06.03.2011 | St. Lukas 10,38-42 | Estomihi

Als sie aber weiterzogen, kam er in ein Dorf. Da war eine Frau mit Namen Marta, die nahm ihn auf. Und sie hatte eine Schwester, die hieß Maria; die setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seiner Rede zu. Marta aber machte sich viel zu schaffen, ihm zu dienen. Und sie trat hinzu und sprach: Herr, fragst du nicht danach, dass mich meine Schwester lässt allein dienen? Sage ihr doch, dass sie mir helfen soll! Der Herr aber antwortete und sprach zu ihr: Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe. Eins aber ist Not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.

„Küchendienst!“ – Mit dieser furchtbaren Drohung gelingt es auf Konfirmandenfahrten doch immer wieder, bestimmten mündlich gegebenen Anweisungen den nötigen Nachdruck zu verleihen. Küchendienst – einer solch grausamen Strafe will man sich dann lieber doch entziehen, lieber doch die freie Zeit zum Chillen und Rumhängen nutzen, als in der Küche zu stehen. Ja, würde man unsere Konfirmanden fragen, dann würden die allermeisten wohl lieber mit Maria abhängen als mit Martha in der Küche zu stehen. Maria – also das Urbild einer küchendienstscheuen Konfirmandin?

Doch wir haben sie umgekehrt in unserer Gemeinde natürlich auch reichlich: die Marthas, die zu allen möglichen Anlässen in der Küche stehen, alle möglichen praktischen Dienste in der Gemeinde übernehmen, dies mit großer Hingabe tun – und vielleicht manchmal trotz allem doch auch ein wenig sauer sind, wenn sie sehen, dass es so manchen und so manche gibt, die anderen ganz gerne bei der Arbeit zuschauen, aber sich selber lieber davor drücken mit allen möglichen schön klingenden Ausflüchten. Ja, diese Marthas können unsere Martha hier in der Geschichte sicher gut verstehen, wie die sich über ihre Schwester ärgert, weil die sie die ganze Arbeit in der Küche alleine erledigen lässt und dafür auch noch eine wunderbar fromme Begründung gefunden hat.

Ja, ärgern mögen sich diese Marthas zugleich auch über die Reaktion, die Martha auf ihre Beschwerde von Jesus erfährt: Der gibt doch allen Ernstes der Maria recht, schickt sie nicht in die Küche, behauptet allen Ernstes, dass Maria das bessere Teil erwählt habe! Ja, lieber Jesus, mag Martha und mögen mit ihr die vielen Marthas antworten: Ob du das auch immer noch so behaupten würdest, wenn du anschließend den ganzen Abend mit knurrendem Magen dasäßest, weil es niemanden gegeben hat, der dir ein anständiges Essen zubereitet hat?

Und Entsprechendes gilt ja nun auch für uns heute: Ja, wir brauchen sie selbstverständlich, die Jugendlichen, die als Betreuer bei den Konfirmandenfahrten mitkommen und dabei auch so manche Stunde in der Küche stehen und kochen und abwaschen. Wir brauchen sie, die Jugendlichen, die dazu bereit sind, dafür einen nicht geringen Teil ihrer Ferien zu opfern. Wir brauchen sie, die fleißigen Helferinnen und Helfer im Hintergrund, wenn wir hier in der Gemeinde wieder einmal Gäste haben oder gar eine ganze Synode zu bewirten haben oder wenn es, wie heute, wieder mal darum geht, Dutzende von Jugendlichen mit Essen zu versorgen. Wir brauchen sie, die Mitarbeiter im Pfarrbrief-Eintütteam, die Monat für Monat Berge von Papier versandfertig machen. Wir brauchen sie, die vielen Glieder in unserer Gemeinde, die sich für praktische Hilfen nicht zu schade sind, die sich nicht einfach nur bedienen lassen, sondern wissen, dass sie hier für unsere Gemeinde eine Verantwortung haben. Nein, ich kann mir gar nicht vorstellen, wie wir ohne diese vielen freiwilligen Helfer, die vielen, die sich bei uns ehrenamtlich engagieren, auch nur irgendwie auskommen sollten. Ja, ob sich da nicht auch mancher von denen, die sich so sehr für unsere Gemeinde einsetzen, auch ein ganzes Stück weit vor den Kopf gestoßen fühlt durch die Worte, die Martha hier in unserer Predigtlesung einstecken muss? Würdigt Jesus das denn alles nicht, was ich hier mache, sieht er denn nicht, wie notwenig das alles ist?

Schwestern und Brüder, wir merken schon, wir müssen uns die scheinbar so bekannte Geschichte von Martha und Maria wohl doch noch einmal etwas genauer anschauen.

Jesus ist unterwegs. Nein, er zieht nicht einfach planlos irgendwo im Land umher, sondern sein Weg hat ein ganz festes Ziel: Nach Jerusalem geht es, dorthin, wo er für die Schuld der Menschen ans Kreuz gehen und sterben wird. Und auf diesem Weg kommt er also nun in ein Dorf. Ach, was sage ich: Er kommt doch nicht allein in dieses Dorf, sondern er hat einen ganzen Tross im Gefolge, die zwölf Jünger und möglicherweise auch noch eine ganze Reihe weiterer Männer und Frauen, die ihm nachfolgten. Und schon sind wir bei der ersten Sensation dieser Geschichte, die uns St. Lukas hier zu berichten weiß: „Da war eine Frau mit Namen Martha, die nahm ihn auf.“ Das klingt zunächst einmal gar nicht besonders aufregend, aber man muss sich vorstellen, was das eigentlich heißt: Zunächst einmal ganz praktisch: Die Frau hatte bei sich zu Hause keine Tiefkühltruhe, aus der sie schnell mal ein paar Fertigmahlzeiten hervorzaubern konnte. Sie hatte keine Möglichkeit, große Vorräte zu horten oder das Essen im Vorfeld schon mal vorzubereiten, dass sie es schließlich nur noch mal schnell in der Mikrowelle aufwärmen musste. Die musste gleichsam bei Null anfangen mit dem Essen, und vermutlich war Jesus eben auch nicht ihr einziger Gast, sondern der ganze Tross oder zumindest ein gut Teil von ihm stand da auch noch herum und hoffte darauf, von ihr verpflegt zu werden. Ja, das war für Martha in der Tat eine Wahnsinnsarbeit, und es ist schon ganz erstaunlich, dass sie sich das antut, dass sie Jesus hier so selbstverständlich bei sich aufnimmt. Doch die Sensation reicht noch weiter: In dem Haus, in das Jesus hier einkehrt, hatte offenbar eine Frau die Hosen an. Üblicherweise wurde ein Mann, erst recht ein Rabbi, natürlich nur von dem Herrn des Hauses eingeladen und empfangen. Die Frau blieb unsichtbar im Hintergrund. Doch in diesem Haus gab es offenbar keinen männlichen Herrn des Hauses. Doch Martha, die Chefin des Hauses, hält das nicht davon ab, Jesus einzuladen. Eine Frau lädt einen unverheirateten Mann in ihre Wohnung ein – das war eigentlich ein Skandal. Und beinahe genauso unfasslich ist es, dass Jesus sich hier über alle Sitten der damaligen Zeit hinwegsetzt und diese Einladung auch noch annimmt und zu der Frau in ihr Haus kommt.

Und auf die eine Sensation folgt gleich die nächste: Wenn Jesus denn schon in solch ein Haus kam, war es eigentlich selbstverständlich, dass die Frauen in der Küche verschwanden, dort das Essen vorbereiteten und die Männer im Wohnzimmer unter sich zum Gespräch zurückließen. Doch was macht die Schwester der Martha, die Maria, hier? Die geht in diese Männergesellschaft und setzt sich Jesus zu Füßen. Nein, Schwestern und Brüder, das war nicht etwa bloß ein Zeichen von Demut oder gar Unterwürfigkeit, sondern damit tat sie etwas, was eigentlich unerhört war, was eigentlich wirklich nur Männern vorbehalten war: einem Rabbi zu Füßen zu sitzen, das war damals ein feststehender Ausdruck und bedeutete so viel wie: bei diesem Rabbi Theologie studieren, bei diesem Rabbi lernen. Das war doch einer Frau verboten, das schien doch auch total überflüssig zu sein, weil Frauen doch ohnehin nicht viel vom Wort Gottes verstanden, so meinte man. Doch Jesus schickt die Maria nicht in die Küche, gibt ihr nicht zu verstehen, dass sie sich offenbar an die falsche Stelle verirrt hat, sondern er lehrt sie, gibt ihr Unterricht, unterweist sie in seinem Wort, das doch nichts Anderes als das Wort Gottes ist. Und da steht mit einem Mal die Martha neben ihm, vermutlich die Hände in die Hüften gestemmt. Nein, ihr geht es weniger um die theologische Frage, ob denn nun eine Frau bei Jesus lernen darf oder nicht. Sondern es geht ihr um etwas ganz Praktisches: Sie fühlt sich von Maria im Stich gelassen, ja, letztlich nicht nur von Maria, sondern auch von Jesus selbst, der das zulässt, dass Martha sich da alleine in der Küche abschuftet. Statt ihre Schwester direkt in die Küche abzukommandieren, wendet sie sich an Jesus, hofft, auf dem Umweg über ihn mehr Erfolg zu haben bei ihrem Bemühen, Maria als Unterstützung für ihren Dienst an Jesus zu gewinnen. Doch Jesus reagiert ganz anders, als sie dies erhofft: Für ihn gehören Frauen nicht automatisch in die Küche; im Gegenteil: Er wertet das, was Maria hier erfährt, höher als all die Bemühungen, die Martha sich im Hintergrund macht: „Martha, Martha, du hast viel Sorge und Mühe. Eins aber ist Not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.“ Ja, Jesus würdigt das Bemühen von Martha durchaus. Aber, so macht er ihr deutlich: Wenn es darauf ankommt, gibt es nur eines, was wirklich entscheidend wichtig ist, was wirklich zählt: Auf das Wort zu hören, das Jesus redet.

Was heißt das alles nun für uns? Zunächst einmal müssen wir dies eine festhalten: Beide, Martha und Maria, haben je auf ihre Weise das Entscheidende erkannt: Beide haben erkannt, wer Jesus ist, und dienen ihm darum, wenn auch auf unterschiedliche Weise. Auch Martha weiß, dass Jesus ihr Herr ist, und sie gibt sich so viel Mühe, weil sie weiß, dass Jesus nicht irgendein beliebiger Gast ist, sondern eben ihr Herr. Und aus demselben Grund, weil er der Herr ist, lässt sich Maria zu den Füßen Jesu nieder. So weit müssen wir erst mal kommen, dass uns das so sonnenklar wird wie Maria und Martha damals, dass wir es auch hier in diesem Haus, hier in dieser Gemeinde mit keinem Geringeren als dem Herrn zu tun haben, dass es hier nicht bloß darum geht, ob wir hier andere Leute treffen, die wir nett finden, oder ob hier unsere Bedürfnisse befriedigt werden, die wir im Augenblick gerade haben mögen! Wenn uns das klar ist, dass wir hier in diesem Haus, dass wir hier in dieser Gemeinde Christus, dem Herrn, begegnen, dann geht es nicht mehr um die Frage, ob wir am Sonntagmorgen unseren Hintern hoch bekommen und ihn mitsamt dem Rest unseres Körpers in die Kirche befördern, sondern dann geht es nur noch um die Frage, wie wir ihm, dem Herrn, denn am besten dienen können. Ja, die Martha ist in der Tat ein Vorbild für uns, nein, nicht bloß und zuerst wegen ihres Einsatzes als solchem, sondern weil sie dies alles für den Herrn tut, weil sie nicht zuerst danach fragt: Was bringt mir das, wenn ich mich zur Gemeinde halte, wenn ich mich in der Kirche einsetze, sondern weil die Liebe zu ihrem Herrn sie ganz selbstverständlich zu ihrem Einsatz bewegt. Ja, wie gut, dass dies bei den vielen weiblichen und männlichen Marthas in unserer Gemeinde nicht anders ist: Sie bringen mit ihrem Einsatz auf ihre Weise ihre Liebe zu Christus, ihrem Herrn, zum Ausdruck, nicht unbedingt mit vielen Worten, sondern einfach mit der Tat. Und Jesus nimmt das wahr und würdigt das, weiß das, dass dieser Einsatz ihm, dem Herrn, gilt. Ja, das weiß ich auch und freue mich darüber, wenn Jugendliche in der Gemeinde Verantwortung übernehmen, wenn Gemeindeglieder den Altar mit Blumen schmücken, sich musikalisch in die Gemeinde einbringen, kochen, putzen, eintüten und vieles mehr. Ja, ich freue mich darüber, weil ich weiß, dass all diese Dienste letztlich Christus gelten und für die Beteiligten weit mehr sind als eine Pflichtübung oder gar als eine Gelegenheit, sich selber in ein besseres Licht zu rücken.

Und doch bleiben da natürlich diese letzten Worte Jesu hier in unserer Predigtlesung, die wir uns jetzt noch mal ganz genau anschauen wollen: „Maria hat das gute Teil erwählt“, sagt Jesus hier. Was meint er damit? Mit dem „Teil“ ist hier eine Speise gemeint, eben ein Teil einer Abfolge von Gängen bei einer Mahlzeit. Was Jesus hier also sagt, ist dies: Liebe Martha, du gibst dir viel Mühe, weil du eine gute Gastgeberin sein willst. Aber dabei hast du eines übersehen: Wo ich bin, da bist du nicht mehr die Gastgeberin, und ich bin nicht mehr der Gast, sondern es ist genau umgekehrt: Wo ich bin, da bin ich der Gastgeber, und ihr seid meine Gäste, weil ich euch eine Speise austeile, die noch viel wichtiger ist als das beste Fünfgangmenü, ja besser noch als Pizza und McDonalds: Mein Wort, das ich zu euch sage, das ist diese allerwichtigste und allerbeste Speise, auf die ihr bei all euren Bemühungen, mir eine Freude zu machen, niemals verzichten dürft. Ja, das ist letztlich auch das Einzige, was schließlich einmal bei Gott zählen wird, wenn er auf euer Leben blicken wird: Da wird er nicht beurteilen, wie sehr ihr euch für ihn eingesetzt habt, wie viel Gutes ihr in eurem Leben getan habt. Sondern da wird nur eines entscheidend sein: Ob ihr euch von mir, Christus, habt beschenken lassen, ob ihr meiner Einladung an meinen Tisch gefolgt seid. Das ist das eine, was wirklich Not ist. Auf die Geschenke, die ich euch mache, darauf könnt ihr in eurem Leben auf keinen Fall verzichten. Und wenn euch das klar ist, dann ergibt sich alles Andere von selbst, dann werdet ihr natürlich dann auch ganz selbstverständlich auf je eure Weise mir dienen, aus der Freude heraus, von mir beschenkt worden zu sein.

Ja, genau das soll auch uns vor allem anderen klar sein: Wenn wir hierher zum Gottesdienst kommen, dann geht es nicht darum, dass wir dem lieben Gott oder Christus einen Gefallen tun, dass wir uns mal wieder bei ihm blicken lassen. Es geht im Gottesdienst nicht zuerst und vor allem darum, dass wir Gott dienen. Sondern es geht im Gottesdienst zuerst und vor allem darum, dass Gott, dass ganz konkret Christus uns dient, uns beschenkt, uns an seinen Tisch lädt. Und das ist in der Tat das Allerwichtigste für uns in unserem Leben, das einzig wirklich Lebensnotwendige. Was du auch in deinem Leben tun magst, und mag es noch so ehrenwert und anständig sein – wenn du dich nicht von Christus beschenken lässt, dann hast du das einzig wirklich Wichtige in deinem Leben verpasst. Und wenn du umgekehrt merkst, dass es da in deinem Leben vielleicht gar nicht so viel gibt, womit du Gott beeindrucken könntest, dann denke daran: Das Wichtigste in deinem Leben ist nicht das, was du tust, sondern was Christus für dich tut, womit er dich beschenkt, ja auch jetzt gleich wieder, wenn er dein Gastgeber wird, dich an seinen Tisch lädt, dich speist und tränkt mit seinem Leib und Blut.

Und eben darum gilt eben auch in unserem Gemeindeleben, was schon einst der heilige Benedikt in seiner Regel formulierte, dass dem Gottesdienst, dass Gottes Dienst an uns nichts, aber auch gar nichts vorzuziehen ist. Es ist schön, wenn hier bei uns auch noch alles mögliche Andere in der Gemeinde stattfindet, es ist wunderbar, dass bei uns auch so viel gemeinsam gegessen wird und vieles mehr. Doch all das wäre völlig hohl, wenn dabei der Gottesdienst nicht im Zentrum von allem stünde, wenn all diejenigen, die hier in der Gemeinde alles Mögliche unternehmen, nicht auch immer wieder Gäste wären bei ihm, Christus, dem gekreuzigten und auferstandenen Herrn. Ja, gottlob habt ihr dies verstanden, gottlob sitzt ihr heute Morgen alle wieder hier wie Maria damals auch, Männer und Frauen, Jungen und Mädchen nebeneinander, kniet gleich wieder hier vor Christus, um euch von ihm beschenken zu lassen. Ja, Gott geb’s, dass das so bleibt, dass sich keiner von euch daraus jemals wieder ausklinkt, dass keinem von euch dies Allerwichtigste wieder genommen wird! Christus bedient uns, und dabei brauchen wir in der Tat nichts, aber auch gar nichts selber zu tun. Amen.