30.10.2011 | St. Matthäus 10,26b-33 | Gedenktag der Reformation

Wenn man mit offenen Augen durch Berlin geht oder fährt, dann fällt es nicht schwer, die zahlreichen Fans von Hertha BSC zu identifizieren, die in dieser Stadt leben: Da sieht man Hertha-Fahnen an langen Fahnenstangen vor Häusern im Winde flattern; da sieht man Hertha-Aufkleber und Wimpel an und in Autos; da sieht man vor allem an Samstagnachmittagen Menschen, eingehüllt in Hertha-Fanjacken, mit Hertha-Schals und einem Hertha-Käppi auf dem Kopf – ein unübersehbares Bekenntnis in Blau und Weiß. Eines ist dabei offensichtlich: Diese Hertha-Fans schämen sich nicht für ihr Bekenntnis zu ihrem Verein; sie sind im Gegenteil stolz auf ihn, halten zu ihm, auch wenn er keine besonderen fußballerischen Glanztaten auf dem Fußballfeld zu vollbringen vermag.

Öffentliche Bekenntnisse sind durchaus „in“ in unserer heutigen Zeit. Ein besonders eindrückliches Beispiel hierfür ist der „Gefällt mir“-Button bei Facebook, durch den Facebook-Nutzer ihrem gesamten Freundeskreis mitteilen, was sie erfreut und worauf sie stehen. Schaut man sich dann allerdings die Profile der Facebook-Freunde an, dann stellt man fest, dass dieser Bekennermut oft nur noch sehr rudimentär vorhanden ist, wenn es darum geht, nun auch die eigenen religiösen Ansichten dem Freundeskreis oder gar einem weiteren Nutzerkreis mitzuteilen. Liebesbekundungen an die eigene Freundin lassen sich eben doch leichter ins Netz stellen als Liebesbekundungen für Jesus.

Ja, warum tun wir uns als Christen eigentlich so schwer damit, uns in der Öffentlichkeit so klar und eindeutig zu outen wie ein Fan von Hertha BSC? Warum ist es uns mitunter doch eher peinlich, wenn wir auf unseren Glauben angesprochen werden, warum atmen wir vielleicht im Gegenteil sogar auf, wenn andere das nicht unbedingt immer gleich mitbekommen, dass wir Christen sind? Oder möchten wir vielleicht selber sogar überhaupt gar nicht so gerne als Christen identifiziert werden – und wenn dies der Fall sein sollte, warum eigentlich nicht?

Daran, dass wir wegen unseres Bekenntnisses zu Jesus Christus um unser Leben fürchten müssten, kann es ja wohl nicht unbedingt liegen. Uns geht es nicht wie jenem jungen evangelischen Pastor und Familienvater im Iran, der wegen seiner Konversion vom Islam zum christlichen Glauben vor einigen Wochen zum Tode verurteilt worden ist und dem man nun noch einmal gnädigerweise einige Wochen Bedenkzeit eingeräumt hat, damit er seinen Wechsel zum christlichen Glauben rückgängig machen und so dem Tod entgehen kann. Uns geht es nicht wie den koptischen jungen Männern in Ägypten, die sich ein Kreuz auf ihren Unterarm tätowieren lassen, damit sie ja nicht in die Versuchung kommen, ihre Zugehörigkeit zu Christus irgendwann zu verleugnen, und die wissen, dass diese Tätowierung sie möglicherweise das Leben kosten kann. Uns geht es nicht wie den vielen tausend Christen in Nordkorea, die um ihres Glaubens willen in den Konzentrationslagern des Landes sitzen und dort systematisch zu Tode geschunden werden. Wir setzen nicht unser Leben oder unsere Freiheit aufs Spiel, wenn wir sagen: „Ja, ich glaube an Jesus Christus.“

Warum fällt es uns dennoch oftmals so schwer, uns zu Jesus Christus zu bekennen? Liegt es daran, dass auch in uns ganz tief diese Vorstellung steckt, dass das richtig ist, was die Mehrheit denkt und vertritt, und dass es darum mehr als peinlich ist, an Positionen festzuhalten, die in unserer Umgebung vielleicht nur noch von einer kleinen Minderheit vertreten werden? Liegt es daran, dass wir es nicht mögen, wenn man uns belächelt, uns mit dem, was uns wichtig ist, nicht ganz ernst nimmt, dass wir es nicht mögen, uns den einen oder anderen dummen oder bissigen Spruch über unseren Glauben anhören zu müssen? Liegt es daran, dass wir für das, was wir glauben und bekennen, scheinbar so wenig Beweise in der Hand haben, dass wir scheinbar so wenig Möglichkeiten haben, die Behauptung zu widerlegen, wir würden uns das alles nur ausdenken, was wir glauben? Ja, liegt es daran, dass wir das selber vielleicht gar nicht so ganz glauben, wozu wir uns eigentlich bekennen sollten und worüber wir dann doch lieber schweigen? Oder liegt es vielleicht auch daran, dass wir selber so wenig zu sagen wissen, wenn wir nach unserem Glauben gefragt werden, weil wir uns mit den Inhalten unseres Glaubens auch gar nicht so sehr beschäftigen?

Bei jedem von uns mag es vielleicht wieder etwas andere Gründe geben, weshalb wir oft nicht als die großen Bekenner in unserem Alltag auftreten, weshalb wir immer wieder so leicht geneigt sind zu kneifen, wo doch eigentlich ein klares Wort, eine klare Stellungnahme, ein klares Zeichen, und sei es vielleicht auch nur ein Tischgebet vor anderen, gefordert wären. Und eben darum können wir alle miteinander die Worte unseres Herrn Jesus Christus in der Predigtlesung des heutigen Tages so gut gebrauchen. Jesus will uns mit diesen Worten nicht unter Druck setzen, fuchtelt hier nicht mit erhobenem Zeigefinger herum und fordert uns auf, nun endlich mal unsere Feigheit zu überwinden und Haltung zu zeigen. Sondern er tröstet und ermutigt seine Jünger und damit auch uns hier in seinen Worten, ganz liebevoll, will uns gerade so den Mund öffnen, dass uns eben diese Worte schließlich doch ganz leicht über die Lippen kommen: „Ja, ich glaube an Jesus Christus.“

Zu einem Perspektivwechsel leitet uns unser Herr Jesus Christus hier zunächst einmal an: Wir mögen ja mitunter den Eindruck haben, wir seien als Christen so etwas wie die letzten Mohikaner, Leute, die immer noch krampfhaft an etwas festhalten, was eigentlich doch schon längst überholt ist. Doch in Wirklichkeit ist es genau umgekehrt: Wir sind als Christen die Vorreiter, sind von Christus mit Vorabinformationen ausgestattet, die wir schon jetzt verbreiten dürfen und sollen. Was der Traum eines jeden Reporters ist, dass ihm schon einmal Informationen ins Ohr geflüstert werden, die ansonsten noch nicht bekannt sind, das ist für uns Christen jetzt schon Realität: Wir dürfen jetzt schon wissen, was einmal am Ende alle Menschen werden sehen und erkennen dürfen oder müssen: Dass er, Jesus Christus, tatsächlich der Herr der ganzen Welt ist, dass seine Auferstehung tatsächlich das wichtigste Ereignis der Weltgeschichte gewesen ist. Selbst wenn wir Christen alle solche Feiglinge wären, dass keiner von uns irgendetwas davon weitererzählen würde: Am Ende würden es doch einmal alle Leute mitbekommen, wenn Christus selber sich einmal allen Menschen zu erkennen geben wird. Denke also daran, wenn du das nächste Mal in eine Situation kommst, in der es darum geht, ob du dich zu Jesus Christus bekennst: „Es ist nichts verborgen, was nicht offenbar wird, und nichts geheim, was man nicht wissen wird.“ Es wird doch herauskommen, was dir vielleicht erst einmal nur ganz zögerlich über die Lippen kommen mag; ja, Menschen werden dir einmal dafür danken, dass du rechtzeitig ausgequatscht hast, wovon sie sonst gar keine Ahnung gehabt hätten. Nein, die Worte Jesu sind nicht als Aufforderung gemeint, Sensationsjournalismus zu betreiben, im Privatleben von Menschen herumzuwühlen, bis schließlich auch noch das Letzte, was verborgen war, in großen dicken Schlagzeilen in der Zeitung offenbar wird. Aber diese eine große Nachricht, diese eine große Enthüllung, die gönnt Christus dir, dass du die ausplaudern darfst, ja, auch in aller Öffentlichkeit: Das braucht nicht geheim zu bleiben, wer die Zukunft dieser Welt einmal bestimmen wird: nicht die Großen und Mächtigen dieser Welt, nicht die, die jetzt noch glauben, alle Fäden in ihrer Hand zu halten, sondern allein Christus. Bei der Börse wird die Verwendung von Insider-Wissen bestraft; du hingegen darfst dieses Wissen jetzt schon nutzen und wirst dafür sogar belohnt, denn wer mich bekennt vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater, so verspricht es Christus auch dir.

Nun magst du mit Recht einwenden: Aber was ist, wenn sich nun kaum ein Mensch für diese Nachrichten interessiert, die Christus uns anvertraut hat, wenn die Leute diese Nachrichten einfach nicht hören wollen und im Gegenteil sogar aggressiv darauf reagieren? Sollte man dann nicht doch besser den Mund halten, statt sich unnötig Ärger einzuhandeln? Auch hier tröstet Christus seine Jünger, tröstet damit auch uns wieder: Ihr braucht euch doch nicht zu fürchten vor denen, die ihre Ohren vor eurer Botschaft verschließen. Was sind sie schon im Vergleich zu Gott? Wer wird denn einmal das letzte Urteil über euer Leben sprechen? Doch nicht die Klassenkameraden und Arbeitskollegen, nicht die Nachbarn, nicht die Freunde, sondern Gott allein. Ganz schön kurzsichtig wäre es, sich am Urteil der Menschen zu orientieren, davon abhängig zu machen, was man sagt oder denkt. Als Christen dürfen wir viel weiter blicken, und das macht uns gelassen, lässt uns auch Anfeindungen, denen wir um unseres Glaubens willen ausgesetzt sein mögen, noch einmal mit anderen Augen wahrnehmen: Arm dran sind nicht wir, arm dran sind die, die mit ihrer Ablehnung der christlichen Botschaft Realitätsverweigerung betreiben.

Doch Jesus kennt uns: Er weiß, wie sehr wir uns trotz allem immer wieder Sorgen machen, Sorgen darum, was für Nachteile es mit sich bringen könnte, wenn wir uns allzu klar zu ihm bekennen, wenn wir als Christen beispielsweise auch nicht bei allem mitmachen, was alle anderen doch auch machen, wenn wir deutlich machen, dass Christus uns wichtiger ist als die Erwartungen, die andere Menschen an uns richten mögen. Und darum spendet er uns jetzt noch mehr Trost und Ermutigung:
Von den Sperlingen redet er hier: Sperlinge waren damals für die Leute so etwas Ähnliches wie ein BigMac heute: Ein beliebtes Fastfood, eine kleine Fleischmahlzeit, die sich auch die Ärmeren mal leisten konnten. Ziemlich billig, fast wertlos schien solch ein Sperling damals zu sein. Doch Jesus macht seinen Jüngern deutlich: Selbst solch ein billiger Sperling fällt nicht vom Himmel ohne euren Vater. Und da macht ihr euch Sorgen darum, dass ihr mit eurem Bekenntnis zu Christus ganz allein dastehen könntet? Denkt daran: Gott hat auch eure Haare auf eurem Kopf alle gezählt. Das macht er nicht bloß, wenn es auf eurem Kopf schon etwas übersichtlicher aussieht; das macht er wirklich bei einem jeden von euch. Er weiß genau, wie es euch geht, wie euch zumute ist. Er kennt euer klopfendes Herz, er kennt euren Kleinglauben, er kennt eure Sehnsucht, in den Augen eurer Umgebung anerkannt zu sein. Nein, Gott erspart euch nicht unbedingt die schweren Wege; aber alleingelassen seid ihr dabei nie; euer Vater stärkt euch immer euren Rücken, ganz gleich, was ihr als Christen in eurem Leben auch erfahren mögt.

Und dann nennt Christus hier schließlich noch eine ganz wunderbare Ermutigung: Wann immer du dich zu Christus, deinem Herrn, bekennst, wann immer du dich am Sonntagmorgen auf den Weg in die Kirche begibt, während deine Freunde und Bekannten vermutlich alle noch im Bett liegen und schlafen, wann immer du dir wegen deines Christseins Ärger und Kopfschütteln einhandelst, darfst du gewiss sein: Christus, dein Herr, tritt für dich ein vor deinem Vater im Himmel, bekennt sich zu dir: Jawohl, den kenne ich, die kenne ich, die gehören zu mir, die sollen für immer mit mir leben.

Wir begehen heute in diesem Gottesdienst den Gedenktag der Reformation. Dieser Tag ist kein Anlass zur protestantischen Selbstbeweihräucherung, erst recht keine Kampfansage an die römisch-katholische Kirche. Wohl aber ist er eine Anfrage an uns selber: Ist uns eigentlich selber klar, an wen wir glauben und zu wem wir uns bekennen? Es geht im christlichen Glauben nicht bloß darum, dass wir uns irgendwie zu Gott bekennen, dass wir glauben, dass es ihn gibt, dass wir irgendwie religiös sind. Sondern es geht im christlichen Glauben ganz konkret um ihn, Jesus Christus, dass wir uns zu ihm bekennen, zu dem, was er für uns getan hat. Darum geht es im christlichen Glauben, dass wir auf ihn als unseren Herrn und Retter vertrauen, dass wir wissen: Wir wären verloren, wenn unser Heil an uns, an unserem Glaubensmut, an unserer Standhaftigkeit hinge. Sondern unser Heil hängt allein an ihm, Jesus Christus, hängt allein daran, dass er sein Leben für uns in den Tod gegeben hat, dass er sein Bekenntnis zu uns doch schon in unserer Taufe abgelegt hat, wie er dies heute auch bei Elisa getan hat, dass er uns unser Versagen, unsere Feigheit immer wieder von Neuem vergibt. Ja, das Bekenntnis zu Jesus Christus, zu dem er uns ruft, wird konkret immer wieder die Form des Sündenbekenntnisses haben, des Bekenntnisses, dass wir ohne ihn, Christus, vor Gottes Augen nicht bestehen könnten. Und Christus reagiert auf dieses Bekenntnis unserer Sünde und Schuld, unseres Versagens, reagiert darauf mit seinem Bekenntnis zu unseren Gunsten vor seinem Vater, reagiert mit seiner Fürsprache, mit seiner Vergebung, die unsere Rettung ist. Um Christus allein geht es in unserem Glauben, geht es in der Kirche, geht es auch in unserem Bekenntnis. Und den haben wir, gottlob, nicht bloß in unserer lutherischen Kirche für uns gepachtet. Es war für uns auch als lutherische Christen eine Freude, wie der Papst bei seinem Deutschlandbesuch dieses Christusbekenntnis immer wieder neu klar ausgesprochen und entfaltet hat, ja es auch so manchem Vertreter des Protestantismus wieder neu in Erinnerung gerufen hat. Und auch nur so werden die so schmerzlichen Spaltungen in der Christenheit überwunden werden können, dass wir gemeinsam immer tiefer erfassen, wer denn Kern und Zentrum unseres Glaubens ist: eben kein anderer als Christus, der Herr, der Sohn des lebendigen Gottes. Blicken wir darum immer wieder auch über den Tellerrand, schauen wir auch auf die Christen in anderen Kirchen, nicht zuletzt auch auf die Christen der syrisch-orthodoxen Kirche, die in unserer Dreieinigkeitskirche nun jeden Sonntag Christus als ihren Herrn und Gott anbeten und preisen! Ja, wenn wir uns umschauen, dann werden wir feststellen: Wir sind als Christen gar nicht so wenige, wie wir mitunter denken mögen – und mehr als die Fans von Hertha BSC sind wir auch jetzt schon allemal! Amen.