06.02.2011 | St. Matthäus 13,24-30 | 5. Sonntag nach Epiphanias

Gestern sind wir mit unseren Vorkonfirmanden von unserer Freizeit in Weigersdorf zurückgekehrt. Versucht habe ich, was mir möglich war, um den Vorkonfirmanden den christlichen Glauben nahezubringen, ihnen Christus, die Kirche, die Gemeinde lieb zu machen. Ja, wird das etwas bringen, wird das etwas nützen? Wie viele dieser Vorkonfirmanden werden wohl in zwei Jahren am Ende des Unterrichts tatsächlich ihr Konfirmationsgelübde ablegen, werden versprechen, künftig auch freiwillig Christus und seiner Kirche treu bleiben zu wollen, auch ohne Druck, auch ohne Vorgaben des Pastors und ohne Gottesdienstbesuchszettel? Und wie viele dieser Vorkonfirmanden werden dann auch zu dem stehen, was sie bei ihrer Konfirmation versprochen haben, werden dann tatsächlich auch dabei bleiben, werden dann auch noch in zehn oder zwanzig Jahren hier in der Kirche zu sehen sein, ja, auch ganz unabhängig davon, was für ein Pastor hier irgendwann mal vorne stehen wird?

Schwestern und Brüder, das sind ja nicht allein Gedanken, die ich mir als Pastor immer wieder mache, das sind ja Gedanken, die auch euch immer wieder durch den Kopf schießen mögen: Lohnt sich der ganze Aufwand, den wir mit der Kinder- und Jugendarbeit in unserer Gemeinde betreiben, oder ist das alles nur ein Strohfeuer, was wir hier entzünden? Ja, es gibt doch so viele, die früher hier in der Gemeinde mal mit dabei waren und sich jetzt kaum noch blicken lassen – ist das nicht letztlich alles doch vergebliche Liebesmüh, ja, sollte man die, die hier in unserer Gemeinde völlig abgetaucht sind, dann nicht auch am besten ganz offiziell rausschmeißen, aus der Gemeindekartei streichen, damit wir einen besseren Überblick bekommen über die, die wirklich noch hier zur Gemeinde gehören, die wirklich Christen sind?

Eine Mutmachgeschichte erzählt uns Christus, unser Herr, im Heiligen Evangelium dieses Tages, eine Mutmachgeschichte, die uns gleichermaßen vor dem Resignieren bewahren will wie davor, selber nun eine Gemeinde der wahrhaft Gläubigen, der richtigen Christen schaffen zu wollen.

Ein Gleichnis erzählt uns Christus hier, eine Geschichte, die uns helfen soll, zu verstehen, wie Gott sein Reich auch bei uns in unserer Mitte baut. Nein, es kann nicht darum gehen, dass wir alle Details dieses Gleichnisses nun zu deuten und auf uns unsere Situation zu übertragen versuchen. Doch Christus selber leitet uns einige Verse nach unserer heutigen Predigtlesung dazu an, auch auf so manche Feinheit dieser Erzählung genauer achtzuhaben, weil auch sie uns helfen kann, uns selber in unserer Situation als Gemeinde und Kirche heute besser zu verstehen.

Von einer Aussaat erzählt Christus uns hier in diesem Gleichnis. Ja, das kommt häufiger in seinen Gleichnissen vor, dass er das Wachstum des Reiches Gottes mit Aussaat und Ernte vergleicht. Doch schon hier gilt es, genau hinzuschauen. Wer ist es, der aussät? Es sind nicht wir Menschen, es ist nicht der Pastor, sondern es ist Gott selbst, beziehungsweise der, der als der Menschensohn mit dem Vater eins ist, Christus. Es geht in der Kirche nicht darum, dass wir Menschen, auch nicht wir Pastoren es schaffen, andere Menschen, Kinder oder Jugendliche oder Erwachsene „rumzukriegen“, sie zum Glauben zu kriegen oder bei der Stange zu halten. Was auch in unserer Gemeinde geschieht, ist nichts Anderes als ein Teil einer ganz großen Aussaat, die Christus selber in dieser Welt vornimmt. Er sät, und er erntet; es ist sein Unternehmen, das er mit großem Erfolg zum Ziel führt. Nein, der Erfolg unserer Gemeindearbeit, der Erfolg unserer Bemühungen, Menschen für Christus zu gewinnen, hängt gar nicht an uns. Es ist Christus, der der Herr der Ernte bleibt. Wir sind nichts Anderes als seine Knechte, die er gebraucht, die aber nicht die Verantwortung für das haben, was am Ende bei der Aussaat herauskommt.

Was sät der Mensch in dem Gleichnis aus? Es ist guter Same, so betont es Christus ausdrücklich. Es ist Same, der in sich die Kraft trägt, Frucht zu bringen und aufgehen zu lassen. Dieser Same ist das Wort Gottes, das Wort Christi, das Evangelium, das eine Gotteskraft ist, selig zu machen alle, die daran glauben. Diesen guten Samen hat Christus, der Herr, uns, seinen Knechten anvertraut. Nicht wir müssen diesen Samen gut und brauchbar machen, indem wir ihn aufpeppen, ihn für den heutigen Menschen netter und annehmbar erscheinen lassen. Der Same selber hat die Kraft, die Frucht zu bringen; da müssen wir gar nicht nachhelfen. Wie entlastend ist das für mich, für euch, für uns alle! Unsere Aufgabe als Kirche, als Gemeinde besteht tatsächlich nur darin, den Samen, der uns in die Hand gedrückt wird, auszusäen. Um nichts Anderes geht es in jeder Predigt, ging es jetzt auch wieder bei der Freizeit in Weigersdorf, geht es auch jedes Mal, wenn ihr Menschen von Christus erzählt und sie zu ihm einladet. Es liegt nicht an euren rednerischen Fähigkeiten. Es liegt allein an dem guten Samen, was daraus wird.

Und es wird etwas daraus, so macht es uns Christus in seinem Gleichnis deutlich: Am Ende kommt es zur Ernte, und die fällt reichlich aus: Der Weizen, der aus dem guten Samen gewachsen ist, wird am Ende eingesammelt und aufbewahrt. Die Aussaat war nicht vergeblich, sondern ein voller Erfolg. Verlieren wir das niemals aus den Augen: Unsere Arbeit hier in der Gemeinde, ja, auch unsere Bemühungen um Menschen sind nicht vergeblich; all dies ist Teil der großen Aussaat unseres Herrn in der Welt, der eine reiche Ernte verheißen ist. Ja, Menschen werden durch das, was sie hier in der Gemeinde erfahren, was hier an ihnen und mit ihnen geschieht, gestärkt und erhalten zum ewigen Leben, gestärkt und erhalten durch den guten Samen des Wortes Gottes und der heiligen Sakramente.

Eines macht Christus allerdings in diesem Zusammenhang auch gleich deutlich: Alles, was auch hier bei uns in der Gemeinde geschieht, bekommt seinen Sinn und seine Bedeutung letztlich allein von diesem Ziel her, für das die Aussaat erfolgt: Es geht bei uns in der Gemeinde nicht zuerst und vor allem darum, dass wir uns hier in einer Gemeinschaft von netten Menschen wohlfühlen und das eine oder andere erfahren, was uns Spaß macht. Es geht nicht darum, ob die Menschen uns oder im Besonderen den Pastor toll finden und mögen. Sondern es geht in allem, was wir in der Gemeinde tun, letztlich um diese eine Frage: Dient dies dazu, dass Menschen zum ewigen Leben bewahrt werden, dass sie auf den großen Erntetag vorbereitet werden, an dem sich endgültig entscheiden wird, ob der Same die gute Frucht auch bei ihnen gebracht hat? Ja, auch der Sinn und das Ziel einer Vorkonfirmandenfreizeit besteht bei all dem, was wir an Spaß gehabt und an Schönem erlebt haben, doch letztlich allein darin, die Kinder und auch die Jugendlichen, die mit dabei waren, vorzubereiten auf dieses große, allein entscheidende Ziel ihres Lebens.

Ja, das ist schon eine ernste Angelegenheit, denn leider sind wir hier in der Gemeinde, sind wir bei der Aussaat des Wortes Gottes nie einfach unter uns. Christus, der Herr, er hat einen Feind, so formuliert er es hier in dieser Gleichniserzählung ganz offen, und dieser Feind, der möchte Christus seine ganze Ernte durcheinanderbringen, und eben darum wird er auf Griechisch auch der Durcheinanderbringer, der Diabolos, der Teufel genannt. Ja, darauf sollen wir vorbereitet sein, das sollen wir immer wieder ganz nüchtern zur Kenntnis nehmen: Wenn wir in unserer Gemeinde das Wort Gottes aussäen, dann wird der Widersacher, der Feind, dabei nicht tatenlos zuschauen, dann wird er alles versuchen, den Ernteertrag zu mindern.

Wie macht der Feind das? Er sät Unkraut aus, so übersetzt Martin Luther hier. Vom Griechischen her können wir dieses Unkraut noch etwas genauer fassen: Es ist der sogenannte Lolch, noch genauer gesagt: der Taumellolch, eine Pflanze, die dem Weizen zunächst in der Wachstumsphase ganz ähnlich sieht und schließlich genauso Ähren ausbildet wie der Weizen auch. Im Unterschied zum Weizen bleibt der Taumellolch am Ende aber doch bläulich-grün, ist also direkt vor der Ernte auch gut vom Weizen zu unterscheiden. Dennoch muss man sehr aufpassen, dass der Samen des Taumellolchs nicht mit den Weizenkörnern bei der Ernte vermischt wird, weil dieser Same giftig ist und zu Schwindel und Sehstörungen, ja, in manchen Fällen sogar zum Tod führt, wenn er verzehrt wird. Dieses Zeug sät also der Feind des Ackerbauern ganz absichtlich aus, heimlich, so, dass er gar nicht wahrgenommen wird, dass man gar nicht auf die Idee kommt, dass so etwas Fieses auf diesem Acker passieren könnte.

Ja, darauf müssen wir zunächst einmal als Kirche achten, dass wir nichts Anderes aussäen als allein den guten Samen des Wortes Gottes und keinen Taumellolchsamen darunter mischen. Wenn wir in der Kirche nur noch irgendwelche harmlosen Nettigkeiten verbreiten und verkündigen, wenn wir die Hoffnung der Menschen nicht mehr allein auf ihn, Christus, den gekreuzigten und auferstandenen Herrn der Welt, richten, wenn wir den Menschen Gottes Gericht verschweigen und sie in dem Irrglauben lassen, es käme ja letztlich nur darauf an, dass man sich in seinem Leben und mit seiner Lebensauffassung wohlfühlt, dann säen wir solchen Taumellolchsamen aus, der letztlich dazu beiträgt, dass Menschen nicht mehr klar sehen können, sondern ihr Leben und das, worauf es im Leben wirklich ankommt, nur noch verschwommen wahrnehmen. Es mag sein, dass die Aussaat von Taumellolchsamen im Vergleich zur Aussaat des guten Samens für das menschliche Auge sehr viel mehr Erfolg hat. Der Taumellolch wächst oft kräftiger als der Weizen, hat oft kräftigere Wurzeln als der Weizen. Es mag sein, dass die Predigt eines harmlosen Wohlfühlevangeliums bei Menschen große Begeisterung hervorruft, ja, auch erstaunliches Gemeindewachstum. Doch für die Ernte bedeutet das erst einmal gar nichts, im Gegenteil: Eine Kirche, die nicht mehr allein das klare Wort Gottes verkündigt, wird letztlich zur Handlangerin des Teufels.

Doch der Feind Gottes hat viele Möglichkeiten, sein Unkraut in der Kirche aufgehen zu lassen, Menschen zu verwirren und durcheinanderzubringen. Er hat auch viele Möglichkeiten, Menschen in Gemeindekarteien zu befördern, die doch eigentlich gar nicht dazugehören, die bei der letzten Ernte Gottes entsprechend auch nicht in Gottes ewige Wohnungen gesammelt werden. Ja, das gehört zum Erscheinungsbild der Kirche immer dazu, dass es in ihr Menschen gibt, deren Glaube eben nicht durch das Wort Gottes gewirkt worden ist, sondern die sich in der Kirche ihren eigenen Glauben, gleichsam einen Lolchglauben, zusammengebastelt haben und vielleicht gar selber glauben, es würde reichen, irgendwie noch ein gewissen Kontakt zur Kirche aufrechtzuerhalten.

Wie sollen wir als Kirche damit umgehen, dass es in jeder Gemeinde Menschen gibt, deren Glaube durch Gottes Wort gewirkt ist, und Menschen, die nur dem äußeren Schein nach zur Kirche dazugehören, aber in Wirklichkeit doch Lolch sind?
Christus gibt uns hier einen entscheidend wichtigen Hinweis: Wir sollen die, von denen wir glauben, dass sie eigentlich gar nicht oder gar nicht mehr zur Kirche gehören, ja nicht ausreißen, nicht selber anfangen, zu sortieren, wer denn nun ein richtiger Christ ist und wer nicht.

Genau das, Schwestern und Brüder, ist eine Versuchung, in der die Kirche von Anfang an gestanden hat und bis heute immer wieder steht: die Versuchung, eine reine Kirche der Vollkommenen, der wahren Christen zu schaffen, und alle, die diesem Maßstab nicht genügen, hinauszuwerfen. Geradezu furchtbar ist es, wenn man in solche Kreise gerät, in denen Christen sich anmaßen, über andere zu Gericht zu sitzen, anhand von irgendwelchen Merkmalen oder Verhaltensweisen beurteilen zu wollen, wer denn nun ein richtiger Christ ist und wer nicht. Doch reden wir nicht bloß von den Anderen, den Superfrommen, denen es unerträglich erscheint, gemeinsam mit solchen in einer Gemeinschaft leben zu müssen, die eben nicht dieselbe Form der Frömmigkeit haben wie sie selber. Ich kenne diese Versuchung auch selber sehr wohl, Menschen aus der Gemeindeliste streichen zu wollen, wenn sie sich immer wieder von Neuem weigern, auf meine Versuche der Kontaktaufnahme zu reagieren, wenn sie so gar nichts mehr von ihrem Konfirmationsgelübde wissen wollen und alle Versuche, sie  wieder neu in die Gemeinschaft zu Christus einzuladen, einfach an sich abperlen lassen. Irgendwann reicht es doch einfach mal, irgendwann muss man sich von Dauerrestanten doch auch einfach mal trennen! Das lässt im Übrigen doch auch die Gemeindestatistik wieder etwas freundlicher erscheinen.

Doch Christus ruft uns zu: Nein, reißt den Lolch nicht aus, oder besser gesagt: das, was ihr für Lolch haltet. Ihr könnt zurzeit Lolch und Weizen in Wirklichkeit noch gar nicht voneinander unterscheiden; sie sehen sich noch viel zu ähnlich. Es mag sein, dass ihr mit euren Bemühungen, eine reine Gemeinde zu schaffen, guten Weizen ausreißt, Menschen ihre Verwurzelung in der Gemeinde Jesu Christi raubt, die doch ganz fest in diese Gemeinde gehören. Und selbst wenn ihr Weizen und Lolch voneinander unterscheiden könntet – was ihr doch in Wirklichkeit gar nicht könnt –, sagt Christus, selbst dann solltet ihr darauf verzichten, den Lolch zu entfernen, weil ihr damit ungewollt immer auch Weizenhalme mit ausreißen würdet, weil ihr diese Trennung von Lolch und Weizen, von denen, die wirklich zu Christus gehören, und denen, die nur dem Schein nach zu ihm gehören, praktisch gar nicht durchführen könnt. Der Schaden, den ihr bei solchen Sortierversuchen anrichten würdet, wäre viel größer als der Nutzen.

Und so wollen wir uns auch in unserer Gemeinde jeglicher Urteile darüber enthalten, wen wir denn nun für einen richtigen Christen halten und wen nicht, wer denn nach unserer Meinung nun wirklich dazu gehört und wer aus unserer Sicht nur ein Schnorrer ist, der die Kirche nur zu seinem eigenen Vorteil nutzt. Wir sind nicht die Richter über andere, wir sind keine Sortierer. Wir sind und bleiben allein Knechte unseres Herrn, die sich darauf beschränken sollen, immer wieder von Neuem den guten Samen des Wortes Gottes auszusäen, und die sich zugleich der Wirkmacht dieses Wortes immer wieder von Neuem aussetzen sollen und dürfen. Ja, säen sollen wir im Vertrauen darauf, dass Christus selber aus dieser Saat eine reiche Ernte schaffen wird, reicher, als wir sie erwarten, und dass er schon sortieren wird, was für uns noch nicht sortierbar erscheint.

Gibt es auch unter unseren Vorkonfirmanden Lolch und Weizen, gibt es auch unter euch, die ihr heute Morgen hier in der Kirche sitzt, Lolch und Weizen? Ach, ich kann es mir so gar nicht vorstellen und will lieber dem Wort Gottes trauen als meinem vermeintlichen Urteilsvermögen. Und Gott hat in seinem Wort zu einem jeden von euch in der Taufe gesagt: Du bist mein Kind, du gehörst zu mir. Du bist kein Lolch. Dieses Wort will ich ernst nehmen und von daher weiter Gottes Wort bei euch aussäen, in der gewissen Hoffnung, dass wir uns am Ende alle miteinander einmal wiederfinden werden in Gottes ganz großer Scheune, in seinem Himmel. Ja, so wollen wir als Gemeinde weiter wachsen, wollen nicht jetzt schon vornehmen, was Christus ganz am Ende vorbehalten bleibt: die letzte große Scheidung. Er wird sein Wort, das er ausgesät hat, auch bei uns nicht leer zurückkommen lassen. Amen.