25.04.2010 | 1. Johannes 5,1-4 (Jubilate)

JUBILATE – 25. APRIL 2010 – PREDIGT ÜBER 1. JOHANNES 5,1-4

Wer glaubt, dass Jesus der Christus ist, der ist von Gott geboren; und wer den liebt, der ihn geboren hat, der liebt auch den, der von ihm geboren ist. Daran erkennen wir, dass wir Gottes Kinder lieben, wenn wir Gott lieben und seine Gebote halten. Denn das ist die Liebe zu Gott, dass wir seine Gebote halten; und seine Gebote sind nicht schwer. Denn alles, was von Gott geboren ist, überwindet die Welt; und unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.

„Ich bin auch eher so christlich. Ich interessiere mich fürs Spirituelle, und das mit der Nächstenliebe halte ich auch für ganz wichtig. Und mit dem Islam – nein, mit dem kann ich nun gar nichts anfangen. Da will ich dann doch eher christlich sein.“
Schwestern und Brüder, vielleicht habt ihr solche oder ähnliche Äußerungen aus eurem Bekannten- und Freundeskreis auch schon mal gehört: Nein, mit Kirche will man nicht unbedingt etwas am Hut haben – aber irgendwie christlich sein, das möchte man schon, das gehört doch irgendwie dazu. Doch genau darum geht es in unserem Glauben nicht, so macht es uns St. Johannes in der Epistel dieses Sonntags deutlich, dass wir irgendwie christlich sind, „christlich“ im Sinne einer allgemeinen religiösen Einstellung, eines Bewusstseins für Anständigkeit, vielleicht gar im Sinne eines Bewusstseins für das christliche Abendland, das gegen die Bedrohung durch den Islam verteidigt werden muss. Ob du christlich bist oder nicht – das ist eigentlich einigermaßen egal. Die entscheidende Frage ist, ob du Christ bist oder nicht. Und das ist noch einmal etwas ganz Anderes, so machen es die Ausführungen unserer heutigen Predigtlesung deutlich. Und so stellt Johannes auch dir diese entscheidende Frage: Bist du Christ, oder bist du christlich? An drei Punkten macht er dabei den Unterschied zwischen „Christ“ und „christlich“ deutlich: Es geht

- um dein Verhältnis zu Gott
- um dein Verhältnis zur Kirche
- um dein Verhältnis zur Welt

I.

Um Gott geht es sowohl dem Christen als auch dem, der einfach nur „christlich“ sein will. Doch für beide bedeutet „Gott“ jeweils etwas ganz Unterschiedliches: Wer nur christlich sein will, für den bedeutet Gott möglicherweise nicht viel mehr als ein höheres Wesen, dessen Existenz man vielleicht vernünftigerweise doch annehmen sollte. Ja, da oben gibt es vermutlich jemanden, und dieser jemand, der passt vielleicht auch auf einen auf, mit dem kann man vielleicht auch gedanklich Verbindung aufnehmen, kann vielleicht auch zu ihm Gebete sprechen, wenn man Sorgen und Nöte hat und Hilfe braucht. Man will ja doch kein reiner Materialist sein; irgend so was Geistiges, Spirituelles, das gibt es ja vermutlich doch, und dafür sollte man auch offen sein. Und außerdem gehören bestimmte religiöse Riten einfach zum Leben mit dazu; auf die möchte man nicht verzichten, ob es nun die Konfirmation, die kirchliche Trauung oder schließlich auch die Beerdigung ist. Darum ist man ja christlich.
Wenn St. Johannes hier von Gott redet, dann meint er nicht bloß das höhere Wesen, das über allem schwebt und über dessen Existenz man sich so seine Gedanken machen kann. Johannes redet nicht von Gott im Allgemeinen, der letztlich der Inhalt aller Religionen ist, nicht von einem religiösen Hintergrundgeräusch für Familienfeierlichkeiten, sondern er redet von einem ganz konkreten Gott, der sich eindeutig und unmissverständlich zu erkennen gegeben hat: Er redet von dem Gott, der einen Sohn hat, der Mensch geworden ist, der leibhaftig am Kreuz gehangen hat und leibhaftig auferstanden ist, der nicht Gegenstand unserer Spekulation, sondern konkret fassbar ist.
Ja, auch schon zu seiner Zeit hatte St. Johannes sich mit Vorstellungen auseinanderzusetzen, wonach Christus, der Sohn Gottes, nur so eine Art von Geistwesen gewesen sei, das auf diese Erde gekommen sei, um ein paar kluge Sprüche von sich abzusondern und den Leuten eine paar spirituelle Erkenntnisse zu vermitteln, und das dann rechtzeitig vor seiner Kreuzigung sich wieder in die geistige Welt zurückgezogen habe. Und dagegen betont Johannes hier: „Wer glaubt, dass Jesus, der irdische Jesus, der in Bethlehem geboren ist, der Hunger und Durst und Angst und Schmerzen gehabt hat, der schließlich gestorben ist, dass dieser Jesus der Christus, der Sohn Gottes ist, der ist von Gott geboren, der ist ein Christ.“ Wer nichts damit anfangen kann, dass in diesem Jesus Gott selber Mensch geworden ist, der mag sich zwar als christlich bezeichnen – ein Christ ist er dann jedoch nicht. Christsein ohne Christus, ohne den Glauben an den Mensch gewordenen Sohn Gottes – das gibt es nicht, so stellt es Johannes hier ganz deutlich heraus. Er macht aber dabei zugleich auch deutlich, wie wir an diesen Glauben herankommen, wie wir Christen werden: nicht durch unsere Entscheidung, nicht durch unser Nachdenken, nicht durch unser religiöses Gefühl, das wir irgendwie aktivieren. Sondern wir glauben, wir werden Christen dadurch, dass wir von Gott geboren werden, so formuliert es St. Johannes hier. So wenig wie ein Baby dazu beitragen kann, dass es auf diese Welt kommt, so wenig können wir dazu beitragen, dass wir glauben, dass wir Christen sind: Da ist etwas an uns und in uns geschehen, über das wir rückblickend nur staunen, über das wir uns nur freuen können. Ja, ein großes Geschenk ist es, wenn wir bekennen dürfen: Ich bin nicht bloß irgendwie christlich, sondern ich bin Christ, ich glaube an den Gott, der in Jesus Christus Mensch geworden ist, ja, um meinetwillen, damit ich für immer in der Gemeinschaft mit diesem Gott leben darf. Und wir merken schon: Dieser Glaube, von dem St. Johannes hier redet, ist unendlich mehr als bloß ein Vermuten oder ein „Für-Wahr-Halten“. Statt vom Glauben an Gott kann er hier auch von der Liebe zu Gott reden – von der Liebe zu Gott, die in der Liebe gründet, mit der uns Gott selber in unserer Taufe umfangen hat. Ja, von Gott geliebt zu sein und diesen liebenden Gott selber zu lieben – darum und nicht weniger geht es, wenn wir bekennen, dass wir nicht bloß christlich, sondern Christen sind.

II.

Doch was Christen von denen unterscheidet, die bloß „christlich“ sein wollen, ist nicht bloß das Verhältnis zu Jesus Christus, dem Mensch gewordenen Gott, sondern es ist auch das Verhältnis zur Kirche.
Dass man auch ohne Kirche an Gott glauben kann, ist eine verbreitete Einstellung derer, die sich selber als irgendwie „christlich“ bezeichnen. Und die Diskussionen der letzten Monate scheinen ihnen noch einmal in besonderer Weise Recht zu geben: Hat sich die Kirche mit dem Verhalten so vieler ihrer Amtsträger nicht endgültig ins Abseits befördert, ist die Zeit nicht gekommen für einen Glauben, der sich endlich unabhängig macht von der Institution „Kirche“? Wozu brauche ich die Kirche, wenn ich doch auch ohne sie christlich sein kann?
Diese heutige Diskussion ist gar nicht so neu; die gab es in ganz ähnlicher Form auch schon zu Zeiten des heiligen Johannes: Diejenigen, die in ihrem Glauben Christus als selbstgebasteltes Geistwesen verehrten, das ihnen auf seinem Weg in die himmlischen Welten ein paar kluge spirituelle Ratschläge hinterlassen hatte, erklärten ganz offen: Wozu brauchen wir die Gemeinschaft der Gemeinde? Es reicht doch, wenn wir für uns selber unser persönliches Verhältnis zu unserem Christus, zu Gott, zu den geistigen Welten über uns pflegen. Ja, wenn wir da dauernd in der Gemeinde mit lauter Leuten zusammen wären, die uns vielleicht gar nicht so liegen würden, die uns vielleicht gar nicht so sympathisch wären, dann würde uns das in unserer spirituellen Entfaltung vielleicht sogar eher hindern! Hauptsache, wir haben unseren persönlichen Glauben, das reicht uns, auch ohne Kirche und Gemeinde.
Und genau gegen solch eine Einstellung wendet sich St. Johannes hier in unserer Predigtlesung ganz eindrücklich: Nein, er kämpft nicht um den Mitgliedererhalt einer Organisation, ihm geht es hier nicht um die Bewahrung altehrwürdiger Strukturen, sondern ihm geht es ganz konkret um den Ort, wo die Kirche Jesu Christi immer wieder neu sichtbar und erfahrbar wird: in der Gemeinde, die sich um den Altar versammelt. Und eben aus dieser Gemeinde kann ich mich nicht ausklinken, wenn ich Christ sein will, so betont er es hier in aller Deutlichkeit: Die Liebe, die ich von Gott empfangen habe, und meine Liebe zu Gott, sie lassen sich nicht ablösen und trennen von der Liebe zu denen, die wie ich von Gott geliebt sind und in der Gemeinschaft der Gemeinde leben. Mit den Worten des heiligen Johannes selber: „Wer den liebt, der ihn geboren hat, der liebt auch den, der von ihm geboren ist.“ Nein, das ist keine Aufforderung, da schwingt kein moralischer Zeigefinger durch die Luft, das ist für Johannes eine ganz grundlegende Wirklichkeit: Liebe zu Gott und Liebe zum Bruder und zur Schwester in der Gemeinde lassen sich nicht voneinander trennen, die gehören notwendig zusammen. Gott stellt mich als sein geliebtes Kind immer in die Gemeinschaft seiner Familie, und wenn ich mich aus der herauslösen würde, dann würde ich eben ganz praktisch leugnen, dass die anderen, von denen ich mich trenne, auch von Gott geliebt sind, ja, dann würde ich letztlich auch Gottes Liebe zu mir selber in Frage stellen, die doch gerade darin besteht, dass er mich in die Gemeinschaft seiner Gemeinde gerufen hat.
Nun mag dieses Wort „Liebe“ für euch arg kitschig und emotional klingen und so wenig zu den Gefühlen passen, die ihr empfinden mögt, wenn ihr euch hier in der Gemeinde so umschaut. Wie gut, dass der heilige Johannes darum das Wort „Liebe“ hier noch weiter erläutert und statt „lieben“ auch „Gottes Gebote halten“ sagen kann. Liebe heißt nicht, dass ich jedem Gemeindeglied am Kircheneingang gleich in heißer Wallung um den Hals falle; sondern Liebe heißt, dass ich ganz konkret die Gemeinde als den Ort ansehe, an dem ich bewähren soll, dass ich es mit Gottes Geboten wirklich ernst meine. In meinem alltäglichen Leben, da kann ich mir meinen Freundeskreis ein ganzes Stück weit selber aussuchen. Wen ich nicht mag, um den kann ich ja einen Bogen machen. Nun gut, an meinem Arbeitsplatz oder in der Schule geht das vielleicht nicht ganz so einfach. Aber da erwartet ja auch nicht unbedingt irgendjemand von mir, dass ich die Menschen, die mir da vor der Nase sitzen, auch tatsächlich liebe, dass mir die persönlich irgendwie wichtig sind.
Aber in der Gemeinde ist das tatsächlich etwas Anderes: Die ist tatsächlich so etwas wie eine Familie, in die wir hineingestellt werden, eine Familie, in der wir uns die Familienangehörigen so wenig aussuchen können, wie wir uns ansonsten unsere Geschwister aussuchen konnten. Und genau das unterscheidet nun in der Tat den Christen von dem, der einfach nur ein bisschen „christlich“ sein will, dass er sich dieser Gemeinschaft nicht entzieht, dass er Gottes Gebote für unser Leben, ihn über alles zu lieben und unseren Nächsten wie uns selbst, tatsächlich in dieser Gemeinde zu leben und zu halten versucht.
Ja, es ist neben allem Anderen auch ein Akt der Nächstenliebe, der Liebe zu deinen Geschwistern, wenn du am Sonntagmorgen hierher zum Gottesdienst kommst, die anderen nicht allein hier sitzen lässt. Indem du das dritte Gebot hältst und den Feiertag heiligst, bringst du gleichermaßen deine Liebe zu Gott und zu deinen Brüdern und Schwestern hier in der Gemeinde zum Ausdruck, machst deutlich, dass der Glaube, dass dein Christsein für dich in der Tat etwas Verbindliches ist. Nein, du kommst eben nicht bloß hierher zum Gottesdienst, um deine persönlichen spirituellen Bedürfnisse zu befriedigen, du kommst hierher, weil andere dich brauchen, andere, deren Glaube vielleicht noch nicht so stark ist wie der deine und die durch dein Kommen ermutigt werden, weiter dabeizubleiben. Ja, schau sie dir an, deine Brüder und Schwestern hier in der Gemeinde, lass dir von Christus den rechten Blick auf sie schenken: Ja, sie mögen zum Teil merkwürdig und vielleicht auch gar nicht dein Typ sein, mögen ihre Fehler und Macken haben, der Pastor gewiss nicht ausgenommen. Aber sie sind von Gott geliebt, genau wie du, und darum weist Gott dich an sie, weil er sie liebt, genau wie er dich mit all deinen Macken, mit all deinen Eigenarten liebt. Nein, Gott erwartet von dir keine Heldentaten, nichts Übermenschliches, im Gegenteil, so betont es St. Johannes hier: Seine Gebote sind nicht schwer. Es geht darin um nichts Anderes als darum, Brüder und Schwestern in der Gemeinde wahrzunehmen als das, was sie sind: Gottes geliebte Kinder. Und dann kann ich eben auch auf Typen zugehen, die mir vielleicht nicht so liegen, kann mich auch für sie interessieren, kann tatsächlich anders mit ihnen umgehen, als wenn ich nur am Arbeitsplatz oder in der Schule mit ihnen zu tun hätte. Nein, das bleibt nicht ohne Folgen, wenn du hier mit anderen Menschen gemeinsam am Altar kniest und den Leib und das Blut deines Herrn empfängst; da verändert sich etwas bei dir und in unserem Zusammenleben insgesamt, so erfahren wir es ja auch tatsächlich in unserer Gemeinde immer wieder von Neuem. Ja, hier in der Gemeinde merken wir es immer wieder ganz konkret, was es heißt, dass wir nicht bloß christlich, sondern tatsächlich Christen sind!

III.

Und noch in einer dritten Hinsicht unterscheiden sich Menschen, die Christen sind, von denen, die nur „christlich“ sein wollen:
Wer Christ ist, der muss in seinem Leben damit rechnen, dass er sich immer wieder in einem Kampf befindet, in einem Kampf mit den Mächten, die ihn von Gott, ganz konkret von Christus wegzuziehen versuchen. Das ist mit dem Wort „Welt“ gemeint, das St. Johannes hier in unserer Predigtlesung gebraucht: Er meint mit „Welt“ nicht die wunderbare Schöpfung Gottes, die wir gerade jetzt in diesen Frühlingswochen genießen, er meint nicht die Menschen allgemein, sondern er meint mit „Welt“ all das, was unseren Glauben an Christus bedroht und belastet. Ja, in solch einem Kampf steht eben nur der, der Christ ist, nicht derjenige, der ein bisschen „christlich“ sein will. Dagegen, dass jemand ein bisschen christlich sein will, hat der Teufel nichts einzuwenden. Dadurch, dass man sich ein bisschen christlich gibt, gehört man ja noch nicht zu Christus, steht man noch nicht auf der anderen Seite. Ich kann auch ganz gut getrennt von Christus ein anständiges Leben führen und meinen religiösen Interessen nachgehen. Aber wenn jemand Christ ist, wenn jemand mit Christus verbunden ist, das kann die „Welt“, wie Johannes sie hier nennt, nicht ertragen, das kann der Teufel nicht ertragen, wird versuchen, uns Druck zu machen, uns Angst einzujagen: Wenn du an Christus glaubst, wenn du immer zur Kirche rennst, dann versaust du dir doch nur dein Leben! Schau dir doch an, was für eine kleine Minderheit ihr heute nur noch seid! Wer noch ein bisschen Verstand im Kopf hat, der glaubt doch nicht mehr solch einen altmodischen Blödsinn! Lass dir doch nicht von der Bibel vorschreiben, wie du leben sollst! Und schlag dir doch endlich den Wunschtraum aus dem Kopf, dass du nach dem Tod noch weiterlebst. Das ist alles nur Einbildung, mehr nicht!
Doch gerade wenn wir uns das klarmachen, dass das einen Christen von einem Menschen, der nur „christlich“ ist, unterscheidet, dass er angegangen, angegriffen, angefochten wird, fangen auch die Worte des heiligen Johannes noch einmal ganz neu an zu leuchten: Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat. Wir stehen mit unserem Glauben doch nicht allein da, sind doch im Glauben mit Christus, dem Sieger, verbunden. Was uns auch Angst einjagen mag: Christus ist und bleibt stärker; er wird den Kampf gewinnen, den wir von uns aus niemals bestehen könnten. Und darum dürfen wir als Christen fröhliche, zuversichtliche Menschen, ja, Siegertypen sein, nicht weil wir so stark wären, nicht weil wir so cool drauf wären, sondern weil wir wissen, was, nein, wer uns zu Christen macht: Er, Christus, selber, der für uns den Tod und den Teufel besiegt hat, dass sie uns nicht mehr von ihm trennen können. Jubilate, auf Deutsch: Jauchzet, jubelt – so heißt dieser Sonntag. Jawohl, dazu haben wir allen Grund, weil wir nicht bloß christlich, sondern tatsächlich Christen sind, Menschen, von Gott geboren, Menschen, die durch Christus die Welt überwunden haben! Amen.