23.04.2011 | Jesaja 26,13.14.19 | Heilige Osternacht

Von einem Zimmermann berichtet ein altes armenisches Gleichnis, den eines Abends auf seinem Heimweg ein Freund anhielt und fragte: „Mein Bruder, warum bist du so traurig?“ Der Zimmermann antwortete: „Bis morgen früh muss ich elftausendelfhundertundelf Pfund Sägemehl aus Hartholz für den König bereit haben, oder ich werde enthauptet.“ Der Freund des Zimmermanns lächelte und legte ihm den Arm um die Schulter. „Mein Freund“, sagte er, „sei leichten Herzens. Lass uns essen und trinken und den morgigen Tag vergessen. Der allmächtige Gott wird, während wir ihm Anbetung zollen, statt unserer des Kommenden eingedenk sein.“ Sie gingen also zum Hause des Zimmermanns, wo sie Weib und Kind in Tränen fanden. Den Tränen ward Einhalt getan durch Essen, Trinken, Reden, Singen, Tanzen und allsonstige Art und Weise von Gottvertrauen und Güte. Inmitten des Gelächters fing des Zimmermanns Weib zu weinen an und sagte: „So sollst du denn, mein lieber Mann, in der Morgenfrühe enthauptet werden, und wir alle vergnügen uns indessen und freuen uns an der Güte des Lebens. So steht es also.“ „Denke an Gott“, sprach der Zimmermann, und der Gottesdienst ging weiter. Die ganze Nacht hindurch feierten sie. Als Licht das Dunkel durchdrang und der Tag anbrach, wurde ein jeder schweigsam und von Angst und Kummer befallen. Die Diener des Königs kamen und klopften sacht an des Zimmermanns Haustür, und der Zimmermann sprach: „Jetzt werde ich sterben“ und öffnete. „Zimmermann“, sagten sie, „der König ist tot. Mache ihm einen Sarg.“

Genau darum, Schwestern und Brüder, geht es auch in dieser Osternacht, geht es in der alttestamentlichen Lesung dieser Nacht, genau darum geht es auch in unserem Leben als Christen.

„HERR, unser Gott, es herrschen wohl andere Herren über uns als du“, so stellen die, die in dieser Lesung aus dem Jesajabuch zu Wort kommen, ganz nüchtern fest, beschreiben damit auch unsere Situation heute ganz genau: Wir mögen uns zwar ganz frei vorkommen; aber in Wirklichkeit werden auch wir beherrscht, stehen wir unter der Herrschaft des Todes, der keiner von uns entkommen, von der sich keiner von uns freimachen kann. Nein, der Tod wird uns nicht erst irgendwann einmal beherrschen, wenn er bei uns sanft oder kräftig an die Tür klopfen wird, um uns abzuholen. Sondern er beherrscht uns schon jetzt mehr, als wir es uns zunächst bewusst machen mögen: Auch wer, menschlich gesprochen, noch die meiste Zeit seines Lebens vor sich hat, wird oft genug schon getrieben von dieser Angst, etwas zu verpassen, nicht genügend mitzubekommen. Immer schneller muss das Leben werden, immer mehr wollen wir mitnehmen; wenn wir es jetzt nicht tun – wer weiß, ob wir noch einmal die Gelegenheit dazu bekommen werden? Und dann mögen wir durchaus feiern bis zum Umfallen, von einer Fete zur nächsten rennen – all das ist gerade nicht Ausdruck von Freiheit, sondern von Unfreiheit, Ausdruck dessen, dass uns da ein anderer Herrscher vor uns hertreibt und uns nicht zur Ruhe kommen lässt.

Was der Zimmermann in jener armenischen Fabel, die ich eben vorgetragen habe, macht, ist etwas ganz Anderes: Der feiert nicht drauflos, um den Tod zu verdrängen, um die paar Stunden noch zu nutzen, die ihm bleiben. Ja, wer wollte schon wirklich fröhlich feiern, wenn er weiß, dass ihm morgen der Kopf abgeschlagen wird? Da kann man sich vielleicht besaufen, um das alles nicht mehr mitzubekommen – aber auch dann ist man eben kein freier Mensch, lässt sich wieder von anderen Herren beherrschen. Der Zimmermann macht etwas Anderes: Er versteht das fröhliche Fest, das er feiert, als Gottesdienst, gibt Gott die Ehre, überlässt ihm ganz die Zukunft seines Lebens. Und am Ende erfährt er, wie recht er mit dieser Einstellung behalten hat.

Als Christen haben wir es noch viel besser als der Zimmermann damals. Der hatte keine Ahnung davon, was die Diener des Königs ihm am nächsten Morgen sagen würden. Wir dagegen feiern heute Nacht schon genau diese Botschaft: Der König ist tot. Mache ihm einen Sarg! Der Tod, der uns in unserem Leben immer weiter vor sich hertreiben wollte, um uns am Ende dann doch endgültig einzufangen, hat seinen Herrschaftsanspruch über uns eingebüßt. Wir brauchen uns von ihm nicht mehr beherrschen zu lassen, brauchen nicht mehr zu leben mit der Angst, wir könnten nicht genügend mitbekommen in den paar Jährchen, die wir doch hier auf Erden nur haben. Der König ist tot! Christus hat ihn vom Thron gestürzt in dieser Nacht, hat seine Macht endgültig gebrochen, als er siegreich aus dem Grab auferstanden ist. Und das brauchen wir nicht nur ganz allgemein zu wissen, sondern genau das hat sich nun auch ganz persönlich in unserem Leben abgespielt, hat sich ganz konkret heute Nacht in deinem Leben, liebe Vivian, abgespielt. Da ist Christus, der auferstandene Herr, in deiner Taufe nun auch in dein Leben hineingekommen, hat dem Tod das Recht genommen, dich zu beherrschen, dich gefangen zu nehmen, dir einmal endgültig jede Zukunftsperspektive zu rauben. Der König ist tot! Du brauchst dich nicht mehr davor zu fürchten, dass der Tod irgendwann einmal bei dir anklopfen und dich mitnehmen wird. Gewiss, es wird wohl so sein, falls Christus bis dahin nicht schon wiedergekommen ist, dass er bei dir und bei uns allen eines Tages anklopfen wird. Doch gerade dann, wenn uns das Herz in die Hose zu rutschen droht, werden wir es erleben: Ja, der König ist tot! Weil Christus, der auferstandene Herr, uns in der Taufe zu seinem Eigentum gemacht hat, gilt nicht mehr, was die Leute damals zur Zeit Jesajas noch als scheinbar unumstößliche Wahrheit bekannten: „Tote werden nicht lebendig, Schatten stehen nicht auf.“ Nein, für uns gilt, was Jesaja am Ende schon im Ausblick auf das kommende Ostern verkündigen durfte: „Deine Toten werden leben, deine Leichname werden auferstehen.“ Der Sarg ist für uns nicht die Endstation, auch nicht für all diejenigen, die uns schon im Glauben an Gott vorangegangen sind.

Genau hinhören müssen wir bei dem, was Jesaja hier verkündigt, allerdings schon: Deine Toten werden leben, sagt er. Nein, er spricht nicht davon, dass wir Menschen irgendwie alle miteinander automatisch weiterleben. Grundsätzlich haben die Leute schon recht, die damals bekannten: „Tote werden nicht lebendig, Schatten stehen nicht auf.“ Anders steht es nur um die, die Jesaja hier „deine Toten“ nennt. Ja, darum geht es ab heute in deinem Leben, liebe Vivian, geht es in dem Leben von uns allen, dass wir zu dem gehören, der allein die Macht hat, uns aus der Erde wieder herauszuholen, uns wieder aufzuerwecken. Darum geht es, dass wir wissen, wer der Herr unseres Lebens ist, dass wir uns zu ihm halten und unser Leben entsprechend auch führen.

Und wie sieht ein Leben als Christ aus? Nicht anders als das Leben des Zimmermanns in jener vermeintlich letzten Nacht seines Lebens: Essen, Trinken, Gottesdienst feiern. Ja, als Christen dürfen wir in der Tat fröhlich sein, nicht nur heute in dieser Nacht, sondern überhaupt in unserem Leben, weil wir darauf vertrauen dürfen: Gott hat unsere Zukunft in seiner Hand. Ich verpasse in meinem Leben nichts, denn das Allerbeste steht mir sowieso noch bevor. Lass dich darum, liebe Vivian, nicht von dem treiben, was andere sagen, lass dich nicht von der Meinung der anderen, nicht von der Angst beherrschen. Sondern komm immer wieder hierher, wo die zusammenkommen, die allen Grund haben, zu feiern, ohne zu verdrängen. Iss und trink immer wieder hier mit uns, wenn wir hier am Altar den Leib und das Blut unseres Herrn, das Heilmittel der Unsterblichkeit, empfangen. Dann mag es irgendwann tatsächlich mal an unserer Tür klopfen. Doch dieses Anklopfen wird die Feier nicht beenden, wird sie kaum unterbrechen können. Denn wir werden weiterfeiern in alle Ewigkeit mit ihm, unserem Herrn, der unseren Herrscher, den ewigen Tod, heute Nacht erwürgt hat. Der König ist tot. Komm, mach ihm einen Sarg! Amen.