03.10.2010 | 2. Korinther 9,6-11 | Erntedankfest

Wie würdet ihr einen Menschen bezeichnen, der regelmäßig einen Teil seines Besitzes in den Dreck wirft, ihn dort liegen lässt und weggeht? Ganz spontan würden wir ihn vielleicht als Idioten bezeichnen oder als Blödmann – wie kann man bloß so beknackt sein, seinen Besitz einfach wegzuwerfen, statt ihn sorgsam zu pflegen und zu hüten? Doch in Wirklichkeit nennen wir einen solchen Menschen, der regelmäßig einen Teil seines Besitzes in den Dreck wirft, ihn dort liegen lässt und weggeht, ganz anders. Wir bezeichnen ihn als Bauern. Denn nichts Anderes macht ein Bauer ja: Er wirft Saatgut, das er selber geerntet oder gekauft hatte, auf einen Acker, lässt diesen Teil seines Besitzes dort liegen und geht schließlich weg – eben weil er weiß, dass dieses Wegwerfen des Besitzes in Wirklichkeit nicht Blödsinn ist, sondern sich lohnt. Ja, ein Wagnis ist diese Aussaat immer wieder von Neuem für den Bauern; doch er weiß genau, dass es viel blödsinniger wäre, wenn er auf die Aussaat verzichten würde, das Saatgut bei sich horten würde, statt es auf dem Acker auszusäen.

Dass die Aussaat für einen Bauern jedes Mal ein Wagnis ist, ist etwas, was uns in unserer heutigen Zeit vielleicht gar nicht mehr so bewusst ist. Wir gehen davon aus, dass wir den Anbau von Getreide und anderen Pflanzen heutzutage doch fest im Griff haben, dass wir mithilfe moderner Agrartechnik den Erfolg der Aussaat doch weitestgehend garantieren können. Dass die Ernte noch von irgendetwas Anderem oder irgendjemand Anderem abhängen könnte als von unserem menschlichen Bemühen, von den Ergebnissen unserer menschlichen Forschung, ist uns zumeist gar nicht mehr bewusst. Und dies gilt erst recht für uns als Endverbraucher, die es sich gar nicht vorstellen können, dass uns nicht jederzeit in den Supermärkten genügend Ernteerträge in verarbeiteter Form zur Verfügung stehen. Wir mögen uns hier oder da über die Preise von Produkten ärgern – aber dass wir Menschen unsere Versorgung nicht selber im Griff haben könnten, leuchtet uns oft genug erst einmal gar nicht ein. Vielleicht nehmen wir mit Betroffenheit wahr, dass es in anderen Teilen der Welt Missernten und Katastrophen gibt, dass dort die Versorgung mit Lebensmitteln nicht so gut klappt wie bei uns – doch das liegt alles für uns erst einmal ziemlich weit weg. Bei uns läuft die Versorgung doch einigermaßen reibungslos; und um eine funktionierende Infrastruktur zu gewährleisten, zahlen wir ja schließlich auch genügend Steuern!

Kurzsichtig, extrem kurzsichtig ist eine solche Sichtweise, so macht es uns das Erntedankfest deutlich, das wir heute miteinander feiern. Nein, wir haben überhaupt nichts im Griff, wir bringen selber überhaupt keine Pflanzen zum Wachsen, wir können selber unser Leben nicht sichern und unsere Zukunft nicht gewährleisten – so stellen es uns die Lesungen des heutigen Tages vor Augen. Nein, es geht nicht bloß darum, dass wir uns an diesem Tag irgendwelche Horrorszenarien ausmalen, die sich ja hätten ereignen können und sich, Gott sei Dank, nicht ereignet haben. Es geht um viel mehr: Darum, dass wir in allem, was wir erfahren, dass wir in allem, was wir haben, dass wir in jedem Bissen, den wir essen, und in jedem Schluck, den wir trinken, das Wirken Gottes des Schöpfers erkennen sollen und dürfen. Ohne seinen Segen könnten wir nicht existieren, gäbe es keinen einzigen Artikel im Supermarkt, hätten wir keinen Euro im Portemonnaie, könnten wir in unserem Lande auch nicht miteinander in Frieden und Freiheit leben – ja, daran wollen wir heute an diesem 3. Oktober zugleich auch denken. Erntedank feiern wir nur einmal im Jahr; doch wir tun gut daran, unseren täglichen Erntedank nicht zu vergessen, vor und nach jedem Essen Gott für seine guten Gaben zu danken und sie nicht einfach als selbstverständlich in uns hineinzuschlingen.

Nein, Schwestern und Brüder, es geht hier nicht bloß um eine Benimmregel, dass wir nicht vergessen sollten, uns bei Gott für das Essen zu bedanken. Und es geht auch nicht bloß um eine theoretische Wahrheit, dass wir natürlich letztlich alles, was wir haben oder sind, Gott verdanken. Sondern der Apostel Paulus leitet uns hier in der Epistel des heutigen Tages dazu an, dass wir alle miteinander wie Bauern, ja als Bauern leben, auch in unserem Alltag genau dasselbe tun, was auch Bauern ganz selbstverständlich tun: abgeben von dem, was wir haben, weil es sich lohnt, weil Gottes Segen darauf liegt.

Der Apostel Paulus war damals auf seiner Missionsreise auch in ganz praktischer Mission unterwegs: Er war dabei, eine Kollekte für die arme Gemeinde in Jerusalem einzusammeln. Die Christen in Jerusalem hatten, wie wir wissen, ihren Besitz in einen großen Topf geworfen und davon die Bedürftigen in der Gemeinde unterstützt. Das war alles sehr schön und ehrenhaft; aber irgendwann sahen sich die Christen in Jerusalem mit der bitteren Wahrheit konfrontiert, dass das mit dem Kommunismus selbst in der heiligen Stadt Jerusalem nicht klappt. Sie waren pleite und entsprechend in großen Schwierigkeiten. Und so zieht nun der Paulus durch die neugegründeten Gemeinden im Mittelmeerraum und sammelt für die Christen in Jerusalem eine Kollekte ein – zunächst und vor allem natürlich, um deren materielle Not zu lindern, aber dann auch, um die Verbundenheit der neugegründeten Gemeinden mit der Muttergemeinde in Jerusalem zum Ausdruck zu bringen, um damit allen Gemeinden – denen in Jerusalem genauso wie denen in Griechenland – deutlich zu machen, dass die Kirche eine ist, dass alle Christen füreinander da sind, ganz gleich, wie weit weg voneinander sie auch wohnen mögen. Doch Paulus begnügt sich nicht damit, den Gemeindegliedern hier in Korinth einfach den Klingelbeutel unter die Nase zu halten und sie um eine kräftige Spende für die armen Jerusalemer zu bitten. Sondern er begründet diese Kollektenbitte zugleich auch geistlich und gebraucht dabei ein geradezu atemberaubendes Bild: Er vergleicht nämlich das Geben einer Kollekte mit der Aussaat eines Bauern: Wenn ihr kräftig aussät, werdet ihr auch reichlich ernten können; wenn ihr dagegen glaubt, alles für euch behalten zu können, wird auch die Ernte eures Lebens entsprechend mickrig ausfallen.
Schwestern und Brüder, habt ihr euch das schon mal klargemacht, dass jede Kollekte, die ihr am Kirchenausgang gebt, dass jeder Kirchenbeitrag, den ihr überweist oder jemand aus der Gemeinde in die Hand drückt, dass jede Spende, die ihr für Menschen in Not gebt, dass auch jeder Einsatz an Zeit in der Gemeinde Saatgut ist, das ihr aussät, im Vertrauen darauf, dass diese Aussaat nicht vergeblich ist, sondern schließlich eine reiche Ernte verspricht? Ja, ich weiß, das klingt nun in der Tat beim ersten Hinhören ziemlich durchgeknallt: Ich gebe einen Teil von dem, was ich besitze, ab, im Vertrauen darauf, dass ich dadurch nicht ärmer werde, sondern am Ende sogar noch reicher beschenkt sein werde als zuvor! Das widerspricht doch allem gesunden Menschenverstand: Der besagt doch: Erstens habe ich ohnehin kaum genug zum Leben, weder Zeit noch Geld, und zweitens werde ich, wenn ich denn in meinem Leben etwas übrig habe, ja wohl so vernünftig sein, dass ich das spare und anlege für die Absicherung meines Alters. Alles andere wäre doch völlig unvernünftig und kurzsichtig!
Doch Paulus bleibt dabei: „Wer da kärglich sät, der wir auch kärglich ernten; und wer da sät im Segen, der wird auch ernten im Segen. Ein jeder, wie er’s sich im Herzen vorgenommen hat, nicht mit Unwillen oder aus Zwang; denn einen fröhlichen Geber hat Gott lieb.“ Schwestern und Brüder, wir würden das, was der Apostel hier schreibt, völlig falsch verstehen, wenn wir darin nur einen raffinierten Psychotrick sehen würden, mit dem der Paulus versucht, den Korinthern das Geld aus der Tasche zu ziehen. Was er hier schreibt, bezieht sich nicht bloß auf eine bestimmte Kollektenaktion, sondern bezieht sich auf unser Leben insgesamt. Ja, so fragt der Apostel die Korinther, so fragt er auch uns: Wovon lebt ihr eigentlich: Lebt ihr von dem, was ihr habt, oder lebt ihr aus dem Vertrauen auf Gott?

Nein, Schwestern und Brüder, auch mir geht es in dieser Predigt nicht darum, euch für irgendein Kollektenprojekt oder für die Verbesserung der Haushaltslage unserer Gemeindekasse weichzuklopfen. Und ich weiß sehr wohl, dass es so einige unter euch gibt, die froh sind, wenn sie am Sonntag überhaupt das Fahrgeld zusammenbekommen, um hierher zur Kirche fahren zu können. Sondern es geht Paulus und mir um nicht weniger als um die Ausrichtung deines Lebens. Und darum wiederhole ich die Frage noch einmal: Wovon lebst du eigentlich: Lebst du von dem, was du hast, oder lebst du aus dem Vertrauen auf Gott?

Dass wir von dem leben, was wir haben, scheint so selbstverständlich, so offensichtlich zu sein, dass es schon ziemlich weltfremd klingt, dies irgendwie in Frage zu stellen. Nein, ich stelle auch nicht in Frage, dass wir Geld brauchen, um Nahrungsmittel einkaufen zu können, um die Miete, um Heizung und Strom zu bezahlen, um für unsere Kinder zu sorgen und für vieles mehr. Doch die Frage des Apostels zielt viel tiefer: Sie zielt auf dein Herz. Worauf vertraust du eigentlich in deinem Leben: Darauf, dass dir dein Einkommen, dass dir dein Hartz IV auch regelmäßig auf dein Konto überwiesen wird? Darauf, dass du gut versichert bist, darauf, dass du auch für dein Alter hier und da schon vorgesorgt hast? Wenn sich darauf allein dein Leben gründet, ist klar, dass du natürlich keinen Euro übrig hast, dass du dir letztlich um deine Zukunft zugleich auch immer wieder Sorgen machen musst, weil du ja nicht weißt, ob das, worauf du vertraust, wirklich auch in Zukunft funktionieren wird, ob du tatsächlich so viel bekommst, wie du brauchst, ob das Geld, das du dir angespart hast, nicht irgendwann mal seinen Wert verlieren wird.

Paulus will uns zu einer anderen Sicht unseres Lebens anleiten, zu einer Sicht, die nicht sorgenvoll auf das schaut, was in Zukunft alles sein und geschehen könnte, sondern zu einer Sicht, die Gottes Fürsorge für uns, für unser Leben, noch einmal ganz neu in den Blick bekommt. Aus dieser Sicht sieht unser Leben in der Tat noch einmal ganz anders aus: Da erkenne ich: Ich bin in der Tat ein reicher Mensch, selbst wenn ich für mein tägliches Leben nicht viel mehr als Hartz IV zur Verfügung habe. Ich bin in der Tat ein reicher Mensch, denn ich habe eine viel bessere Lebensabsicherung, als sie mir das beste Versicherungsunternehmen jemals garantieren könnte: Mein Vater im Himmel, der sorgt für mich und hat das in meinem Leben bisher immer und immer wieder getan. Der lässt mich nicht hängen. Und der ist nicht knauserig. Der gibt mir in Wirklichkeit sogar immer wieder noch mehr, als ich unbedingt zum Leben brauche. Ja, der Paulus hat sich getraut, das damals den Christen in Korinth zu schreiben, von denen eine ganze Reihe als Sklaven arbeitete. Und da traue ich es mich auch, genau diese Worte, die der Apostel Paulus damals an die Korinther geschrieben hat, auch euch gegenüber zu wiederholen, auch wenn ich weiß, dass viele von euch nicht gerade im Geld schwimmen: Gott hat uns in unserem Leben immer wieder noch mehr gegeben, als wir unbedingt zum Leben brauchen. Und was er uns mehr gegeben hat, als wir eigentlich brauchen, das sollen wir immer wieder auch als Samen, als Saatgut einsetzen, so schreibt Paulus hier, das hat Gott uns dazu in die Hand gedrückt, damit wir davon auch wieder abgeben können. Wir haben kein Recht darauf, uns daran zu klammern und alles für uns zu behalten. Es ist und bleibt doch Leihgabe Gottes an uns. Und wir brauchen auch keine Angst zu haben, wenn wir davon etwas abgeben, dass für uns nicht genügend übrigbleibt: Gott, der uns bisher nicht hat hängen lassen, wird dies auch weiterhin nicht tun.

Ja, so sieht es aus, ein Leben im Vertrauen auf Gott: Es ist ein Leben ohne Angst davor, wir könnten in diesem unserem Leben zu kurz kommen. Wir wissen doch: Wir sind seit unserer Taufe Gottes Kinder; das kann uns niemand mehr nehmen; das bleibt, komme, was da wolle. Wir wissen doch: Wir erreichen das Ziel unseres Lebens nicht dadurch, dass wir möglichst viel Besitz anhäufen. Das Ziel unseres Lebens besteht doch darin, für immer in der Gemeinschaft mit Gott zu leben, und dieses Ziel können wir uns mit keinem Geld der Welt erkaufen und brauchen das auch nicht: Gott hat es uns doch schon längst versprochen. Ja, Gott, der hat uns das mit dem Abgeben doch selber vorgemacht: Nicht weniger als seinen eigenen Sohn hat er für uns abgegeben, hat ihn für uns am Kreuz sterben lassen, damit wir keine Angst mehr haben müssen, dass unser Leben im Dunkel des ewigen Todes endet, und damit wir nicht mehr darauf aus sein müssen, so viel wie möglich mitzubekommen in den paar Jahren, die uns bis zu unserem Lebensende hier auf Erden bleiben.

Und dieses Vertrauen auf Gott, das wirkt sich dann tatsächlich aus auch in unserem alltäglichen Leben. Das macht uns zu fröhlichen, dankbaren Menschen. Das macht uns zu Menschen, deren Selbstwertgefühl nicht mehr davon abhängt, ob sie gerade das neuste Handy, das neuste iPod, die modischste Kleidung oder die meisten Freunde haben. Ja, das macht uns zu Menschen, die dann auch an ihre Finanzen gelassener herangehen können. Ja, das eine macht uns die Heilige Schrift schon deutlich: Gerade in unserem Umgang mit Geld und Besitz zeigt sich, wie ernst wir es mit dem Vertrauen auf Gott wirklich meinen. Trauen wir ihm nicht nur ganz allgemein zu, dass er für uns sorgt, sondern auch, dass das Geld, das wir abgeben, kein verlorenes Geld, sondern wirklich Saatgut ist? Das wird sich dann schon auch ganz praktisch etwa in der Art und Weise auswirken, wie wir unseren Kirchenbeitrag festsetzen: Überlegen wir erst einmal, was wir alles sonst brauchen, und schauen wir dann, ob am Ende auch noch etwas für den lieben Gott und seine Kirche übrigbleibt, oder legen wir, bevor wir anfangen zu rechnen, einen Teil dessen, was wir haben und regelmäßig bekommen, als Saatgut zur Seite und rechnen danach erst weiter? Nein, es geht, wie gesagt, nicht um unsere Gemeindefinanzen. Es geht um unser Leben, um mein Leben und dein Leben, darum, ob wir verstanden haben, wer eigentlich unsere Zukunft garantiert: wir selber und das, was wir haben, oder Gott. Nein, Gott verspricht dir nicht, dass du in deinem Leben einmal steinreich dastehst, wenn du es gewagt hast, ordentlich von deinem Geld und Besitz oder auch einfach von deiner Zeit abzugeben. Aber er verspricht dir ein reiches Leben, ein Leben, in dem du seine Fürsorge und seinen Segen immer und immer wieder erfahren wirst, gerade auch in Zeiten, in denen es dir äußerlich betrachtet vielleicht gar nicht so gut geht. Ja, er verspricht dir, dich selber auch zu einem Segen für andere zu machen, auch wenn du selber davon gar nicht viel merkst. Lerne es darum von den Bauern: Säen lohnt sich – weil Gott seinen Segen dazu gibt. Ja, verlass dich drauf! Amen.