24.02.2010 | Apostelgeschichte 1, 15-26 (Tag des Apostels St. Matthias)

TAG DES APOSTELS ST. MATTHIAS – 24. FEBRUAR 2010 – PREDIGT ÜBER APOSTELGESCHICHTE 1,15-26

Und in den Tagen trat Petrus auf unter den Brüdern - es war aber eine Menge beisammen von etwa hundertzwanzig - und sprach: Ihr Männer und Brüder, es musste das Wort der Schrift erfüllt werden, das der Heilige Geist durch den Mund Davids vorausgesagt hat über Judas, der denen den Weg zeigte, die Jesus gefangen nahmen; denn er gehörte zu uns und hatte dieses Amt mit uns empfangen. Der hat einen Acker erworben mit dem Lohn für seine Ungerechtigkeit. Aber er ist vornüber gestürzt und mitten entzweigeborsten, sodass alle seine Eingeweide hervorquollen. Und es ist allen bekannt geworden, die in Jerusalem wohnen, sodass dieser Acker in ihrer Sprache genannt wird: Hakeldamach, das heißt Blutacker. Denn es steht geschrieben im Psalmbuch (Psalm 69,26; 109,8): »Seine Behausung soll verwüstet werden, und niemand wohne darin«, und: »Sein Amt empfange ein andrer.« So muss nun einer von diesen Männern, die bei uns gewesen sind die ganze Zeit über, als der Herr Jesus unter uns ein- und ausgegangen ist - von der Taufe des Johannes an bis zu dem Tag, an dem er von uns genommen wurde -, mit uns Zeuge seiner Auferstehung werden. Und sie stellten zwei auf: Josef, genannt Barsabbas, mit dem Beinamen Justus, und Matthias, und beteten und sprachen: Herr, der du aller Herzen kennst, zeige an, welchen du erwählt hast von diesen beiden, damit er diesen Dienst und das Apostelamt empfange, das Judas verlassen hat, um an den Ort zu gehen, wohin er gehört. Und sie warfen das Los über sie und das Los fiel auf Matthias; und er wurde zugeordnet zu den elf Aposteln.

Brauchen wir einen neuen Apostel? Die Frage war nicht aus der Luft gegriffen, sondern stellte sich damals den elf verbliebenen Aposteln gleich nach der Himmelfahrt ihres Herrn mit großer Dringlichkeit. Eigentlich waren sie ja mal zwölf gewesen; aber nun lebte Judas nicht mehr, der Jesus verraten hatte, war auf erschütternde Weise aus dem Zwölferkreis ausgeschieden. Und da stellte sich nun die Frage: Brauchen wir einen neuen Apostel? Heutzutage, im Zeitalter der Rationalisierung, auch im Zeitalter der Zusammenlegung von Gemeinden in unserer Kirche würde man vermutlich antworten: Mensch, was zwölf geschafft haben oder schaffen sollten, das schaffen elf auch, wenn sie sich ein bisschen zusammenreißen und ihre Arbeit ein bisschen besser organisieren. Nein, betriebsbedingte Kündigungen muss es ja nicht gleich geben, aber dass ein freigewordener Platz nicht wieder besetzt wird, ist doch ganz normal! Und außerdem bilden beim Fußball ja auch elf Leute eine Mannschaft – warum sollte das dann in der Apostelmannschaft nicht auch gehen?
Brauchen wir einen neuen Apostel? Für die elf verbliebenen Apostel war die Antwort ganz klar: Ja, den brauchen wir, so bald wie möglich. Nein, den brauchen wir nicht, weil wir weniger arbeiten wollen, den brauchen wir aus einem ganz anderen Grund: Jesus hatte ja nicht zufällig gerade zwölf Apostel berufen und eben nicht acht oder vierzehn. Nein, zwölf sollten es sein – genau die Anzahl der zwölf Stämme Israels. Diese zwölf Juden, die Jesus da zu Aposteln berufen hatte, die sollten die Repräsentanten des neuen Gottesvolkes sein, das Jesus mit dem neuen Bund in seinem Blut, am Kreuz vergossen, schaffen wollte, des neuen Gottesvolkes, zu dem zu gehören zunächst und vor allem Israel, danach aber auch alle anderen Völker eingeladen sein sollten. Vollzählig sollte das neue Gottesvolk, vertreten durch die zwölf Apostel, anwesend sein, wenn Gott nun seinen Geist auf sein Volk gießen wollte, wie er dies bereits durch die Propheten im Alten Testament für die letzte Zeit angekündigt hatte. Und von daher war das gar keine Frage: Wir brauchen einen neuen Apostel, wir brauchen eine neue Nummer 12, nein, keinen Ersatzspieler, wie beim Fußball, sondern einen, der von Anfang an mit dabei sein soll, ja, auch schon vorher mit dabei gewesen sein soll.
Ja, der neue Apostel, der nun gesucht wurde, sollte nicht einfach bloß ein Lückenbüßer sein, kein Zählkandidat, der einfach nur rumsteht, um die erforderliche Zahl vollzumachen. Der musste im Gegenteil einige ganz wichtige Bedingungen erfüllen: Er musste den ganzen Weg Jesu selber mitverfolgt haben, von seiner Taufe über seine Auferstehung bis zu seiner Himmelfahrt. Ja, so lesen wir es immer wieder im Neuen Testament, dass Jesus während seiner Wirksamkeit nicht bloß von den zwölf Aposteln begleitet worden war, sondern dass er daneben eine Gruppe von siebzig Jüngern um sich herum hatte, die er ebenfalls während seiner Wirksamkeit ausgesandt und mit seiner Vollmacht versehen hatte. Das war also nicht von vornherein ein hoffnungsloses Unterfangen, jemanden zu finden, der die erforderlichen Kriterien für einen Apostel erfüllte und die ganze Zeit mit den anderen Aposteln zusammengewesen war. Und in der Tat: Nun, nach Ostern, gehörten offenbar auch nicht wenige aus dieser Siebzigergruppe zu der Gemeinde, die nach der Himmelfahrt des Herrn darauf wartete, dass Jesus nun seine Versprechen an ihr erfüllen und ihr seinen Geist senden würde. Man schaute sich um in der Gemeinde – und interessanterweise scheint die ganze Gemeinde nun bei der Auswahl mitbeteiligt gewesen zu sein: Gemeinsam überlegt man, wer überhaupt in Frage kommen könnte, weil er die notwendigen Bedingungen erfüllte und weil er darüber hinaus für diesen wichtigen Dienst, für diese episkope, wie es im Griechischen hier heißt, für dieses Bischofsamt, wie man das Wort später übersetzt hat, geeignet erschien. Zeuge sollte der betreffende Mann sein, also einer, der dazu in der Lage war, auch von dem zu reden, was er in dieser Zeit, die er gemeinsam mit Jesus verbracht hatte, alles gehört und erlebt hatte. Und so stellt die Gemeinde am Ende zwei Kandidaten auf: Barsabbas Justus und Matthias.
Was dann allerdings weiter geschieht, unterscheidet sich schon deutlich von der Art und Weise, wie heutzutage kirchenleitende Ämter besetzt werden: Da findet kein Kreuzverhör der Kandidaten statt; die Kandidaten müssen nicht dazu Stellung nehmen, wie sie es denn mit der Frauenordination halten und welche strategischen Perspektiven für den Gemeindeaufbau sie denn zu entwickeln gedenken; es bilden sich keine Unterstützergruppen, im Gegenteil: Der Wahlkampf fällt völlig aus. Denn keiner der beiden Kandidaten wird gewählt – zumindest nicht von Menschen, noch nicht einmal von den elf verbliebenen Aposteln. Nein, auch die machen sich nicht daran zu testen, ob denn die neue Nummer zwölf teamfähig ist, ob denn die Chemie zwischen ihnen und dem neuen stimmt. Sondern alle miteinander wenden sie sich an den Herrn der Kirche im Gebet, bitten ihn, die Entscheidung darüber zu fällen, wer denn nun der neue zwölfte Apostel werden soll. Und als Ausdruck dessen, dass Christus allein entscheiden soll, wer der neue Apostel sein soll, werfen sie schließlich das Los, lassen den Losentscheid darüber bestimmen, ob denn nun Barsabbas Justus oder Matthias erwählt werden soll. Nein, nicht das Glück, nicht der Zufall sollen auf diese Weise entscheiden, sondern das Los wird geworfen im Vertrauen darauf, dass der, der alle Herzen kennt und zu lenken vermag, auch diesen Losentscheid gebraucht, um damit seinen Willen kundzutun. Und so fällt das Los schließlich auf Matthias, und durch diesen Losentscheid wird er der neue zwölfte Apostel, wird den anderen elf Aposteln zugeordnet, wie St. Lukas hier ganz nüchtern formuliert.
Brauchen wir einen neuen Apostel? Was uns St. Lukas hier im ersten Kapitel seiner Apostelgeschichte schildert, ist in der Tat ein einmaliges Ereignis geblieben. Als später die ersten Apostel als Märtyrer für Christus starben, da hat sich die Gemeinde in Jerusalem nicht noch einmal zusammengesetzt, um einen neuen Apostel zu bestimmen, hat nicht noch einmal das Los geworfen. Es wird uns auch keine Diskussion überliefert, dass auch nur irgendjemand auf die Idee gekommen wäre, dies zu tun. Offenbar war die Zwölfzahl dieses Apostelkreises für den allerersten Beginn der Kirche, bei der Gründung der Kirche zu Pfingsten, von entscheidender Bedeutung. Danach entstanden auf der Grundlage des Dienstes der zwölf Apostel andere Ämter und Dienste in der Kirche: Die Episkope, das Amt der Gemeindeleitung, wurde nicht durch Losentscheid, sondern durch Handauflegung weitergegeben, so lesen wir es in den Briefen des Apostels Paulus an Timotheus. Und dabei war der Paulus ja nun selber auch keiner von den zwölf Aposteln, erfüllte nicht das Kriterium, dass er von der Taufe Jesu an mit Jesus zusammengewesen war bis zu seiner Auferstehung und Himmelfahrt. Ja, das Wort „Apostel“ und der Dienst, der damit verbunden war, konnte offenbar in unterschiedlicher Weise verwendet werden. Denn das Wort „Apostel“ heißt als solches ja einfach nur „Gesandter“, und dass er von dem auferstandenen Christus gesandt war, in seinem Namen und in seinem Auftrag zu verkündigen, das war allerdings dem Paulus schon sehr wichtig, und darum betont er zu Beginn seiner Briefe auch immer wieder, dass er auch Apostel ist, auch wenn er nicht zu dem Zwölferkreis zählte, zu dem Matthias damals hinzugefügt worden war.
Brauchen wir also heute noch neue Apostel? St. Lukas macht uns hier in seiner Schilderung deutlich, warum wir sie heute nicht mehr brauchen: Apostel sind Ursprungszeugen, Augenzeugen Jesu aus der Zeit seines Wirkens in Israel, Augenzeugen schließlich auch seiner Auferstehung. Ämter in der Nachfolge der Apostel mag es sehr wohl geben; aber das Apostelamt als solches ist und bleibt in diesem Sinne einmalig, auch wenn manche seiner Aufgaben auch später in der Kirche noch weiter wahrgenommen worden sind und wahrgenommen werden bis zum heutigen Tag.
Nein, neue Apostel brauchen wir nicht. Aber wir brauchen als Kirche bis heute den einen neuen Apostel Matthias und mit ihm die anderen elf Apostel auch. Ja, wir brauchen diese zwölf Apostel, weil sie die Garanten, die Gewährsleute dafür sind, dass der christliche Glaube eben nicht bloß eine zeitlose Ideologie ist und erst recht nicht bloß auf irgendwelchen Mythen basiert. Nein, am Anfang der Kirche stehen zwölf Männer, von Jesus selber beauftragt, die als Augen- und Ohrenzeugen dessen, was sie selber miterlebt haben, für die Wahrheit dessen eintreten, was sie verkündigen, für die Wahrheit der apostolischen Botschaft, auf die die Kirche bis heute gegründet ist. Die zwölf Apostel, sie stehen dafür ein, dass unser christlicher Glaube eine geschichtliche Grundlage hat, dass er gegründet ist in dem Weg Jesu von seiner Taufe bis zu seiner Auferstehung und Himmelfahrt, gegründet in diesem Weg, in dem erkennbar wurde, dass dieser Jesus unendlich mehr ist als bloß ein großer Lehrer, dass in ihm Gott selber Mensch geworden ist. Die zwölf Apostel, sie stehen zugleich mit ihrer Person dafür ein, dass unser christlicher Glaube niemals losgelöst werden kann von der Geschichte des Gottesvolkes Israel, dem sie selber entstammten. Nein, die zwölf Apostel gründen keine neue Religion, sondern sie bezeugen mit ihrer Existenz und mit dem, was sie verkündigen, die Treue Gottes zu seinen Verheißungen, die in der Sendung Jesu und der Verkündigung der frohen Botschaft an alle Völker endgültig zur Erfüllung kommen. Und die zwölf Apostel, sie stehen schließlich auch dafür ein, dass die Geschichte Jesu mit seiner Kreuzigung, Auferstehung und Himmelfahrt eben nicht zu ihrem Abschluss gekommen ist, sondern nun erst richtig los geht: Auch alles menschliche Versagen wie das des Judas kann Christus nicht daran hindern, seine Kirche zu bauen, kann nicht verhindern, dass Menschen die frohe Botschaft vom Tod und der Auferstehung ihres Herrn weitertragen in alle Welt, getragen von der Kraft des Heiligen Geistes. Und genau dem dient eben auch das „eine, von Christus gestiftete Amt der Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung“, von dem die Grundordnung unserer Kirche spricht und das gegründet ist in dem Dienst der Apostel selber, in ihrem Auftrag, in ihrer Verkündigung. Ja, auch in diesem Sinne ist die Nachwahl des Matthias ein Signal: Es geht weiter; es geht jetzt erst richtig los; alle Menschen sollen mit der Botschaft von Christus erreicht werden.
Und darum haben wir heute an diesem Aposteltag allen Grund zum Dank – zum Dank für den einmaligen Dienst der Apostel damals, für ihr Zeugnis, das wir bis heute hören dürfen, und für das Amt, das diesen Aposteldienst bis heute weiterführt mit derselben Verheißung unseres Herrn: „Wer euch hört, der hört mich.“ Amen.