euch für Menschen, denen Unrecht widerfahren ist oder zu widerfahren droht, einsetzt, ihnen liebevoll beisteht. Ja, so wirkt sich das aus, wenn nicht der Bock, sondern Christus das Sagen hat in der Gemeinde.

Christus prägt euch, schreibt der Apostel, darum gibt es bei euch „Gemeinschaft des Geistes“. Das gibt es bei euch, dass Menschen mit ganz unterschiedlicher Herkunft, mit ganz unterschiedlicher Biographie, mit ganz unterschiedlicher Bildung und unterschiedlicher sozialer Stellung doch in einer Gemeinde zusammengeschlossen sind, weil der Geist Gottes, den ihr empfangen habt, wichtiger ist als alle Unterschiede der Herkunft, der Stellung, der Sprache und der kulturellen Prägung.

Das gibt es, dass Menschen in der Gemeinde, bewegt vom Heiligen Geist, ganz vielfältige Aufgaben in der Gemeinde übernehmen. Das gibt es bei euch, dass Menschen, die neu zu euch dazukommen, immer wieder davon erzählen, dass bei euch ein anderer Geist herrscht als anderswo. Ja, so wirkt sich das aus, wenn nicht der Bock, sondern Christus das Sagen hat in der Gemeinde.

Und eben darum gibt es bei euch eben auch herzliche Liebe und Barmherzigkeit, fährt der Apostel fort. Das gibt es, dass ihr alle miteinander aus der Vergebung lebt, die ihr in der Beichte empfangt, und dass sich das dann auch auswirkt in eurem Umgang miteinander, dass ihr die Schwächen anderer nicht ausnutzt und auf ihnen herumhackt, sondern wisst, dass ihr selber auch auf Gottes Erbarmen angewiesen seid. Ja, das gibt es bei euch, dass ihr in der Kraft des Geistes Gottes immer wieder gar nicht darauf achtet, ob ihr zu etwas Bock habt oder nicht, sondern darauf achtet, was die anderen nötig haben und wo ihr selber gebraucht werdet.

Ja, das gibt es bei euch, so schreibt es der Apostel Paulus an die Christen in Philippi – und so kann er es, gottlob, auch an uns schreiben. Ihr seid eine Gemeinde, in der nicht der Bock, sondern Christus regiert und das Sagen hat.

Aber eben darum, so fährt der Apostel fort, achtet auch darauf, dass ihr alles, was ihr in der Gemeinde tut, auch wirklich einmütig tut, dass sich da keiner in den Vordergrund spielt, dass alle darauf achten, was der Verkündigung der frohen Botschaft von Christus dient, und ihre eigenen persönlichen Wünsche dem unterordnen.

Einmütigkeit – ach, Schwestern und Brüder, wie froh bin ich darüber, dass Christus uns das, worum Paulus hier für seine Gemeinde bittet, hier in unserer Gemeinde immer wieder schenkt, dass wir das erfahren dürfen in der Art und Weise, wie wir unsere Gottesdienste feiern, aber auch in unseren Kirchenvorstandssitzungen und Gemeindeversammlungen! Einmütigkeit heißt ja nicht, dass man nicht über Fragen auch kontrovers diskutieren kann, dass man nicht auch mal eine andere Meinung haben kann und darf als die Mehrheit in einer Gemeinde. Sondern Einmütigkeit heißt, dass wir uns bei allen unterschiedlichen Ansichten, die wir hier und da haben können, doch alle auf demselben Weg befinden, dass wir in Fragen des Glaubens und der Lehre beieinander sind und beieinander bleiben, dass wir erfahren, wie uns das gemeinsame Bekenntnis, die gemeinsame Bindung an die Heilige Schrift als das Wort Gottes zusammenhält. Solche Einmütigkeit können nicht wir Menschen schaffen, und solche Einmütigkeit kann auch nicht in einer Kirche mit Appellen oder zweideutigen Kompromissformulierungen hergestellt werden. Solche Einmütigkeit kann immer wieder nur erbeten werden von Gott selber – und als Geschenk empfangen werden. Ach, was für ein Segen ist eine solche Einmütigkeit für eine Gemeinde und Kirche, wie sehr trägt sie dazu bei, dass Menschen in unserer Gemeinde ihr geistliches Zuhause finden und nicht abgestoßen werden durch ungeistliches Gezänk inmitten der Gemeinde! Ja, auch solche Einmütigkeit gründet sich darin, dass in einer Gemeinde nicht der Bock, sondern Christus das Sagen hat.

Letztlich zielt alles, worum es im Zusammenleben unserer Gemeinde geht, darauf, dass wir auf das sehen, was den anderen dient, wie Paulus es hier formuliert. Wenn ich darauf achte, was die anderen in der Gemeinde brauchen, dann wird mein eigener Bock letztlich ganz unwichtig, dann frage ich nicht mehr nach mir, sondern nach den anderen. Und eben dazu ermutigt euch Christus selber heute wieder neu: Habt acht darauf, was die anderen in der Gemeinde nötig haben, fragt nach ihnen, hört auf sie, interessiert euch für sie! Ja, das könnt ihr, weil ihr getauft seid, weil ihr in Christus seid, weil Christus euch immer wieder euer Versagen vergibt, ja, weil Christus euren Bock zu zähmen und in die richtige Richtung zu lenken vermag. Ja, Christus schafft es, was doch eigentlich Menschen unmöglich ist: Dass ihr es fröhlich bekennen könnt: Christus, Kirche, Mitarbeit in der Gemeinde, Dienst für andere – darauf habe ich voll Bock! Amen.