30.03.2011 | Mittwoch nach Okuli

DRITTE FASTENPREDIGT ZUM THEMA „WARUM WIR ES ALS CHRISTEN GUT HABEN“:
„WIR GRÜNDEN UNS NICHT AUF GEFÜHLE“

Sie konnte es einfach nicht begreifen: Da war sie gerade auf einer Beerdigung einer Bekannten gewesen. Ihr Tod war für die Familie ein schwerer Verlust, ja ein Schock gewesen. Doch was hatten sie bei der Beerdigung nun gemacht? Sie hatten gesungen, nein, nicht irgendwelche Lieder, sondern Lieder, die richtig fröhlich klangen: „Halleluja, Halleluja, des solln wir alle froh sein“, hatten sie am Schluss am Grab gesungen. Nein, das konnte sie einfach nicht begreifen: Die Familie war doch eigentlich todtraurig – und nun sangen sie von der Freude? Das passte doch einfach nicht zusammen! Muss man sich als Christ denn alle negativen Gefühle verkneifen, immer nur fröhlich lächeln, nach außen hin immer einen auf „glücklich“ machen?

Schwestern und Brüder, wir würden es uns zu einfach machen, wenn wir bestreiten würden, dass es in dieser Frage in der christlichen Kirche nicht immer wieder auch Fehlentwicklungen gegeben hat. Das hat es auf der einen Seite gegeben, dass Gefühle grundsätzlich als etwas Negatives, ja gar als etwas Sündhaftes angesehen wurden, dass schon Kinder und Jugendliche dazu angeleitet wurden, Gefühle zu unterdrücken und zu leugnen, nach außen hin Fassaden aufzubauen, protestantisches Pflichtbewusstsein zu zeigen, das auf eigene Bedürfnisse keine Rücksicht nimmt. So etwas kann Menschen kaputt machen, erst recht, wenn sie so etwas schon in jungen Jahren erfahren. Und das hat es auf der anderen Seite auch gegeben und gibt es bis heute, dass Christen in bestimmten christlichen Gruppierungen eingeredet wird, ein richtiger Christ müsse immer fröhlich sein, müsse sich immer glücklich fühlen, denn er habe ja immer Jesus bei sich, da gäbe es doch gar keinen Grund zur Traurigkeit. Darum reiche es auch aus, auch im Gottesdienst immer wieder nur Lobpreislieder zu singen – denn wie sollten wir als Christen noch zu etwas Anderem Grund haben, als allein dazu, immer nur zu jubeln und zu frohlocken? Auch das, Schwestern und Brüder, kann zu einem fürchterlichen Krampf werden, denn natürlich haben wir auch als Christen immer wieder andere Gefühle, die sich schwer leugnen und unterdrücken lassen. Doch wenn sich an meinen Gefühlen entscheidet, ob ich nun ein richtiger Christ bin oder nicht, dann stellen scheinbar unpassende Gefühle auch ganz grundlegend meinen Glauben in Frage: Dann glaube ich wohl nicht richtig, wenn ich auch als Christ immer noch traurig, enttäuscht, wütend oder frustriert bin! Ja, das kann im schlimmsten Fall dazu führen, dass ich merke, dass ich dieses Maskenspiel des immer fröhlichen Christen nicht mehr aufrechterhalten kann und dann zugleich auch meinen Glauben, mein Christsein insgesamt mit aufgebe. Beispiele dafür gibt es leider mehr als genug.
 
Wie ist das also mit unserem Christsein und den Gefühlen? Zunächst einmal dürfen wir festhalten: Gefühle gehören selbstverständlich mit zu unserer schöpfungsmäßigen Ausstattung, die wir von Gott selber empfangen haben. Und als schöpfungsmäßige Ausstattung sind sie erst einmal überhaupt nichts Negatives oder Sündhaftes. Wir brauchen uns einfach nur einmal die Psalmen durchlesen, dann erkennen wir dort die ganze Bandbreite menschlicher Gefühle und Emotionen: Freude und Trauer, zweifelndes Fragen, ja, auch Zorn, verzweifeltes Schreien und höchstes Glück – alles hat in den Psalmen seinen Platz. Ja, wir erleben in den Evangelien auch Jesus als einen Menschen voller Emotionen, der jubeln und klagen, weinen, staunen und fröhlich sein kann und das auch nicht unterdrückt oder hinter einer Fassade verbirgt. Ja, es ist schön, dass die Heilige Schrift auch all diese Emotionen, die wir Menschen haben können, schildert und es uns so leicht macht, uns auch in ganz unterschiedlichen Gefühlslagen in der Heiligen Schrift selber wiederzufinden.
 
Doch eines macht die Heilige Schrift eben nicht: Sie setzt diese Gefühle nicht mit irgendwelchen Gotteserfahrungen gleich und behauptet auch nicht, dass sich die Begegnung mit dem lebendigen Gott und sein Wirken an uns und in uns in bestimmten Gefühlen niederschlagen müssten. Der Glaube an Gott ist kein Gefühl und auch nicht von einer bestimmten Gefühlsstruktur im Menschen abhängig. Wenn Gott an uns und in uns handelt, dann müssen wir das nicht irgendwie fühlen, und es muss sich auch nicht in bestimmten Gefühlen äußern. Ein kleines Kind, das getauft wird, mag abgesehen von dem Wasser, das ihm über den Kopf gegossen wird, erst einmal gar nichts von dem fühlen, was da gerade an ihm geschieht. Und doch wird es in diesem Augenblick neu geboren, wird in die Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott aufgenommen. Und das, was da in der Taufe geschehen ist, das bleibt, das gilt, ganz gleich, wie sich dieses Kind im Weiteren in seinem Leben entwickeln und fühlen mag. Es mag sein, dass du hierher nach vorne zum Heiligen Abendmahl kommst und gar nichts dabei fühlst oder dass du vielleicht gerade emotional ziemlich in den Mixer geraten bist. Nein, da läuft dann beim Heiligen Abendmahl nichts schief bei dir, da muss dir nicht unbedingt ein kalter Schauer über den Rücken laufen, und du musst auch nicht vor Freude bersten. Christus kommt mit seinem Leib und Blut zu dir, auch wenn dem auf deiner Seite gefühlsmäßig gar nichts entspricht. Er verbindet sich mit dir, hält dich fest, auch wenn du davon nichts, aber auch gar nichts merkst.
 
Wie entlastend ist das, dass ich als Christ meine Gefühle nicht auf Kommando umpolen muss, dass ich in den unterschiedlichsten emotionalen Verfassungen Gott begegnen und seine Zuwendung erfahren darf! Ich denke beispielsweise an Menschen, die an Depressionen leiden, an Depressionen, die sich darin äußern, dass man zu irgendeinem Fühlen überhaupt nicht mehr in der Lage ist, sich innerlich nur noch tot fühlt. Furchtbar ist das für die betroffenen Menschen – nur: mit ihrem Glauben, mit ihrem Verhältnis zu Christus hat das gar nichts zu tun. Ich muss Gottes Nähe nicht fühlen oder spüren. Er trägt mich auch und gerade dann, wenn ich gar nichts von ihm merke. „Wenn ich auch gar nichts fühle von deiner Macht, du führst mich doch zum Ziele auch durch die Nacht“, heißt es in einem Lied, das zu Unrecht in kirchlichen Kreisen oftmals ein Nasenrümpfen hervorruft. Ja, wie gut, dass unser Glaube kein Gefühl ist und auch nicht abhängig von unseren Gefühlsschwankungen! Wie gut, dass meine Gemeinschaft mit Christus allein von dem abhängt, was er mir zusagt und schenkt!
 
Eines ist allerdings durchaus richtig: Der Glaube an Christus, die Begegnung mit ihm im Heiligen Mahl, die Feier von Gottesdiensten – all dies kann sehr wohl auch positive Emotionen in mir hervorrufen, die ich nicht hätte, wenn ich kein Christ wäre. Es kann sehr wohl sein, dass Christen aufgrund ihres Glaubens in besonderer Weise fröhliche Menschen sein können, die mit ihrer Fröhlichkeit dann auch nach außen ausstrahlen. Es kann sehr wohl sein, dass die Begegnung mit Christus im Sakrament bei mir eine große Freude auslöst, auch wenn ich die am Altar nun nicht gleich auszuleben beginne. Es kann sehr wohl sein, dass ich die Mitfeier eines Gottesdienstes auch emotional als zutiefst beglückend empfinde oder es umgekehrt auch als erleichternd erfahre, im Gottesdienst auch einfach mal weinen zu können, was mir ansonsten vielleicht so schwerfällt. Ja, so kann sich die Christusbegegnung bei uns bis ins Körperliche hinein auswirken. Aber da lässt sich nichts vorschreiben, nichts zwingen.
 
Doch die Wirkungen der Begegnung mit Christus, die Wirkungen des Glaubens an ihn können für uns als Christen noch weitergehen: Sie können Erfahrungen in uns hervorrufen, die über menschliche Emotionen weit hinausgehen, ja gar nicht unbedingt immer diesen menschlichen Emotionen, die wir gerade haben, entsprechen müssen. Um auf das Beispiel vom Anfang zurückzukommen: Ja, das kann es für uns Christen zugleich geben: dass wir tief traurig sind über den Tod eines geliebten Menschen und doch zugleich ehrlichen Herzens von der Freude singen können, die wir als Christen auch und gerade im Angesicht des Todes haben dürfen, weil wir um den wissen, der die Macht des Todes gebrochen hat. Nein, das ist nicht schizophren, hier müssen wir nichts unterdrücken: Das geht tatsächlich nebeneinander her: tiefe Trauer und eine Freude, die nicht von dieser Welt ist. Das geht tatsächlich nebeneinander her: Bedrückt sein von Sorgen und Problemen und getröstet sein durch die Zusage des Herrn, dass er für uns sorgen will. Das gibt es, und wenn wir diese Erfahrung machen, dann gehört dazu immer wieder auch, dass wir erkennen, was wirklich in unserem Leben trägt: nicht, was wir gerade im Augenblick zufällig fühlen, sondern was Gott mir verspricht und an mir tut. Gefühle gehören zu unserem Leben dazu, ganz gewiss. Aber auf sie brauchen wir unser Leben, unseren Glauben, unsere Hoffnung nicht zu gründen. Da haben wir einen viel festeren Grund, der uns auch in den tiefsten Löchern, in die wir fallen mögen, nicht abhanden kommt; da dürfen wir gewiss sein, dass Gottes Geist eben unendlich mehr ist als ein menschlicher Gemütszustand. Denn er, der Geist Gottes, hilft unserer menschlichen Schwachheit auf und lässt uns auch mit Tränen in den Augen noch von Jesus, meiner Freude, singen. Mensch, was haben wir Christen es gut! Amen.