07.10.2012 | 1. Timotheus 4,4+5 | Erntedankfest

81,6 Kilogramm Lebensmittel wirft jeder Bundesbürger jedes Jahr in den Müll. Das ist umgerechnet fast ein halbes Pfund pro Tag, oder noch einmal anders ausgedrückt 235 Euro im Jahr, die wir einfach so in unseren Mülltonnen versenken.

Schwestern und Brüder: Es wäre nun zu billig, mit dem altbekannten Spruch zu kommen, dass man dieses Essen doch besser den hungernden Kindern in Afrika hätte zukommen lassen können. So einfach funktioniert unsere Welt nicht, dass wir die übriggebliebene halbe Gurke in ein Paket stecken und in ein Flüchtlingslager in den Sudan schicken könnten. Und doch tun wir gut daran, angesichts dieser Meldung zu erschrecken, es nicht für normal anzusehen, dass wir vor Lebensmitteln in unserem Land offenbar mittlerweile so wenig Respekt empfinden, dass es uns wenig ausmacht, sie einfach mal so wegzuschmeißen.

Woran liegt das, dass wir hier in unserem Land heutzutage so wenig Scheu haben, so leichtfertig essbare Lebensmittel zu vernichten? Man könnte natürlich historisch argumentieren, darauf verweisen, dass diejenigen unter uns, die 65 Jahre und jünger sind und hier in Deutschland aufgewachsen sind, zumeist nicht mehr erlebt haben, was es heißt, hungern zu müssen, dass sie im Gegenteil in einer Gesellschaft leben, in der Lebensmittel im Überfluss vorhanden sind. Doch hinter diesem Umgang mit Lebensmitteln steckt in Wirklichkeit noch mehr, so zeigt es uns der Apostel Paulus in der Predigtlesung des heutigen Sonntags: Wir nehmen nicht mehr wahr, dass auch diese Lebensmittel Gaben Gottes, Gaben seiner Schöpfung sind – und dass sie eben darum gut sind, Grund zum Dank und zur Freude.

Als der Apostel Paulus damals seinen Schüler Timotheus in seinen Dienst als Prediger des Evangeliums einwies, sprach er ihn auch deutlich auf die Irrlehren und Irrlehrer an, von denen die christliche Gemeinde damals bedroht wurde. Und zu diesen Irrlehren zählte in besonderer Weise die Gnosis, eine religiöse Strömung, die behauptete, diese materielle Welt sei nicht von einem guten, sondern von einem bösen Gott geschaffen worden, und darum bestehe die Erlösung darin, möglichst wenig mit dieser materiellen Welt zu tun zu haben. Wer sich an materiellen Dingen erfreue, der schädige damit sein Seelenheil. Im Gegenteil sollte man sich so weit wie möglich von allem Materiellen fernhalten, solle nur ganz bestimmte Speisen zu sich nehmen – und heiraten sollte man natürlich erst recht nicht; das könnte zu viel irdische Lust mit sich bringen. Und dagegen betont der Apostel Paulus nun: O nein, diese materielle Welt ist nicht schlecht, sie ist nicht das Werk des Teufels oder irgendeines primitiven bösen Untergottes, sondern auch diese materielle Welt mit all dem, was zu ihr gehört, ist Gottes Schöpfung, ist gut, bietet Grund, dem einen Gott zu danken, der zugleich unser Schöpfer und unser Erlöser ist.

Nun ist die Gnosis unter diesem Namen heute in unserem Land nicht mehr sehr weit verbreitet. Doch das Denken und die Lebenseinstellung der Gnosis kommen dem Denken und der Lebenseinstellung vieler Menschen heute doch erstaunlich nahe: Diese gnostischen Ängste kennen wir heute doch auch, diese Ängste davor, sich zu schaden, wenn man dieses oder jenes Lebensmittel isst, die Ängste, wir könnten uns zwar nicht unbedingt um unser ewiges Seelenheil, sehr wohl aber um unser irdisches Heil bringen, wenn wir Nahrung zu uns nehmen, bei der wir nicht sicher sein können, ob sie nicht irgendwelche Schadstoffe oder andere Gefahren in sich birgt.

Ernährungsfragen nehmen auch heute in unserer Gesellschaft immer wieder religiöse Züge an: Wer Falsches isst, ja, wer sich vielleicht gar in einem Fast Food-Restaurant erwischen lässt, wird voller Empörung als Sünder verachtet, der nicht mit der Absolution derer rechnen kann, die sich mit ihrem Verzicht auf den Konsum bestimmter Lebensmittel vorbildlich verhalten. Wer sich dagegen belastungsfrei ernährt, dem winkt als Lohn wenn schon nicht das ewige, aber zumindest ein langes irdisches Leben.
Doch es gibt eben heutzutage auch eine ganz andere Haltung, die dem Essen gar nicht solch eine religiöse Bedeutung zukommen lässt und sich letztlich doch in vielem mit dieser neugnostischen Haltung berührt: Für viele Menschen ist das Essen, sind Lebensmittel nur noch etwas, was wir Menschen selber produziert und hergestellt haben, etwas, was ganz in unserer Verfügungsgewalt steht. Wir machen uns unser Essen, und entsprechend können wir damit dann auch umgehen, wie wir wollen. Mit Gott hat das, was da vor mir auf dem Teller liegt, überhaupt nichts zu tun; es ist ein im Supermarkt erworbener Gegenstand, mehr nicht. Lebensmittel werden auch hier nicht als gute Gabe Gottes wahrgenommen, sondern als Verfügungsmasse für uns Menschen, mit der wir umgehen können, wie wir wollen, und die wir eben auch wegtun können, wie wir wollen.

Doch der Apostel Paulus spricht hier nicht nur das Thema „Nahrung“ an, das uns heute am Erntedankfest besonders naheliegen mag, sondern er spricht auch das Thema „Ehe“ an, warnt als selber Unverheirateter davor, die Ehe zu verteufeln, als ob eheloses Leben gottwohlgefälliger wäre, als verheiratet zu sein. Ach, wie aktuell ist diese Scheu vor der Ehe auch heutzutage wieder neu: Wie viele Menschen haben Angst davor, sich in einer Ehe festzulegen, weil damit ihr irdisches Glück, ihre irdische Selbstverwirklichung gefährdet zu sein scheint! Lieber ohne Ehe bleiben, lieber keine Kinder zeugen, das scheint für das irdische Heil doch die bessere Lösung zu sein! Ja, Schwestern und Brüder, ihr wisst, ich bin selber auch nicht verheiratet, und natürlich gibt es die verschiedensten Gründe, weshalb Menschen nicht verheiratet sind oder keine Kinder haben. Doch nicht zu bestreiten ist er eben, dieser Trend, der Ehe als Gottes guter Schöpfungsordnung zu misstrauen, weil man ihr unterstellt, dass sie eben doch nicht so gut ist, weil man sie nicht als Gottes gute Stiftung anzunehmen vermag.

Ach, Schwestern und Brüder: Wie aktuell ist auf diesem Hintergrund das, was der Apostel Paulus hier schreibt: Wir brauchen uns vor dem Essen, das vor uns auf dem Tisch steht, nicht zu fürchten. Es ist, wenn auch vielleicht schon durch manche Verarbeitungsprozesse gegangen, doch Gottes gute Gabe. Bei all dem, was wir zu uns nehmen, brauchen wir als Christen keine Angst zu haben, dass uns das schaden könnte, sondern wir dürfen uns mit jedem Bissen daran erinnern lassen, wie gut es Gott mit uns meint.

Ja, gerade beim Essen sollen wir immer wieder daran denken: Wir verdanken unser Leben und unser Überleben nicht uns selber, nicht unseren Fähigkeiten, nicht unserem Einsatz. Alles, was wir haben und sind, ist Gabe und Geschenk Gottes, der uns darin seine Liebe erkennen lassen will. Und diese Haltung, die wir beim Essen immer wieder einüben können und dürfen, die kann und soll dann auch unser ganzes weiteres Leben prägen: Was Gott uns schenkt, was er für uns geschaffen hat, das ist gut, das brauchen wir nicht in Frage zu stellen, dass wir es besser wissen als er. Darum machen wir in der Kirche Mut zur Ehe, Mut zum verbindlichen Zusammenleben in der Ordnung Gottes, weil wir wissen: Gott hat es gut mit uns Menschen gemeint, als er die Ordnung der Ehe gestiftet hat; und eben darum kann die Ehe eines Mannes und einer Frau niemals zu einem gesellschaftlichen Auslaufmodell werden. Was Gott uns schenkt, was er für uns geschaffen hat, das ist gut: Ja, das gilt schließlich auch für den einen Tag in der Woche, den er aus allen anderen herausgehoben hat, damit wir uns an ihm versammeln, um die eine Speise zu empfangen, die nicht bloß unser irdisches Leben verlängern soll, sondern die uns in der Tat ewiges, unvergängliches Leben schenkt. Ja, Gott meint es gut mit uns, dass er uns sein Gebot gegeben hat, diesen einen Tag zu heiligen, ihn ganz ihm, Gott, zur Verfügung zu stellen und ihn nicht mit allem möglichen Anderen, was scheinbar so wichtig ist, zuzumüllen.  

Ja, wir wissen, diese Welt ist nicht mehr so gut, wie Gott sie ursprünglich einmal geschaffen hat. Der Mensch hat so vieles von dem, was Gott so gut gemacht hatte, verdorben. Das lässt sich bis in die Produktion von Lebensmitteln hinein zeigen, wie wir es in der letzten Woche hier in unserem Kindergarten mit den verseuchten Erdbeeren aus China erlebt haben, das gilt genauso für die Ehe, in der nun nach dem Sündenfall immer zwei Sünder versuchen müssen, miteinander klarzukommen, und das gilt auch für den einen Tag in der Woche, der nach Gottes Willen so ganz anders sein soll als die anderen und der dann doch immer wieder belastet ist von so vielem, was diesen Tag als Gottes gute Gabe oftmals kaum noch erkennbar werden lässt – angefangen schon bei den vielen Erwartungshaltungen anderer Menschen, die an uns herangetragen werden, was wir angeblich ausgerechnet am Sonntagmorgen und sonst zu keiner anderen Zeit machen sollen.

Wie können wir mit dieser Entfremdung von Gottes guten Gaben als Christen am besten umgehen? Paulus gebraucht hier ein ganz wichtiges Wort: Er spricht von der Danksagung: Nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird. Wenn ich Essen mit Danksagung zu mir nehme, dann erkenne ich es wieder neu als Gottes Geschenk an mich an, dann ist es für mich weder eine Bedrohung noch ein Produkt, das ich gemacht habe. Wenn ich Essen mit Danksagung zu mir nehme, dann gebrauche ich es wieder so, wie es ursprünglich von Gott gemeint war. Dann tut es auch mir gut, dieses Essen als Gabe und Geschenk Gottes zu mir zu nehmen.

Was heißt das alles nun für uns Christen ganz praktisch? Dreierlei möchte ich hier am Schluss der Predigt noch kurz ansprechen:
Nummer eins: Lasst es bei euch ja nicht einreißen, dass ihr eine Mahlzeit ohne Tischgebet zu euch nehmt! Wenn die anderen um euch herum keine Ahnung mehr davon haben, dass das Essen, das vor ihnen steht, Gabe und Geschenk Gottes ist, ist das für euch noch längst kein Grund, euch auch so kurzsichtig zu verhalten wie sie. Lasst es euch nicht nehmen, vor dem Essen um Gottes Segen zu bitten, und am Ende auch noch einmal den Dank Gott gegenüber auszusprechen für seine Gaben, mit denen er euch beschenkt hat! Übt das Tischgebet ganz selbstverständlich mit euren Kindern ein, ja, erweckt auch bei eurem Freund, bei eurer Freundin nicht den Eindruck, als ob ihr auf das Tischgebet erst einmal auch ganz gut verzichten könntet! Es geht hier nicht um kirchliche Benimmregeln. Es geht darum, dass wir Gott in seinen Gaben ja nicht aus dem Blick verlieren und so leben, als habe er mit den Gaben, die wir empfangen, eigentlich gar nichts zu tun.

Zweiter Hinweis: Geht sorgsam mit dem Essen um, das euch Gott geschenkt hat und über dem ihr dann auch das Tischgebet gesprochen habt! Es passt in der Tat nicht, dass wir zuerst über dem Essen das Tischgebet sprechen und anschließend halbvolle Teller in den Mülleimer schütten, dass wir dreimal abbeißen und den Rest des Essens wie Dreck behandeln. Es passt nicht zu unserem Glauben als Christen, wenn wir achtlos mit Lebensmitteln umgehen und uns bei der Summe der weggeworfenen Lebensmittel nicht sehr von Nichtchristen unterscheiden! Denkt daran: Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, ist seine gute Gabe!

Und dritter Hinweis: Gewöhnt es euch, falls nötig, ab, über das Essen, das vor euch steht, schlecht zu reden und zu klagen. Es passt nicht zusammen, über dem Essen zunächst ein Dankgebet zu sprechen und dann anschließend darüber zu jammern, dass die Sauce zu den Scampis aber nicht genügend fein abgeschmeckt ist. Es passt nicht zusammen, über dem Essen zunächst ein Dankgebet zu sprechen und dann anschließend damit herumzuspielen. Es ist und bleibt ein Geschenk Gottes, das wir da zu uns nehmen. Und dieses Geschenk soll uns nicht zuletzt auch daran erinnern, dass unser Leben schließlich doch in eine ganz große Festmahlzeit münden wird, wenn wir einmal für immer bei Gott an seinem Tisch feiern werden, essen werden vom Baum des Lebens, ohne je noch einmal Angst haben zu müssen, dass wir uns noch einmal zu Tode essen könnten. Ja, feiern wir darum auch heute wieder das Mahl der Danksagung, die Eucharistie, lassen wir uns dabei schon einen Vorgeschmack dieses nie mehr endenden Mahles schenken, und lernen wir es hier und heute wieder neu: Gottes Gaben sind gut – und er schenkt sie uns, allein aus Gnaden. Amen.