30.01.2011 | St. Matthäus 14,22-33 | 4. Sonntag nach Epiphanias

Und alsbald trieb Jesus seine Jünger, in das Boot zu steigen und vor ihm hinüberzufahren, bis er das Volk gehen ließe. Und als er das Volk hatte gehen lassen, stieg er allein auf einen Berg, um zu beten. Und am Abend war er dort allein. Und das Boot war schon weit vom Land entfernt und kam in Not durch die Wellen; denn der Wind stand ihm entgegen. Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem See. Und als ihn die Jünger sahen auf dem See gehen, erschraken sie und riefen: Es ist ein Gespenst!, und schrien vor Furcht. Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach: Seid getrost, ich bin's; fürchtet euch nicht! Petrus aber antwortete ihm und sprach: Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser. Und er sprach: Komm her! Und Petrus stieg aus dem Boot und ging auf dem Wasser und kam auf Jesus zu. Als er aber den starken Wind sah, erschrak er und begann zu sinken und schrie: Herr, hilf mir! Jesus aber streckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn und sprach zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt? Und sie traten in das Boot und der Wind legte sich. Die aber im Boot waren, fielen vor ihm nieder und sprachen: Du bist wahrhaftig Gottes Sohn!

In Gabun ist vor einigen Jahren ein Pfarrer einer Pfingstkirche ertrunken. Er hatte aus der Predigtlesung des heutigen Sonntags geschlossen, dass Jesus auch ihm versprochen habe, über Wasser gehen zu können, und hatte sich daraufhin an einem Strand der Hauptstadt Libreville daran gemacht, die Mündung des Flusses Komo zu überqueren, deren Durchquerung mit einem Boot immerhin rund zwanzig Minuten dauert. Selbstbewusst, wie er war, hatte er gleich einen Fotografen an den Strand bestellt, der seine wundersame Überquerung der Flussmündung mit seiner Kamera festhalten sollte. Doch der Fotograf und eine Reihe von Gläubigen mussten zusehen, wie der Pfarrer schon bald in den Fluten versank und, da er offenbar nicht schwimmen konnte, darin ertrank.

Die Geschichte von dem über das Wasser laufenden Jesus hat seit jeher die Menschen fasziniert; ja, es ist erstaunlich, dass viele Menschen in unserem Land, die ansonsten von Jesus und dem, was er getan hat, nicht die geringste Ahnung haben, das eine doch von ihm wissen, dass er angeblich über Wasser laufen konnte. Und da sie das in Wirklichkeit natürlich nicht glauben, werden sie nicht müde, begleitet vom leisen Rattern der Bartwickelmaschine, den Witz zum zwanzigtausendsten Male zu wiederholen, dass Jesus in Wirklichkeit wusste, wo im See Genezareth die Steine unter der Wasseroberfläche liegen.

Doch eben darum soll es nun in dieser Predigt nicht gehen, dass ich euch irgendwie erkläre, wie Jesus es in Wirklichkeit geschafft hat, sich oberhalb der Wasseroberfläche vom Ufer bis zu dem Schiff mitten auf dem See zu begeben. Wenn wir in das Bekenntnis derer einstimmen, die damals in dem Boot auf dem See Genezareth saßen, und mit ihnen sprechen: Du bist wahrhaftig Gottes Sohn!, dann erübrigen sich alle Diskussionen zu diesem Thema, dann wollen wir es dem, der Herr über alle Naturgewalten ist, auch zutrauen, dass er bei der Überquerung des Sees Genezareth auch mal aufs Schwimmen verzichten konnte. Wir, Schwestern und Brüder, sind nicht Jesus, und wir haben von ihm auch weder den Auftrag noch die Verheißung, das, was er damals auf dem See Genezareth gemacht hat, nun auf anderen Gewässern ebenfalls vollbringen zu können. Das wäre glatte Schwärmerei, die leicht tragisch enden kann, wie im Fall jenes charismatischen Pastors in Gabun. Und von daher empfehle ich euch die Überquerung der Krummen Lanke auch weiterhin nur ab einer Eisdicke von 10 Zentimetern.

Und doch würden wir das, was uns St. Matthäus hier in unserer Predigtlesung berichtet, nicht recht verstehen, wenn wir diese Worte nur als Bericht von einem einmaligen sensationellen Geschehen vor langer Zeit wahrnehmen würden. Nein, hochaktuell ist das, was St. Matthäus hier beschreibt, hat eben darum ganz direkt auch mit uns zu tun, weil es derselbe Herr ist, der damals den Jüngern auf dem See begegnete und der uns heute Morgen hier in dieser Kirche entgegentritt. Derselbe Herr ist es, und er macht auch mit uns das Gleiche wie damals mit den Jüngern, besonders mit dem Petrus, auch:

- Er verschont uns nicht vor Stürmen.
- Er ruft uns zu sich.
- Er packt uns bei der Hand.

I.

Wenn Jesus tatsächlich der Herr über alle Naturgewalten ist, wie er sich im Weiteren hier in unserer Geschichte zu erkennen gibt, dann hätte er es eigentlich wissen müssen, wie riskant das war, was er hier mit seinen Jüngern veranstaltete: Er bedrängt sie geradezu, in ein Boot zu steigen und über den See Genezareth ans andere Ufer zu fahren, damit er endlich mal Ruhe hat, um mit Gott, seinem Vater, im Gebet etwas ausführlicher sprechen zu können. Ja, das hätte Jesus doch eigentlich wissen müssen, was für einer Gefahr er seine Jünger damit aussetzte, der Gefahr, von den tückischen Fallwinden erwischt zu werden, die von den Bergen am Westufer des Sees mit einem Mal ganz kräftig wehen konnten und ein Vorankommen eines Fischerbootes mitten auf dem See fast unmöglich machen konnten.

Schwestern und Brüder: Der See Genezareth ist nicht bloß so klein und überschaubar wie der Schlachtensee, den durchschwimmt man nicht einfach mal als abendliche Konditionsübung. Der ist, je nach Wasserstand, bis zu 21 Kilometer lang und 12 Kilometer breit. Und wie kräftig diese Fallwinde blasen können, das habe ich damals selber erlebt am See Genezareth; da mussten wir unsere Sonnenhüte schon mit beiden Händen festhalten, damit sie uns nicht vom Kopf flogen. Auf Sonnenhüte waren die Jünger Jesu damals nicht angewiesen; es war ja mitten in der Nacht. Dafür brauchten sie beide Hände, um das Schiff mitten auf dem See nicht untergehen zu lassen; ja, da kommt man sich dann ganz klein vor, ganz den Naturgewalten ausgeliefert, wenn einem das widerfährt, was St. Matthäus hier schildert, ja, da geht es nicht bloß darum, dass man möglicherweise seekrank wird, da geht es tatsächlich um nicht weniger als um Leben und Tod.

Und, wie gesagt, auf diesen Höllentrip schickt Jesus seine Jünger hier, hilft sogar noch ein wenig nach, damit die Jünger endlich abfahren. Nein, dieser Höllentrip dauert für die Jünger nicht bloß ein paar Minuten, nicht bloß die Länge einer Achterbahnfahrt, der dauert für die Jünger eine gefühlte Ewigkeit, ja, tatsächlich eine ganze Nacht lang, ganz ohne die Gewissheit, dass er am Ende doch gut ausgehen wird. Dies und nichts anderes lässt Jesus seine Jünger hier erfahren.

Und er lässt es eben nicht nur seine Jünger damals erfahren, er lässt es auch uns heute immer wieder erfahren. Jener charismatische Pastor, der bei seinem Versuch, über das Wasser zu laufen, kläglich ertrank, gehörte zu einer Kirche, die ihren Anhängern verkündigte: Wenn du an Jesus glaubst, geht es dir immer gut, dann werden alle deine Probleme gelöst, dann verschwinden alle deine Krankheiten und all deine Sorgen. Das, Schwestern und Brüder, ist nicht die Botschaft des christlichen Glaubens; es ist im Gegenteil eine Botschaft, mit der wir als Christen jämmerlich absaufen würden, wenn wir ihr folgen, ihr vertrauen würden. Die Heilige Schrift zeigt uns, dass Jesus anders mit uns umgeht: Der lässt es offenkundig zu, dass wir in unserem Leben in ganz schwere Stürme geraten, dass es um uns ganz dunkel wird, dass wir keinen Ausweg sehen, wie es mit uns noch weitergehen soll, ja, dass wir sogar den Eindruck bekommen, er, Jesus selber, sei für uns unerreichbar weit weg. Angst, Schrecken und Traurigkeit lässt uns Jesus erleben, bis dahin, dass wir seine Nähe gar nicht mehr als Trost empfinden, sondern selbst ihn nur noch als Bedrohung unseres Lebens wahrzunehmen vermögen, wie die Jünger damals, die nur noch aufschrien, als sie Jesus schließlich sahen, ihn für ein Gespenst hielten, überhaupt nicht erkannten, dass er es war, er, ihr Herr und Retter.

So nüchtern, so gegenwartsnah schildert die Heilige Schrift unsere Situation, unsere Erfahrungen als Christen, stellt uns gerade auch diese Geschichte vor Augen, damit wir uns selbst in ihr wiederfinden und erkennen, dass wir mit solchen Erfahrungen als Christen nicht allein dastehen, dass da auch nicht irgendetwas falsch in unserem Leben, in unserem Glauben gelaufen ist, wenn wir solche Erfahrungen machen. Jesus verschont uns nicht von solchen Erfahrungen; aber er lässt uns in ihnen eben auch nicht allein, auch wenn wir dies manchmal so empfinden mögen.

II.

Und damit sind wir schon beim Zweiten, was uns St. Matthäus hier vor Augen stellt. Während die Jünger in dem Sturm noch um ihr Überleben kämpfen, kommt Jesus zu ihnen – ganz anders, als sie dies erwartet hätten. Jesus findet sie, auch mitten in der dunklen Nacht, kommt zu ihrer Rettung. Doch genau das erkennen die Jünger zunächst überhaupt nicht. Solange sie ihn nur sehen, verwechseln sie ihn mit einem Gespenst, meinen, sich in einem fürchterlichen Gruselfilm zu befinden. Erst in dem Augenblick, als Jesus zu ihnen spricht, als er sich ihnen in seinem Wort zu erkennen gibt, wird ihnen klar, wer es ist, weicht die Furcht bei ihnen, und sie beginnen zu ahnen, dass ihre Rettung nahe ist.

Nicht anders ist es bei uns auch: Ja, natürlich ist Jesus dir gerade auch dann ganz nahe, wenn du meinst, du seiest von ihm verlassen, wenn du um dich herum nichts Anderes als Sturm und Dunkelheit wahrnimmst. Aber in all dem kannst du ihn von dir aus eben nicht erkennen. Du kannst ihn überhaupt nicht erkennen, wenn du nur auf deine Erfahrungen und deine Gefühle blickst. Du findest Jesus nicht in deinen Erfahrungen und Gefühlen – nicht in den schrecklichen und auch nicht in den schönen Gefühlen. Sondern finden und erkennen kannst du Jesus genauso wie die Jünger damals einzig und allein in seinem Wort, in dem er zu dir spricht. Da wird er eindeutig, da zeigt er sich als der, der er in Wirklichkeit ist: nicht als einer, der dir Angst und Schrecken einjagen will, sondern der dir deine Furcht im Gegenteil nehmen will, weil er es auch dir zusagt: „Sei getrost, ich bin’s; fürchte dich nicht!“

Was für eine Kraft dieses Wort hat, das schildert uns St. Matthäus hier in unserer Geschichte am Beispiel des Petrus: Das Wort Christi, das er hört, ruft bei ihm ein ungeheures Vertrauen hervor: „Herr“, so nennt er Jesus jetzt, und wenn er „Herr“ sagt, dann bringt er damit zum Ausdruck, dass er Jesus für stärker hält als all die Naturgewalten, die ihn da im Augenblick umgeben. „Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser!“ Und Jesus reagiert darauf, sagt zum Petrus: „Komm her!“ Und darauf geschieht das Unfassliche: Petrus steigt tatsächlich aus dem Boot und geht Jesus entgegen, jawohl, auf dem Wasser.

Uns verspricht Jesus nicht, dass wir ihm dadurch näher kommen können, dass wir über Wasser laufen. Und weil Jesus es uns nicht versprochen hat, sollen und dürfen wir es eben nicht eigenmächtig versuchen. Aber auch zu uns sagt Jesus: „Komm her!“ Nein, das sagt er nicht bloß jetzt, das hat er zu dir in deinem Leben immer wieder schon gesagt. Und das Wunder ist geschehen, dass du diesen Worten deines Herrn mehr vertraut hast als all den Einwänden und Gegenargumenten, dass das mit dem Glauben an Christus doch alles Quatsch ist, dass das doch kein moderner Mensch mehr ernsthaft glauben kann. Christus hat gesagt: Komm her! Und du bist gekommen, ja auch heute Morgen, auch wenn dir der Zeitgeist dabei ganz kräftig ins Gesicht weht. Ja, bis heute bewirkt Jesus durch sein Wort immer wieder das Wunder des Glaubens, dass Menschen dazu in die Lage versetzt werden, ganz von sich wegzublicken, allein hin auf ihn, Jesus, und gerade so Schritte des Glaubens zu gehen, Schritte, die man letztlich gar nicht erklären kann und die wir eben doch gehen, auch wenn das doch eigentlich gar nicht möglich zu sein scheint.

III.

Und dann kommt das Allerschönste und Allertröstlichste hier in dieser Geschichte:
Der Petrus geht tatsächlich auf dem Wasser. Doch dann wird ihm mit einem Mal klar, dass das doch gar nicht geht, dass er das doch gar nicht kann. Mit einem Mal blickt er nicht mehr auf ihn, Christus, seinen Herrn, der ihn gerufen hat, sondern auf sich selber und auf die eigene Schwachheit. Und schon fängt er an, im Wasser zu versinken.

Brüder und Schwestern, was uns St. Matthäus hier schildert, ist eine ganz wunderbare Beschreibung dessen, wie es auch um unseren Glauben bestellt ist: Glauben heißt tatsächlich: ganz von sich selber, von den eigenen Möglichkeiten, von den eigenen Gefühlen wegzublicken, hin auf ihn, Christus allein, auf seine Möglichkeiten, auf sein Wort. Diesen Glauben wirkt Christus durch sein Wort. Doch sobald wir doch wieder auf uns selber blicken, sobald wir anfangen, unseren eigenen geistlichen Puls zu fühlen, ob wir denn nun einen starken oder einen schwachen Glauben haben, sobald wir glauben, unser Heil, unsere Gemeinschaft mit Christus hinge eben doch von uns, von unseren Fähigkeiten ab, werden wir mit unserem Glauben Schiffbruch erleiden, würden wir todsicher untergehen.

Doch dann schau hin, was Christus hier macht: Er feuert hier nicht den Petrus an, dass er doch stärker glauben soll, dass er sich doch nun endlich eindeutig für ihn entscheiden soll. Er wartet nicht darauf, dass der Glaube des Petrus wieder stärker wird. Sondern er packt den sinkenden Petrus, bewahrt ihn vor dem Untergehen und holt ihn ins Boot zurück.

Genauso verfährt Christus auch mit uns: Er erspart es uns nicht, dass wir mitunter vielleicht auch auf sehr schmerzliche Weise die Erfahrung machen, wie schwach und mickrig unser Glaube ist, wenn es darauf ankommt. Er erspart es uns nicht, zu erfahren, dass unser Glaube überhaupt nicht funktioniert, wenn wir meinen, ihn irgendwie aus uns selber hervorkitzeln zu können. Aber er lässt uns eben nicht untergehen. Sondern da, wo wir an unsere Grenzen stoßen, da packt er auch uns, hält uns fest, lässt uns nicht versinken. Und genau das ist eben Glauben in seinem tiefsten Sinne: nicht eine menschliche Fähigkeit, nicht unsere Bewegung auf Christus hin, sondern die Hand Christi, die uns packt und festhält und uns vor dem Untergang, vor dem ewigen Tod bewahrt. Auf diese ausgestreckte Hand deines Herrn kannst du dich verlassen, darfst sie nun gleich wieder hier spüren und erfahren im Heiligen Mahl. Dass er, Christus, mit seinem Leib und Blut nun gleich zu dir kommt, das hängt eben nicht von deinem Glauben, von deiner Glaubensstärke ab. Der kommt auch zu dir, wenn du es selber gar nicht glaubst und glauben kannst. Ja, er kommt tatsächlich nun gleich zu dir, um dich vor dem Versinken zu bewahren, um deinen schwachen Glauben zu stärken, um dir zu helfen, wieder neu ganz von dir wegzublicken, hin auf ihn.

Nein, um die Macht deines Herrn Jesus Christus zu erfahren, musst du keine Spaziergänge auf der Krummen Lanke üben. Um die Macht deines Herrn Jesus Christus zu erfahren, brauchst du einfach nur hierher zu kommen, hierher, wohin Christus dich ruft, wo er dich packt und festhält und dich niemals absaufen lässt. Mit diesem Herrn an deiner Seite kannst du dann auch Schritte des Glaubens gehen, auch in dieser neuen Woche, die nun vor dir liegt. Keine Angst – seine Hand ist stark genug, um dich zu halten, auch im schwersten Sturm. Amen.