24.12.2011 | Jesaja 9,1-6 | Christvesper II

Das kleine Mädchen kreischte und schrie in höchsten Tönen, kriegte sich vor lauter Ekstase überhaupt nicht mehr ein. Es hüpfte hin und her im Wohnzimmer und hielt dabei verschiedene Produkte des Elektrokaufhauses „Media Markt“ in der Hand, die es soeben unter dem Weihnachtsbaum ausgepackt hatte. Und während das Mädchen noch voller Verzückung schrie und hüpfte, ertönte eine sonore Männerstimme: „Weihnachten wird unterm Baum entschieden.“

Die Werbespots und die Werbeslogans, mit denen der „Media Markt“ in diesen Tagen vor Weihnachten die Kunden in seine Geschäfte zu treiben versuchte, sind mit ihrer Botschaft so unterirdisch grottenschlecht, dass einem die Worte dafür fehlen. Was Loriot vor etlichen Jahren mit seiner wundervollen Schilderung der Weihnacht bei Hoppenstedts noch unübertrefflich durch den Kakao gezogen hatte, wird nun allen Ernstes als begehrenswertes Ziel aller Weihnachtsvorbereitungen beschrieben. Ja, grottenschlecht ist das, was sich der „Media Markt“ da als Version von Weihnachten ausgedacht hat – doch es steht zu befürchten, dass er damit dichter an der Realität des heutigen Abends in vielen Häusern unseres Landes dran ist, als wir dies möglicherweise wahrhaben wollen.

Weihnachten – ein Fest, bei dem die Leute vor Freude kreischen über die Beute, die sie gemacht haben, bei dem sie jubeln über einen großen Sieg: Halt – hatten wir das nicht auch gerade in der alttestamentlichen Lesung dieses Heiligen Abends gehört: Vor dir wird man sich freuen, wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt? Und ist da nicht auch von einer siegreichen Schlacht, vom Tag Midians die Rede, als damals die Israeliten die Midianiter besiegten? Ist die Botschaft des Media Marktes also vielleicht doch biblischer, als wir zunächst annehmen mögen? Es lohnt sich jedenfalls, noch einmal genauer hinzuschauen, was uns der Prophet Jesaja hier in diesen Worten vor Augen stellt. Dann werden wir allerdings auch klar erkennen, was die Weihnachtsfreude, die uns der Prophet verkündigt, von der Weihnachtsfreude des Media Marktes unterscheidet:
Unsere Weihnachtsfreude
- blendet das Dunkel nicht aus
- feiert, was längst entschieden ist
- ist nicht nur von kurzer Dauer

I.
Stimmung ist heute Abend angesagt, möglichst gute Stimmung, wenn denn die Weihnachtsfeier ein Erfolg werden soll, wenn Weihnachten heute Abend unterm Baum entschieden wird. Ein wenig Dunkel kann dabei dieser Stimmung durchaus förderlich sein, wenn dadurch die Kerzen besser zur Geltung kommen, wenn sich dadurch heimelige Gefühle noch besser einstellen. Doch das wirkliche Dunkel hat da keinen Platz, wo es zu Weihnachten tatsächlich um nichts Anderes geht, als gute Stimmung, als gute Laune zu erzeugen. Das wirkliche Dunkel könnte diese gute Laune womöglich verderben, könnte den Erfolg der abendlichen Feier letztlich doch gefährden.

Doch auch wenn wir versuchen, dieses Dunkel heute Abend zu verdrängen, es aus unserer weihnachtlichen Festtagsstimmung auszublenden: Es ist und bleibt da. Und wir spüren schnell, wie krampfig es wird, wenn wir so tun müssen, als ob es gar nicht vorhanden wäre.

Wie befreiend sind dagegen die Worte des Propheten Jesaja, die wir eben gehört haben. Die blenden dieses Dunkel in unserem Leben, in unserer Welt gerade nicht aus, sprechen es offen an, sprechen von dem Volk, das im Finstern wandelt, das im finstern Lande, man könnte auch übersetzen: das im Todesschatten wohnt. Da gibt es so viele Menschen in unserer Stadt, in unserer Gemeinde, ja wohl auch in unserer Mitte, die heute Abend nicht auf die Idee kommen werden, vor Freude kreischend durchs Wohnzimmer zu hüpfen, die heute Abend vielmehr allein in ihrer Wohnung sitzen werden, vielleicht an einen lieben Menschen denken werden, der an diesem Heiligen Abend nun nicht bei ihnen ist, oder bei denen sich aus anderen Gründen keine Begeisterung an diesem Abend einstellen will. Nein, diese Begeisterung würde sich selbst dann nicht bei ihnen einstellen, wenn man ihnen den Inhalt eines gesamten Media Marktes vor den Weihnachtsbaum kippen würde. Es gibt ein Dunkel, das sich nicht wegkaufen lässt.

Wenn auch wir als Christen an diesem Abend von der Weihnachtsfreude singen, wenn wir auch am Schluss dieses Gottesdienstes das „O du fröhliche“ anstimmen werden, dann reicht diese Freude viel tiefer, reicht so tief, dass sie das Dunkel in unserem Leben nicht verdrängt, sondern mitten in diesem Dunkel aufleuchtet. Der, dessen Geburt wir an diesem Abend feiern, ist nicht in diese Welt gekommen, um hier kurz mal Party zu feiern, um unsere Stimmung zu heben, sondern er ist mitten in das Dunkel dieser Welt hineingekommen, hat dieses Dunkel selber erfahren: Traurigkeit, Schmerzen, Einsamkeit, schließlich auch den Tod. Er versteht uns in unserer Dunkelheit, ja mehr noch: Wo er ist, da ist dieses Dunkel nicht alles, nicht das Letzte. Da leuchtet ein Licht auf, das uns hilft, selbst im tiefsten Dunkel nicht verzweifeln zu müssen. Auf dieses Licht und nichts Anderes bezieht sich die Weihnachtsfreude, um die es auch heute Abend hier in diesem Gottesdienst geht.

II.
Warum ist der Spruch „Weihnachten wird unterm Baum entschieden“ eigentlich so daneben? Fußballersprache wird hier angewendet; das ist an und für sich ja noch nichts Schlechtes. Doch mit der Anwendung dieser Sprache wird der Eindruck erweckt, als sei der Ausgang von Weihnachten eigentlich noch offen, ja als hinge der Ausgang von Weihnachten von uns, von unserem Einsatz, konkret von unserem Gang in eine Filiale des Media Marktes ab.
Auch wenn der Slogan die Dinge natürlich grotesk überzeichnet: Die Gefahr, Weihnachten in dieser Weise misszuverstehen, ist in der Tat groß: Zum Stressereignis wird Weihnachten da, wo wir an diesem Abend nur auf das blicken, was wir tun müssen, um Weihnachten gelingen zu lassen, wo Weihnachten zum Fest des Friedens und der Familie degradiert wird.

Doch Jesaja verkündigt uns hier eine ganz andere Botschaft: Weihnachten wird gerade nicht unterm Baum entschieden, der Erfolg von Weihnachten hängt nicht davon ab, ob wir auch genügend für unsere Lieben eingekauft haben, hängt nicht von der Konsistenz der Weihnachtsgans ab, auch nicht davon, ob die, für die wir Weihnachten vorbereitet haben, unsere Vorbereitungen und Geschenke zu schätzen wissen. Sondern Weihnachten ist schon längst entschieden, eindeutig entschieden zu unseren Gunsten. Ein voller Erfolg wird Weihnachten für uns auf jeden Fall, denn die Entscheidung über das Gelingen von Weihnachten ist schon gefallen, als Maria damals ihren neugeborenen Sohn in die Krippe legte. Da hat kein Geringerer als Gott selber uns sein Weihnachtsgeschenk hingelegt, das auch von dem bombastischsten Flachbildschirm und von dem stylischsten iPad nicht mehr getoppt werden kann. Gott sorgt dafür, dass unser Weihnachten gelingt, sorgt dafür, dass wir uns keinen Stress zu machen brauchen, weil er schon alles getan hat für uns: Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter. Und wir, wir können in dieser Stunde loslassen, durchatmen, dürfen einfach nur staunen über das, was uns da widerfahren ist und widerfährt, dürfen staunen wie Leute, die im Finstern ohne Orientierung herumtappten und mit einem Mal erleben, wie vor ihnen ein großes Licht aufscheint. Nein, dieses Licht haben nicht sie angeknipst, es erscheint ihnen, schenkt ihnen Orientierung, schenkt ihnen Wärme, schenkt ihnen Leben. Wir müssen nicht länger unter der Jochstange derer herumlaufen, die uns einreden wollen, wir müssten Weihnachten mit unserem Einsatz, auch mit unserem Konsum gelingen lassen. Da kommt wahre Weihnachtsfreude auf, Weihnachtsfreude, die erkennt, dass Weihnachten längst für uns entschieden ist.

III.
Und diese Weihnachtsfreude, um die es heute Abend hier in diesem Gottesdienst geht, die hat Bestand. Das quiekende Mädchen im Media Markt-Video wird irgendwann seine Jubelschreie eingestellt haben, wird eine Weile mit seinen Geschenken gespielt haben und sie vermutlich irgendwann wieder in die Ecke gepackt haben. Weihnachtsfreude à la Media Markt spitzt sich zu auf ein paar Stunden oder Tage, bevor sie dann auch wieder vorbei ist.

Die Weihnachtsfreude, die Gott bei uns mit dem Geschenk seines Sohnes in der Krippe macht, ist nicht bloß auf ein paar Stunden oder Tage angelegt. Denn dieses Geschenk können wir unser ganzes Leben lang gebrauchen, ach, was sage ich: Wir können es nicht bloß gebrauchen, wir brauchen es alle miteinander dringender als jedes andere Geschenk, das wir je zu Weihnachten bekommen mögen, als jede andere Anschaffung, die wir je tätigen mögen. Denn der, der da in der Krippe liegt, der ist gekommen, damit unser Leben nicht im Dunkel der Trennung von Gott endet, nicht im Dunkel des Todes, sondern damit es einmündet in ein Fest, bei dem wir einmal noch viel ausgelassener jubeln werden als jenes Mädchen im Werbespot, bei dem wir darüber jubeln werden, dass all das, was uns jetzt noch bedrückt und belastet, einmal endgültig hinter uns liegen wird, uns nie mehr bedrohen und belasten wird. Noch kann man dieses Geschenk, noch kann man dieses Kind in der Krippe übersehen und als unwichtig beiseite packen. Noch kann man spöttisch fragen, was denn die Geburt eines Kindes vor 2000 Jahren für uns heute noch für eine Bedeutung haben soll. Noch kann man darüber den Kopf schütteln, wie man nur glauben kann, dass Gott durch ein kleines Kind die Welt retten will, wie man nur glauben kann, dass Gott uns durch ein Stück Brot und einen Schluck Wein das ewige Leben schenken will. Doch Jesaja öffnet uns schon jetzt durch sein Wort die Augen: Das Kind, das uns geboren ist, ist nicht weniger als der starke Gott selber, der sich für uns klein macht, um uns seinen Frieden, sein unvergängliches Leben zu schenken. Und das bleibt aktuell, auch wenn alle Weihnachtsbäume längst wieder von der BSR entsorgt sein werden, das bleibt aktuell, auch wenn alle Geschenke, die wir zu Weihnachten bekommen mögen, längst verbraucht oder defekt sein mögen. Die Weihnachtsfreude, die uns Gott heute wieder bereiten will, die bleibt, die bleibt auf Dauer, die wird schließlich überhaupt nicht mehr aufhören. Haltet euch darum nur an das Kind in der Krippe, haltet euch an ihn, den starken Gott, wenn er euch begegnen will in seinem Heiligen Mahl. Dann habt ihr sie, ganz gleich, wie der heutige Abend im Weiteren auch verlaufen wird, dann habt ihr sie auf jeden Fall: Fröhliche Weihnachten. Amen.