21.11.2010 | Offenbarung 21,1-7 | Ewigkeitssonntag

In den letzten Jahren ist es hier in Deutschland gleich mehrfach passiert, dass sich an einem Ort mit einem Mal die Erde öffnete, dass mit einem Mal ein Riesenloch entstand, in dem Häuser, Autos, Menschen, ja in einem Fall beinahe ein ganzes Stadtarchiv verschwanden. In einigen Fällen ließen sich für die Entstehung solcher Riesenlöcher Schuldige finden, in anderen blieb es letztlich unbegreiflich, wie da Menschen im wahrsten Sinne des Wortes der Boden unter den Füßen weggerissen wurde. Und wenn die Löcher erst mal da waren, ließen sie sich nur noch schwer schließen, ließ sich erst recht nicht mehr rückgängig machen, was sie im Leben der betroffenen Menschen angerichtet hatten. Nicht im Traum wären die zuvor auf die Idee gekommen, dass sich da in ihrem Leben mit einem Mal solch ein Riesenloch auftun würde, von einer Sekunde auf die andere, ein Riesenloch, das ihr ganzes Leben veränderte.
Die Riesenlöcher, die sich da in unserem Land in den letzten Jahren so urplötzlich geöffnet haben, sind gleichsam ein Sinnbild für unser menschliches Leben überhaupt. Da glauben wir, in unserem Leben auf festem Boden zu stehen, planen die Zukunft, meinen, letztlich alles im Griff zu haben. Nein, wir ahnen es noch nicht einmal, auf was für dünnem, rissigem Boden wir stehen, ahnen es noch nicht mal, was für Abgründe sich da mit einem Mal vor uns oder unter uns in unserem Leben öffnen können. Ach doch, es gibt Menschen, auch in unserer Mitte, die solch eine Erfahrung schon in ihrem Leben gemacht haben, Menschen, die diese Erfahrung auch gerade in diesem vergangenen Jahr gemacht haben, wie da in ihrem Leben tatsächlich von einer Sekunde auf die andere ein Riesenloch aufriss und ihnen selber den Boden unter den Füßen wegriss – ein Loch, das seitdem geblieben ist und sich durch nichts, aber auch gar nichts wieder auffüllen lässt. Der Tod ist es, der solche tiefen Löcher in unserem Leben reißt, Löcher, die uns geliebte Menschen entrissen haben, Löcher, in denen auch wir, so spüren wir es, alle miteinander früher oder später versinken werden, und wenn dieses Loch auch nur gerade groß genug sein mag, dass unser Sarg einmal dort hineinpasst.
Nein, gegen diese Macht des Todes, die uns und andere im Loch versinken lässt, kommen wir nicht an; dagegen können wir uns nicht schützen; wir wissen alle nicht, wann und wie der Boden auch unter unserem Leben einmal einbrechen wird. Und daran wird sich eben auch nichts ändern, solange wir Menschen hier auf Erden leben. Um dies zu erkennen, brauchen wir noch nicht einmal eine Sicherheitswarnung des Bundesinnenministeriums. Wie sollen wir mit dieser Aussicht umgehen? Sollen wir schlicht und einfach versuchen, unser Leben zu genießen, Spaß zu haben, solange wir noch nicht im Loch verschwunden sind? Sollen wir die Brüchigkeit unseres Lebens einfach verdrängen, damit wir uns nicht selber das Leben vermiesen? Das liegt scheinbar so nahe, und genauso reagieren und leben ja so viele Menschen in unserer Umgebung. Und doch wäre eine solche Haltung viel zu kurzsichtig, weil sie nichts davon wahrnimmt, dass diese brüchige, löchrige Welt, die wir hier und jetzt erleben, eben tatsächlich nicht alles ist, dass der, der diese Welt einmal geschaffen hat, schon längst für uns eine Welt bereithält, die uns einmal eine wirklich feste Grundlage bieten wird, in der es keine Einbrüche, keine Löcher für Särge mehr geben wird. Eben diese Welt stellt uns der Seher Johannes in der Epistel des heutigen Ewigkeitssonntags mit eindrücklichen Bildern vor Augen. Dreierlei können wir in dem, was er hier schreibt, klar erkennen: Die Welt, der wir als Christen entgegenblicken dürfen, ist
ganz neu
ganz tröstlich
ganz gewiss

I.
Das Loch, das sich vor einigen Wochen in Schmalkalden in Thüringen aufgetan hat, hat man mit 2000 Lastwagenladungen Kies wenigstens provisorisch gefüllt. Und dennoch wird das nur eine Notlösung bleiben, wird das Geschehene als solches nicht rückgängig machen können. So ähnlich ist das auch mit unseren Versuchen, Löcher zu stopfen, die sich in unserem Leben, vielleicht direkt an unserer Seite aufgetan haben. Da gibt es dann mehr oder weniger hilflose Versuche, die Löcher in unserem Leben irgendwie wieder aufzufüllen, vielleicht einfach nur eine Plane darüber zu decken: Kopf hoch, wird schon wieder, heißt es dann. Oder: Solange wir noch an den Verstorbenen denken, lebt er noch in unseren Herzen weiter. Doch diejenigen, die dieses Loch in ihrem eigenen Leben spüren, die merken, dass diese Auffüllversuche wenig taugen, dass sie dem tiefen Loch einfach nicht gerecht werden, das da in ihrem Leben zurückbleibt.
Die Heilige Schrift leitet uns nicht bloß dazu an, uns mithilfe von irgendwelchen netten oder vielleicht auch frommen Sprüchen mit dem gegenwärtigen Zustand zu arrangieren. Sie verspricht uns auch nicht, dass wir Menschen es irgendwann in der Zukunft schaffen werden, diese Welt mithilfe moderner Technik soweit voranzubringen, dass es irgendwann diese fürchterlichen Löcher im Leben von Menschen nicht mehr geben wird. Sondern sie kündigt an, dass Gott selber eingreifen und etwas ganz Neues schaffen wird. Ach, was sage ich: Gott wird nicht bloß etwas Neues schaffen. Das wäre ja viel zu wenig. Gott verspricht nicht, diese Welt notdürftig zu reparieren, ein paar Fehlentwicklungen entgegenzusteuern und uns am Ende eine deutlich verbesserte Variante unserer Welt zur Verfügung zu stellen. Gott verspricht unendlich mehr: „Siehe, ich mache alles neu!“ So lautet sein Versprechen, so sieht die Perspektive aus, die sich damit auch für uns eröffnet. Und wenn Gott „alles“ sagt, dann meint er wirklich alles! Nichts, aber auch gar nichts von dem, was es hier auf Erden gibt, wird einmal Bestand haben, wenn Gott einmal einen neuen Himmel und eine neue Erde, also eine ganz neue Welt schaffen wird.
Schwestern und Brüder, diese Perspektive ist so gewaltig, dass uns das Vorstellungsvermögen und die Worte fehlen, um das auch nur ansatzweise beschreiben zu können, was da einmal geschehen wird. Nicht weniger als das gesamte Weltall wird Gott einmal durch ein neues ersetzen, wird alles vergehen lassen, was wir jetzt mithilfe modernster technischer Möglichkeiten gerade einmal zu erahnen beginnen. Alles wird vergehen – und damit eben auch diese unsere Welt, in der wir leben, und damit auch der brüchige Untergrund, auf dem wir unser Leben führen. Ersetzt wird all dies durch eine neue Welt, die diesen Namen wirklich verdient, die wirklich ganz neu sein wird, so neu, dass wir auf Bilder zurückgreifen müssen, wenn wir von ihr sprechen wollen. Eine neue Welt wird Gott schaffen – und damit auch eine Hoffnungsperspektive für unser von Löchern gezeichnetes Leben. Nein, in den Grenzen unserer bestehenden Welt kommen wir gegen den Tod nicht an, haben wir keine Chance, seiner Macht zu entkommen. Doch in dieser ganz neuen Welt, die uns erwartet, hat der Tod keinen Platz mehr, da eröffnen sich mit einem Mal ganz neue Perspektiven selbst für die, die endgültig in der Finsternis des Todes versunken zu sein schienen.

II.
Und damit sind wir schon beim Zweiten: Diese neue Welt ist für diejenigen, die an ihr Anteil haben dürfen, ganz tröstlich.
Wie sieht diese neue Welt Gottes aus, was erwartet uns da? Es ist bezeichnend, dass der Seher Johannes bei der Beantwortung dieser Frage sehr zurückhaltend bleibt. Er schildert uns hier kein himmlisches Disneyland, das sich im Wesentlichen dadurch auszeichnet, dass es dort keine Schule mehr gibt und man sich dort kostenlos vollfressen kann. Nein, diese neue Welt Gottes entspricht nicht den billigen Klischees über den Himmel, die Menschen damit verbinden mögen. Nur zweierlei sagt St. Johannes hier im Wesentlichen über Gottes neue Welt aus:
Zum einen erzählt er von dem, was es dort nicht mehr geben wird: Im Bilde gesprochen redet er davon, dass es dort kein Meer mehr geben wird. Das mögen wir als bedauerlich empfinden, wenn wir mit dem Meer die Ostsee oder die Karibik verbinden und es für geradezu paradiesisch halten mögen, am Strand zu liegen und auf das Meer zu blicken. Doch für die Menschen, die damals in Israel lebten, war das Meer ein unheimlicher Ort, in dem man wie in einem tiefen Loch einfach versinken kann, gleichsam der Aufenthaltsort aller lebensfeindlichen Mächte. Und das so verstandene Meer, das wird es dann in Gottes Welt nicht mehr geben: Da wird es keine Löcher mehr geben, in denen wir oder Menschen, die uns lieb und teuer sind, versinken, da wird es keine Mächte mehr geben, die uns von Gott trennen, uns im Vertrauen auf ihn irre machen können. Da wird es einmal kein Leid mehr geben, nichts, aber auch gar nichts, was dich jemals noch einmal traurig machen könnte. Da wird es einmal keine Schmerzen mehr geben; nichts, aber auch gar nichts wird dir in Gottes neuer Welt noch einmal wehtun. Da wird es einmal kein Geschrei mehr geben – keine Entsetzensschreie über fürchterliche Schicksalsschläge, keine Schreie von unterdrückten, ausgebeuteten, gefolterten Menschen, kein Klagegeschrei über den Verlust eines geliebten Menschen. Denn es wird dort keinen Tod mehr geben. Nie mehr wirst du Angst haben müssen, dass ein geliebter Mensch sterben wird. Nie mehr wirst du Angst haben müssen, dass du selber einmal sterben musst.
Und zum anderen macht St. Johannes hier eine wesentliche positive Aussage über diese neue Welt: In ihr werden Menschen für immer in der sichtbaren Gemeinschaft mit Gott leben, werden Gott sehen und mit ihm in unmittelbarer Verbindung sein. Und zu diesen Menschen werden eben auch all diejenigen gehören, die schon vor uns im Glauben an Christus gestorben sind. Ja, genau dieses unfassliche Wunder wird geschehen: Die gesamte bestehende Welt wird sich gleichsam in Nichts auflösen – doch diejenigen, die mit Christus verbunden waren, werden in Gottes Händen aus der alten in die neue Welt Gottes hinübergetragen werden. Und da werden sie dann stehen – all diejenigen, die von einer Sekunde auf die andere neben dir aus dem Leben gerissen wurden. Da werden sie dann stehen – all diejenigen, an deren Gräbern du jetzt noch stehst und weinst. Und da werden eben nicht nur die anderen stehen – da wirst auch du selber einmal stehen, gemeinsam mit ihnen, wirst dich von Herzen darüber freuen, wieder mit ihnen zusammen zu sein – und wirst dich noch viel mehr darüber freuen, gemeinsam mit ihnen Christus anbeten zu dürfen, der durch seine Auferstehung dem Tod die Macht genommen hat. Und dann wird noch etwas ganz besonders Tröstliches geschehen: Gott wird persönlich zu dir kommen, sagt Johannes, und wird dir die Tränen von deinen Augen abwischen, ganz behutsam, ganz liebevoll. Was für Tränen das in deinem Leben sind, das weißt du noch viel besser als ich. Du weißt, was dich hier und jetzt noch weinen lässt, vielleicht nur ganz im Stillen, da, wo es kein anderer mitbekommt. Du weißt, was dich hier im Leben so sehr schmerzt, dass es dir die Tränen in die Augen treibt. Du kennst deine Traurigkeit, deine Verzweiflung, die dir hier vielleicht mitunter niemand zu nehmen vermag. Doch dann wird Gott einmal kommen und wird dir deine Tränen abwischen, die Tränen, die du am Grab eines geliebten Menschen geweint hast, die du in den Nächten geweint hast, in denen du nicht schlafen konntest. Und wenn Gott dir deine Tränen abwischen wird, dann wird er damit auch all die Wunden heilen, die dich jetzt noch so sehr schmerzen, die Wunden in deiner Seele, wird dir helfen, mit all dem endgültig abschließen zu können, was du hier und jetzt in deinem Leben erfahren hast. Das, lieber Bruder, liebe Schwester, ist die Lebensperspektive, die Christus selber dir hier in seinem Wort eröffnet, eine Lebensperspektive, im Vergleich zu der es so armselig, so mickrig erscheint, wenn Menschen tatsächlich nicht mehr vom Leben erwarten als ein bisschen Spaß und gute Unterhaltung!

III.
Doch ein Einwand bleibt natürlich: Ist das nicht alles zu schön, um wahr zu sein? Ist das vielleicht doch nicht mehr als bloß menschlicher Wunschtraum, menschliche Einbildung? Gott selbst, der diese neue Welt, der dieses Zusammenleben mit ihm in seiner neuen Stadt hier ankündigt, der weiß um diesen Einwand. Und darum lässt er es extra noch einmal aufschreiben und bekräftigen: Schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiss! Wie Gott die jetzt bestehende Welt durch sein Wort geschaffen hat, so wird er auch die neue Welt durch sein Wort ins Leben rufen – durch eben dieses Wort, mit dem er jetzt und hier dich anredet. Nein, es ist kein Traum, es ist Realität – genauso wie die Auferstehung Jesu Christi nicht bloß ein Traum war, sondern Realität war und ist – sichtbare, anfassbare Realität für die Jünger. Wenn Gott etwas zusagt, dann hält er es auch – und wenn er uns verspricht: Siehe, ich mache alles neu, dann wird er einmal wirklich alles neu schaffen, wird die Geschichte dieser Welt doch noch zu einem guten Ende führen.
Trösten will dich Gott mit diesen Worten, die du heute gehört hast – und er will dich zugleich auch wachrütteln: Sieh doch, was auch dich erwartet, was ich auch für dich einmal schaffen werde! Richte doch bloß dein Leben danach aus, verpenn doch ja nicht dein Leben, indem du so lebst, als ob mit dem Tode alles aus wäre! Vertraue meinem Wort, und lass dich durch nichts und niemanden davon abbringen, bei meinem Sohn Jesus Christus zu bleiben! Du weißt nicht, wie viel Zeit dir noch bleibt, wann sich die Erde auch unter deinen Füßen einmal auftun wird, wann dein Leben hier auf Erden enden wird. Folge darum meiner Einladung, trinke aus der Quelle des lebendigen Wassers immer wieder von Neuem, wenn du hier im Heiligen Mahl mit dem lebendigen Christus eins wirst! Du musst dir die Teilhabe an meiner neuen Welt doch nicht verdienen; sie wird dir geschenkt – ganz umsonst! Klammere dich darum nicht an diese vergehende Welt, freu dich auf das, was auch dich erwartet – auf eine Welt, die ganz neu und ganz tröstlich sein wird, und die ganz gewiss kommen wird. Schwestern und Brüder, ich hoffe, wir sehen uns wieder: schon bald wieder hier an Gottes Altar – und dann einmal dort, wo Gott für immer bei uns wohnen wird! Amen.