26.12.2012 | 2. Chronik 24,19-21 | St. Stephanus

„Wie viele Divisionen hat der Papst?“ – So fragte Josef Stalin spöttisch, als nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs der Vorschlag aufkam, den Vatikan an den Friedensverhandlungen zu beteiligen. So zynisch Stalins Frage auch klingt – sie bringt doch die Realitäten dieser Welt scheinbar genau auf den Punkt: Wenn ich hier auf der Erde etwas erreichen will, dann brauche ich Macht, dann muss ich stärker sein als andere, muss meine Macht zur Not eben auch mit Gewalt durchsetzen können. Und vielleicht warte ich noch nicht mal auf die Not, setze meine Macht einfach so durch, weil ich weiß, dass ich stärker bin als die anderen. Wieso sollte ich das nicht ausnutzen?

Hat Stalin etwa nicht recht? Ist es nicht völlig naiv zu glauben, man könne in dieser Welt etwas ohne Gewalt, ohne politische Mittel, gleich, welcher Art, durchsetzen? Ja, wer so weltfremd ist, der wird am Ende schon selber erleben, was er von solchem Gutmenschentum hat!

Immer wieder hat auch die christliche Kirche in der Gefahr gestanden, dem Denken Stalins zu folgen. Der Papst hat tatsächlich im Verlaufe der Geschichte auch seine Heere gehabt, die längst nicht immer so friedlich waren wie die Schweizer Garde heute. Und immer wieder haben Kirchen geglaubt, sie seien gut beraten, dadurch Macht und Einfluss zu gewinnen und zu sichern, dass sie sich mit den Mächtigen dieser Welt verbündet haben, dass sie zahlenmäßige Größe als Machtmittel eingesetzt haben. Diese Spielchen gibt es bis heute, ja auch hier in unserem Land.

Doch Gott macht diese Machtspielchen nicht mit. Natürlich könnte er dabei mithalten, wenn er wollte, hätte es in der Hand, allen Menschen den Glauben an ihn aufzuzwingen. Wenn Gott seine Divisionen zum Einsatz bringen würde, hätte keine Weltmacht auch nur die geringste Chance, gegen ihn anzukommen. Doch Gott zieht es allen Ernstes vor, sich auf andere Weise in dieser Welt durchzusetzen, so feiern wir es nun wieder staunend zu Weihnachten: nicht mit Panzern, nicht mit einem Religionskrieg, nicht durch Anbiederung an die politisch Mächtigen dieser Welt. Gott setzt sich in dieser Welt eben damit durch, dass er ganz schwach wird, ein kleines Baby in einer Futterkrippe. So knöpft er sich Stalin mit seinen Divisionen vor, so knöpft er sich auch heute einen Herrn Ahmadinezhad vor. Denn Gott will keine Duckmäuser haben, die vor ihm zittern und vor ihm auf den Bauch fallen. Er will die Herzen der Menschen gewinnen. Und die gewinnt man eben nicht mit Zwang und Gewalt, nicht mit Maschinengewehren und der Androhung der Todesstrafe.

Ist Gott naiv? Wenn wir uns die Geschichte anschauen, mag es diesen Anschein haben. Da hören wir in der alttestamentlichen Lesung dieses Festtags, wie Gott darauf reagiert, dass sein Volk inklusive des Königs anfängt, Götzendienst zu betreiben, sich heidnischen Fruchtbarkeitskulten zuzuwenden. Unglaublich war das, was diese Leute da machten; verständlich wäre es gewesen, wenn Gott sie alle miteinander platt gemacht hätte. Doch stattdessen schickt Gott seinem Volk Propheten – Leute, die keine Waffe in der Hand trugen, die kein anderes Machtmittel hatten als das Wort Gottes allein. Und damit riskiert Gott, nach menschlichen Maßstäben zu scheitern, abgelehnt zu werden, nicht gehört zu werden. Genauso geschieht es dann auch: „Sie nahmen’s nicht zu Ohren“, heißt es hier.

Und damit nicht genug: Einem der Propheten, die im Auftrag Gottes dem Volk gegenüber Klartext redeten, erging es noch übler: Dafür, dass Secharja dem Volk verkündigt, dass sie die Gebote Gottes übertreten haben, wird er schließlich gesteinigt, und zwar ausdrücklich auf Befehl des Königs, und dann auch noch im Vorhof des Tempels. Was für eine Provokation Gottes, der diesen Propheten doch zu seinem Volk gesandt hatte!

Doch Gott ändert seine Taktik nicht: Er versucht es auch weiter immer wieder mit seinen Boten, die den Menschen, die seinem Volk Gottes Wort verkündigen, nimmt es immer wieder in Kauf, in den Boten selber verhöhnt und abgelehnt zu werden. Und schließlich macht er sich dann selber auf den Weg zu den Menschen, wieder nicht als Generalfeldmarschall, nicht als Panzerkommandeur, nicht als Größter Feldherr aller Zeiten, sondern als kleines Kind in der Krippe, als einer, der später auf einem Esel in seine Stadt Jerusalem einzieht, auf einem Esel, der für militärische Einsätze nun wirklich nicht geeignet war. Und wohin das alles geführt hat, wissen wir: Ans Kreuz hat es den geführt, dessen Geburt wir in diesen Tagen feiern. Und selbst da am Kreuz verzichtet der, der da hängt, noch darauf, seine Legionen zum Einsatz zu bringen, bleibt seinem Weg treu bis in den Tod.

Doch das Unfassliche ist geschehen: Auch fast 2000 Jahre, nachdem die Mächtigen dieser Welt meinten, den Gekreuzigten zum Schweigen gebracht zu haben, nachdem sie meinten, gezeigt zu haben, wer der Stärkere ist, wird dieses Kind in der Krippe, wird dieser Mann am Kreuz überall auf der Welt von Hunderten Millionen Menschen als Herr und Gott verehrt, nehmen Menschen das Wort dieses Gekreuzigten zu Ohren und vertrauen ihm. Auch ohne militärische Divisionen hat das Kind in der Krippe seine Herrschaft ausgebreitet, lebt und herrscht weiter, während Stalins Macht längst vergangen ist.

Das heißt nicht, dass Menschen in der Nachfolge ihres Herrn Jesus Christus heute nicht immer wieder genau dasselbe erfahren würden, was damals schon die Propheten zur Zeit des Alten Testaments erfuhren, was der heilige Stephanus als erster Märtyrer nach Ostern erfuhr. Bis heute können es so viele Mächtige auf Erden einfach nicht ab, dass die Botschaft von dem gekreuzigten Gott in ihrem Herrschaftsbereich verkündigt wird. Und sie setzen ihre Machtmittel mit aller Gewalt, mit aller Brutalität ein, um das Wort dieses scheinbar so schwachen Gottes zum Schweigen zu bringen: Geheimpolizei, Verhaftungen, Folter, Konzentrationslager, Todesstrafe – die ganze Palette, die man als Machthaber so auf Lager hat. Besonders praktisch ist es natürlich, wenn man es wie jener König in unserer alttestamentlichen Lesung machen kann, wenn man sein Volk dazu bewegen kann, in spontanem Volkszorn das auszuführen, womit man sich dann selber nicht mehr die Finger schmutzig zu machen braucht. Dann kann man nach außen von Religionsfreiheit reden, weil man weiß, dass man seine Leute hat, die die missliebigen Christen unter der Hand zur Strecke bringen.

Ja, alles haben die Feinde Christi im Laufe der Kirchengeschichte versucht, um Christus und sein Wort zum Schweigen zu bringen. Ob es die römischen Kaiser in den ersten Jahrhunderten der Kirche waren oder die Kommunisten im 20. Jahrhundert oder noch bis heute in Nordkorea und auch immer wieder noch in China, oder ob es nun heutzutage vor allem die islamischen Regime sind, die alles daran setzen, den christlichen Glauben, ja die Christen selber zu vernichten – alle haben sie ihre Divisionen gegen Christus aufgefahren. Unzählige Christen haben sie dabei in der Tat umgebracht und tun es bis heute – noch nie sind in einem Jahrhundert so viele Christen um ihres Glaubens willen ermordet worden wie im 20. Jahrhundert, und das 21. Jahrhundert schließt sich daran nahtlos an. Doch die Ausbreitung des christlichen Glaubens haben sie damit nicht stoppen können, haben bis heute keine Chance gegen die Macht des scheinbar so schwachen Wortes Gottes. Das Regime im Iran hat mittlerweile die christlichen Hauskirchen, die überall wie Pilze aus dem Boden schießen, zur größten Bedrohung für die innere Sicherheit des Landes erklärt. Es gelingt ihm mit allen brutalen Maßnahmen nicht, zu verhindern, dass sich die Botschaft von dem gekreuzigten Christus immer weiter verbreitet. Ja, gerade da, wo man den größten Druck gegen die christliche Botschaft ausübt, breitet sie sich offenbar am schnellsten aus.

Es gibt offenbar nur eine Möglichkeit, wie man die Ausbreitung der christlichen Botschaft effektiv hindern kann: Wenn es nämlich die Kirche selber tut, wenn sie den Auftrag, den Christus ihr gegeben hat, nicht mehr wahrnimmt, weil sie sich dessen schämt, was sie den Menschen sagen sollte. Wenn die Kirche statt auf die Kraft des Geistes Gottes lieber auf die Zustimmung von Mehrheiten setzt, wenn sie sich scheut, wie einst Secharja klar davon zu sprechen, wo und wie Menschen Gottes Gebote übertreten, und stattdessen einen Kuschelgott verkündigt, der einfach nur für alles Verständnis hat und sich eilfertig von gesellschaftlichen Entwicklungen zur Revision seines Wortes veranlassen lässt, dann steht sie auch nicht mehr unter der Verheißung, die denen gilt, die Gottes Wort unverfälscht verkündigen und sich auf dieses Wort ohne Einschränkung verlassen.

Fragen wir uns darum selber: Sind wir dazu bereit, uns Gottes Wort auch dann sagen zu lassen, wenn es uns nicht passt, wenn es uns ärgert, wenn es uns gegen den Strich geht – oder kreiden wir es dann dem an, der uns dieses Wort verkündigt, nehmen es ihm übel? Sind wir mitunter in unserem Herzen vielleicht auch gar nicht so weit entfernt von dem Volk in Jerusalem damals, das den Secharja auf seine Weise zum Schweigen brachte und sich von ihm nicht mehr stören ließ? Ja, machen wir es uns immer wieder neu klar, dass dieses scheinbar so anstößige, schwache Wort Gottes, das uns verkündigt wird, in Wirklichkeit doch Gottes entscheidendes Machtmittel ist, mit dem er die Herzen der Menschen verändert und gerade so zeigt, dass ihm alle Macht gegeben ist im Himmel und auf Erden?

Nehmen wir darum zu Ohren, was Gottes Boten uns in Gottes Auftrag zu sagen haben, ob es uns gefällt oder nicht. In Wirklichkeit sind wir doch so viel besser dran als das Volk damals in Jerusalem: Uns deckt Gott nicht allein unser Versagen, unsere Übertretung seiner Gebote auf, sondern lässt uns den verkündigen, der durch seinen Tod am Kreuz die Strafe für unser Versagen auf sich genommen hat. Das Kind in der Krippe ist eben nicht bloß ein Prophet, sondern unserer Retter von Sünde, Tod und Teufel. Und darum tun wir gut daran, uns an dieses Kind zu halten, uns zu ihm, Jesus Christus, zu bekennen, auch wenn wir damit manchmal vielleicht ziemlich allein dastehen mögen. Wir haben es hier in unserem Land allemal so viel einfacher als so viele unserer Brüder und Schwestern überall auf der Welt, müssen allerhöchstens die eine oder andere verbale Steinigung befürchten. Doch selbst wenn diejenigen, die Gottes Wort nicht ertragen können, auch in unserem Land noch ganz andere Machtmittel in die Hand bekommen sollten, tun wir gut daran, bei ihm, Christus, zu bleiben. Denn sein scheinbar so schwaches Wort ist und bleibt stärker als alles, was Menschen dagegen anführen mögen. Mehr als dieses Wort brauchen wir auch nicht. Denn dieses Wort wird bleiben, auch wenn alles andere einmal vergehen wird. Ja, dieses Wort wird dich und mich, wird uns alle miteinander selig machen. Amen.