17.10.2010 | Thessalonicher 4,1-8 | 20. Sonntag nach Trinitatis

Ihr seid wirklich eine Super-Gemeinde. Nein, ihr seid nicht einfach bloß alle miteinander nette Leute, sondern ihr lebt tatsächlich als Christen, ihr lebt, um Gott zu gefallen, nein, nicht nur im Gottesdienst, sondern auch im Alltag. Ja, Gott hat seine helle Freude an euch und an eurem Leben!

Schwestern und Brüder, es mag sein, dass ihr euch bei solch einer Anrede als gute Lutheraner ein wenig unwohl fühlen mögt: Meint der wirklich uns? Dann kennt der uns wohl nicht sehr gut, dann weiß er wohl nicht, wie es hinter unserer Fassade aussieht, wie es in unserem Herzen aussieht. Nein, so super ist das wirklich nicht, was wir als Christen im Alltag zu bieten haben!

Brüder und Schwestern, ich will euch darin jetzt gar nicht gleich widersprechen. Doch wenn ich euch eben so angeredet habe, dann habe ich das nicht in einem Überschwang der Gefühle getan, sondern ich habe nur wiederholt, was damals der Apostel Paulus an die Christen in Thessalonich geschrieben hat. Ja, der schreibt allen Ernstes an diese Gemeinde: Ihr habt ja von mir gehört, wie ihr leben sollt, um Gott zu gefallen – und genau das tut ihr ja auch! Bestand die Gemeinde in Thessalonich damals aus besseren Christen, als wir es heute sind? Nein, das ist nicht unbedingt anzunehmen! Oder hatte der Apostel Paulus keine Ahnung von dem, was da in der Gemeinde in Thessalonich so alles los war? Nein, auch davon brauchen wir nicht auszugehen, denn im Folgenden spricht der Apostel sehr unverblümt gewisse Themen an, spricht von Ehemännern, die fremdgehen, spricht von Betrügereien im Geschäftsleben. Ja, das hält er offenbar für nötig, das in der Gemeinde in Thessalonich ganz offen anzusprechen. Und doch ändert das nichts an seinem Urteil: Ihr lebt als Christen, lebt, um Gott zu gefallen.
Um das Leben von uns Christen geht es in der Epistel des heutigen Sonntags, soll es entsprechend auch jetzt in dieser Predigt gehen. Doch diese Predigt soll eben keine Moralpredigt werden, erst recht nicht mit erhobenem Zeigefinger. Es geht nicht darum, dass ich euch mit leicht dunkelrotem Kopf darauf aufmerksam machen müsste, dass ihr euch bitteschön künftig anständiger verhalten solltet als bisher. Sondern wenn wir das Leben von uns Christen bedenken, dann geht das erst mal damit los, dass wir wahrnehmen, dass sich da bei uns in unserem Leben tatsächlich schon eine ganze Menge getan hat, auch wenn wir das selber vielleicht gar nicht so bedenken und mitbekommen. Gottes Geist ist tatsächlich auch in eurem Leben schon am Werk, und zwar ganz kräftig, lässt euch anders leben, als ihr leben würdet, wenn ihr keine Christen wärt. Ja, natürlich bleibt ihr, bleiben wir das ganze Leben lang Sünder; doch das ändert nichts daran, dass Gott auch viel Grund hat, sich über euch und euer Leben als Christen zu freuen, angefangen schon damit, dass er euch heute Morgen hier in der Kirche vorfindet. Aber damit ist das Thema „Leben als Christ“ für Paulus und damit auch für euch nicht einfach abgehakt. Nein, Paulus bittet die Thessalonicher, bittet auch uns ganz herzlich darum, in unserem Leben als Christen immer vollkommener zu werden. Und da wird die ganze Geschichte für uns nun schon spannend: Ist das für dich in deinem Leben als Christ ein Anliegen, immer vollkommener zu werden, oder hast du dich in deinem Leben als Christ eigentlich ganz gut eingerichtet? Läuft alles so weiter wie immer – etwas Christ zu sein ist ja ganz gut, aber man muss es ja auch nicht gleich übertreiben! –, oder treibt dich dieser Gedanke, dieser Wunsch an, im christlichen Glauben und auch im christlichen Leben immer weiter zu wachsen? Ist das ein Wunsch, ein Anliegen von dir, dass Gott sich im Laufe deines Lebens immer mehr an dir freuen kann? Nein, Paulus nimmt von seinem Lob an die Gemeinde, von seinem Lob auch an uns, an unsere Gemeinde nichts zurück: Es gibt vieles, worüber Gott sich bei uns freuen kann. Aber eben darum will er uns anspornen, dies auch weiter zu unserem Anliegen zu machen, so zu leben, dass es Gott gefällt. Und das entfaltet Paulus nun im Weiteren ganz konkret – so konkret, dass wir schnell merken, wie aktuell seine Worte auch für uns heutzutage sind. Drei Wachstumsbereiche markiert der Apostel bei uns in ganz besonderer Weise: Wir sollen darin wachsen,
uns als Eigentum unseres Herrn Jesus Christus wahrzunehmen
unsere von Gott gesetzten Grenzen wahrzunehmen
andere Menschen als Gottes geliebte Geschöpfe wahrzunehmen

I.
Von der Heiligung spricht der Apostel Paulus hier, davon, dass unsere Heiligung der Wille Gottes sei. Doch was ist mit der Heiligung eigentlich gemeint? Schon im Vorkonfirmandenunterricht lernen unsere Konfirmanden, was „heilig“ eigentlich heißt, nämlich „zu Gott gehörig“. Und entsprechend bedeutet Heiligung das Geschehen, durch das wir Gottes Eigentum geworden sind und damit nun Gott gehören. Ja, diese Heiligung hat ganz grundlegend in unserer Heiligen Taufe stattgefunden. Da hat Gott uns zu seinem Eigentum gemacht, hat es jedem von uns ganz persönlich zugesagt: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! Doch genau darum geht es nun in unserem Leben, dass wir uns das immer neu und immer mehr klar machen: Wir gehören uns mit unserem Leben nicht mehr selber; wir gehören mit allem, was wir haben und sind, ganz konkret Christus, unserem Herrn. Keinen Lebensbereich gibt es, aus dem wir Christus heraushalten könnten, in dem er nicht unser Herr, nicht der Eigentümer unseres Lebens, ganz konkret auch unseres Körpers wäre. Und zur Heiligung gehört dann eben dies, dass uns dies immer mehr aufgeht, dass das keine Einschränkung, sondern das größte Glück unseres Lebens ist, dass wir ganz, mit Leib und Seele, Christus gehören, dass es gerade nicht besser für uns wäre, wenn Christus uns in bestimmten Bereichen unseres Lebens in Ruhe ließe und uns einfach tun ließe, was wir wollen. Ja, das gehört zur Heiligung, dass wir Christus nicht mehr als großen Aufpasser wahrnehmen, der uns mit seiner Anwesenheit ständig ein schlechtes Gewissen macht, sondern dass wir zu erahnen beginnen, dass er uns mit seiner Gegenwart helfen will, so zu leben, wie es für uns selber am allerbesten ist.
Eigentum unseres Herrn Jesus Christus sind wir – der Apostel Paulus kann es hier auch so formulieren, dass Gottes heiliger Geist in uns wohnt. Nein, der wohnt nicht bloß irgendwo bei uns im Kopf, der wohnt nicht bloß irgendwo bei uns im Herzen, sondern der wohnt in unserem ganzen Körper; alles gehört ihm, alles will er bestimmen: den Finger, der die Mouseclicks im Internet betätigt, den Fuß, der uns hierhin oder dorthin gehen lässt, die Zunge, die dieses oder jenes Wort über die Lippen kommen lässt, das Auge, das hier oder dorthin guckt – ja, das könnte man jetzt noch beliebig ergänzen. Ja, auch das gehört zu unserer Heiligung mit dazu, dass uns klar wird, dass das eine Auszeichnung für unseren Körper ist, dass er Tempel des Heiligen Geistes ist, dass es für Gott keine Trennung zwischen Leib und Seele gibt, dass alles zusammen und alles ihm gehört. Ja, das ist Gottes Wille, dass uns das klar wird – und zugleich verstehen wir den Apostel gewiss, wenn er uns so eindringlich darum bittet, eben darin immer vollkommener zu werden, uns dies täglich neu bewusst zu machen und danach zu leben.

II.
Einen zweiten Wachstumsbereich benennt der Apostel hier: Wir sollen auch darin wachsen, unsere von Gott gesetzten Grenzen wahrzunehmen.
Es gehört zu den schwer auszurottenden Irrtümern, die in uns Menschen drinstecken, dass wir glauben, immer mehr zu haben würde bedeuten, auch immer mehr Glück zu haben, immer glücklicher zu sein. So tief steckt dieser Irrtum in uns drin, dass wir in unserem Leben immer wieder Grenzen überschreiten, die uns gesetzt sind, nur getrieben von der Sehnsucht, dadurch mehr und größeres Glück in unserem Leben finden zu können. Die Beispiele, die Paulus hier in seinem Brief an die Thessalonicher anführt, sind nach fast 2000 Jahren immer noch genauso aktuell wie damals. Zum einen spricht Paulus hier den Irrtum an, es würde einem Mann zu größerem Glück verhelfen, wenn er sich nicht mit einer Frau zufriedengibt, nämlich mit der, mit der er verheiratet ist, sondern fremdgeht und noch bei anderen Frauen seinen Trieb befriedigt. Ja, das gilt natürlich umgekehrt bei Frauen genauso; doch es ist wohl kein Zufall, dass Paulus hier die Männer in besonderer Weise anspricht, ihnen hier, wie etwa auch im Brief an die Korinther, deutlich macht, dass es mit dem christlichen Glauben nicht vereinbar ist, seine Freizeit im Bordell zu verbringen, und dass es mit dem christlichen Glauben auch nicht vereinbar ist, sich offiziell oder heimlich eine Zweitfrau zuzulegen. Nein, es geht Paulus hier nicht darum, uns den Spaß am Leben zu verderben und irgendwelche strengen Moralvorschriften zu erlassen. Im Gegenteil: Er weiß als Bote Gottes darum, dass Glück sich auch, was den Bereich der Sexualität angeht, nicht quantitativ mehren lässt, dass ich die wahre Erfüllung meines Lebens eben nicht außerhalb, sondern innerhalb der heilsamen Grenzen finde, die Gott in der Stiftung der Ehe für uns Menschen gesetzt hat.

Und was für den Bereich der Sexualität gilt, gilt genauso für den Bereich von Geld und Besitz: Immer mehr haben zu wollen, dafür auch die Grenzen von Recht und Gesetz zu überschreiten, nur um den Wunsch nach immer mehr befriedigen zu können, macht eben auch nicht glücklich. Auch hier gilt wieder: Gott will, dass wir unser Glück in den Grenzen finden, die er uns mit dem siebten Gebot, mit dem Respekt vor dem Eigentum des anderen gesteckt hat. Und er will uns mit dem neunten und zehnten Gebot ganz grundsätzlich davor bewahren, ein Leben zu führen, in dem wir immer wieder nur auf das schielen, was wir nicht haben und was die anderen haben, statt dankbar wahrzunehmen, was wir haben, was uns von Gott geschenkt ist. Ja, auch das klingt theoretisch alles so einfach, ja vielleicht sogar einleuchtend; und doch haben wir unser ganzes Leben lang damit zu tun, auch darin immer vollkommener zu werden, dass wir erkennen, dass wir das Glück unseres Lebens gerade innerhalb der von Gott gesteckten Grenzen finden.

III.
Und damit sind wir schon bei dem dritten Wachstumsbereich, dass wir darin wachsen, andere Menschen als Gottes geliebte Geschöpfe wahrzunehmen.
Die Übersetzung der Worte unserer heutigen Predigtlesung ist an einer Stelle unter den Auslegern sehr umstritten. Da schreibt der Apostel Paulus im vierten Vers ganz wörtlich: dass ein jeder von euch sein eigenes Gefäß zu gewinnen suche in Heiligkeit und Ehrerbietung. Ja, was ist mit dem Gefäß gemeint? Einige Ausleger sagen: Damit ist der eigene Körper gemeint, dass wir unseren Körper immer mehr als Tempel des Heiligen Geistes anzunehmen lernen. Martin Luther übersetzt dagegen das Wort „Gefäß“ mit „seine eigene Frau“, und es gibt gute Gründe dafür, diese Übersetzung beizubehalten. Ja, ich weiß, diese Formulierung scheint zunächst einmal Wasser auf die Mühlen derer zu sein, die dem guten Paulus immer schon Frauenverachtung unterstellen: Die Frau ist für den Mann eben nur ein Gefäß, dessen er sich bedienen darf, wie er will. Hätte Paulus dies so gesehen, dann hätte er sich in der Tat in guter Gesellschaft mit vielen seiner rabbinischen Kollegen der damaligen Zeit befunden, die genau dies ganz offen erklärten: Die Frau ist für den Mann wie ein Stück Fleisch, das er beim Metzger kauft: Er kann damit machen, was er will, es ist seine Entscheidung, ob er es gesalzen, gepökelt oder anders gewürzt verzehrt, so heißt es in einer rabbinischen Stellungnahme der damaligen Zeit.

Doch genau das meint Paulus mit „Gefäß“ eben gerade nicht. Im Gegenteil: Genau das kritisiert er scharf an den Heiden, dass sie die Frauen nur als Gegenstand zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse gebrauchen beziehungsweise missbrauchen. Christliche Männer, sagt er dagegen, gehen mit ihren Frauen anders um: Die sind für sie keine Gebrauchsgegenstände, sondern die sollen von den Männern gewonnen werden in Ehrerbietung. Respekt ist für den Mann angesagt, Respekt vor der Entscheidung der Frau, denn die Frau besitzt genau dieselbe Ehre, Ebenbild Gottes, Glied am Leib Christi zu sein, wie der Mann auch. Sie ist kein Mensch zweiter Klasse, und es ist nicht die Aufgabe des Mannes, den Willen einer Frau nach seinen Wünschen und seinem Belieben in sie hineinzuinterpretieren.

Ja, das gilt natürlich in besonderer Weise für den Bereich der Ehe, dass Mann und Frau einander in Respekt begegnen, den Ehepartner nicht benutzen, sondern danach fragen, was der jeweils andere braucht. Aber was Paulus hier deutlich macht, beschränkt sich eben nicht bloß auf die Ehe. Das gilt auch ansonsten im Alltag, dass wir als Christen in den anderen Menschen, mit denen wir zu tun haben, stets das Ebenbild Gottes wahrnehmen, sie nicht als Konkurrenten oder gar Bedrohung wahrnehmen, sondern als Menschen, die von Gott genauso geliebt sind wie wir selber auch. Ja, Gott will das so, dass wir andere Menschen so und nicht anders wahrnehmen, dass wir so und nicht anders mit ihnen umgehen. Er will nicht, dass wir seinen Willen verachten. Ja, auch da haben wir ein ganzes Leben lang zu lernen, darin zu wachsen, so zu leben, dass wir im Umgang mit anderen Menschen Gott gefallen. Vergessen wir nicht: Gott hat uns gegenüber solchen Respekt, solche Wertschätzung gezeigt, dass er seinen Sohn für uns hat am Kreuz sterben lassen. Ja, so wertgeachtet sind wir von ihm, dass er uns in unserer Taufe ganz persönlich mit unserem Namen angeredet hat. Ja, ich bin gewiss: Wenn ihr euch das täglich vor Augen haltet, wenn ihr euch täglich auf eure Taufe zurückbesinnt, dann wird das nicht ohne Folgen bleiben, dann werde ich auch in Zukunft wie der Paulus allen Grund haben, von euch, ja, auch von eurem Leben als Christen zu schwärmen. Denn um Christi willen stimmt es tatsächlich trotz aller Wachstumsbereiche schon jetzt: Ihr seid eine Super-Gemeinde. Amen.