12.12.2010 | St. Lukas 3,1-14 | 3. Sonntag im Advent

„Worauf warten Sie noch?“ Mit diesem Slogan wirbt der Club Aldiana dafür, seine Frühbucherangebote für die Ferien im nächsten Jahr möglichst umgehend zu nutzen. „Worauf warten Sie noch?“ Was kann es denn schon Besseres geben, als unter Palmen zu chillen und sich von Entertainern rund um die Uhr unterhalten zu lassen?

„Worauf warten Sie noch?“ Die Frage, die der Club Aldiana an uns richtet, ist in Wirklichkeit gar keine echte Frage. Denn der Club Aldiana möchte eben gerade nicht, dass wir uns allzu ernsthafte Gedanken darüber machen, worauf wir denn noch alles warten könnten, sondern er möchte, dass wir nicht warten, sondern schnell zugreifen, weil uns einleuchtet, dass es doch gar nichts geben kann, worauf es sich angesichts der günstigen Angebote des Ferienveranstalters noch zu warten lohnt.
„Worauf warten Sie noch?“ Die Frage des Club Aldiana ist, wenn man sie ernst nimmt, tatsächlich eine Adventsfrage, eine Frage, die wir gerade nicht zugunsten einer schnellen Buchung überspringen, sondern mit der wir uns ganz bewusst beschäftigen sollten.

Worauf wartest du noch in deinem Leben? Was ist für dich so wichtig, dass du dafür andere verlockende Angebote sausen lässt, weil es sich darauf tatsächlich zu warten lohnt? Oder wartest du vielleicht sogar in deinem Leben auf überhaupt nichts mehr, lebst einfach vor dich hin, lässt dich treiben von Terminen und Verpflichtungen, von dem, was eben gerade immer so auf dich zukommt? Oder erwartest du vielleicht deswegen nichts oder nicht mehr viel in deinem Leben, weil du schon oft genug vergeblich gewartet hast, in deinem Warten enttäuscht worden bist? Oder wartest du vielleicht deshalb nicht, weil du ganz im Hier und Jetzt lebst, weil es dir reicht, jetzt im Augenblick Spaß im Leben zu haben, und du darum gar nicht darüber nachdenkst, was später einmal kommen könnte?

Worauf wartest du noch in deinem Leben? Ja, genau darum geht es in dieser Adventszeit, dass wir uns durch Gottes Wort unseren Horizont erweitern lassen, dass wir nicht einfach bloß für uns dahinleben, dass wir den Sinn und Inhalt unseres Lebens nicht bloß darin erkennen, hier und jetzt ein wenig Spaß zu haben und dabei das eine oder andere Sonderangebot zu nutzen. In der Predigtlesung des heutigen Sonntags lenkt der Evangelist Lukas unseren Blick in drei Richtungen, von denen her wir unser Leben betrachten sollen und dürfen und von daher die Frage beantworten können, worauf wir in unserem Leben denn nun noch warten. Er lenkt unsern Blick
in die Vergangenheit
in die Zukunft
und von daher dann auch in die Gegenwart

I.
„Märchenhafte Weihnachten“ – mit diesem Slogan wirbt zurzeit die ARD für ihr Weihnachtsfernsehprogramm. Weihnachten ist Märchenzeit, so unterstellen es die Werbespots für das Fernsehprogramm, und dabei ist es dann gar nicht so wichtig, ob es sich um das Märchen von Schneewittchen und den sieben Zwergen oder um das Märchen von Maria und Joseph mit dem Jesuskind handelt.

Von märchenhaften Weihnachten hält der Evangelist St. Lukas dagegen überhaupt nichts. Die Geschichten, die er in seinem Evangelium berichtet, leitet er nicht mit den Worten ein „Es war einmal …“, sondern er nennt einen ganz bestimmten Zeitpunkt in der Weltgeschichte, an dem sich ereignet, was er zu berichten weiß: Im 15. Jahr der Herrschaft des Kaisers Tiberius, also nach unserer Zeitrechnung ungefähr im Jahr 28, da trat Johannes der Täufer auf, predigte und kündigte den Heiland Gottes an.

Gott kommt zu einem ganzen bestimmten Zeitpunkt an einem ganz bestimmten Ort mitten hinein in unsere Weltgeschichte, greift ein, lässt damit die ganze Geschichte, die darauf folgt, noch einmal in einem ganz anderen Licht erscheinen – das hat ganz direkte Auswirkungen auch für dich, für dein Leben, ja auch für deine Erwartungen, die du an dein Leben richten darfst und sollst. Gott ist in unsere Geschichte gekommen – und seitdem ist er drin, will und wird sich aus dieser Welt und damit auch aus deinem Leben nicht mehr zurückziehen. Du kannst versuchen, ihn in deinem Leben irgendwo in eine Ecke zu packen, wo er dich nicht stört und du nicht dauernd an ihn denken musst. Du kannst dir und vielleicht auch ihm selber klarzumachen versuchen, dass du einfach keine Zeit für ihn hast, weil es so viele andere Dinge gibt, die für dich erst einmal dringlicher und wichtiger sind, als ihm zu begegnen. Und du kannst Gott natürlich auch zu einem Märchenonkel im Jenseits degradieren, den du dir jederzeit nach deinem Belieben mal wieder in dein Leben hineinholen kannst, wenn du das Bedürfnis danach verspürst. Doch das ändert nichts daran, dass du damit deine Augen vor einer Realität verschließt, die für dich und dein Leben eben doch von entscheidender Bedeutung ist. Gott ist nicht in diese Welt gekommen, um dir dein Leben zu versauen, um dich unter zusätzlichen Zeitdruck zu setzen, um dich von Wichtigerem abzuhalten und auch nicht, um dir von Zeit zu Zeit mal ein gutes Gefühl zu vermitteln, sondern er ist in diese Welt gekommen, um dich zu retten, so macht es dir St. Lukas hier deutlich. Nein, es ist nicht Neugier gewesen, die Gott dazu veranlasst hat, in diese Welt zu kommen und dabei Johannes den Täufer als seinen Vorläufer voranzuschicken. Es ging ihm ganz konkret auch um dich, dass du dein Leben nicht verpennst und verfehlst, dass dein Leben nicht endet in der Dunkelheit des ewigen Todes.

Denke daran, wenn du dich nun an die Planungen für das kommende Jahr 2011 begibst, wenn du darüber nachdenkst, was du dir für die kommende Zeit vornehmen willst: Da hat sich etwas in dieser Welt, da hat sich ganz konkret in deiner Taufe auch etwas in deinem Leben ereignet, was sich nie mehr rückgängig machen lässt: Gott ist drin in dieser Welt, in deinem Leben, möchte nur eins, dass du ihn nicht aussperrst, sondern dich darüber freust, ihn in deinem Leben mit dabei zu haben, nicht bloß als nettes Anhängsel, sondern als den, der dich und dein Leben zum Ziel führt, das er für dich vorgesehen hat. Nein, du brauchst nicht mehr darauf zu warten, Gott vielleicht irgendwann einmal in der Zukunft zu begegnen. Er ist schon da, und er will drin bleiben in deinem Leben, ganz gleich, wie dies auch verlaufen mag!

II.
Man kann Johannes dem Täufer eines wirklich nicht vorwerfen: Dass er den Leuten nach dem Mund geredet hat, um sich bei ihnen beliebt zu machen. Das muss man sich mal vorstellen, was damals geschah: Da machten sich die Leute von überall her auf den beschwerlichen Weg durch die Wüste bis hin an den Jordan. Das machte man nicht mal so nebenbei, das war kein harmloser Sonntagsspaziergang, sondern die, die diesen Weg auf sich nahmen, machten damit schon deutlich, dass es ihnen ernst war mit ihrem Vorsatz, etwas in ihrem Leben zu verändern. Und was dürfen sie sich zur Begrüßung von Johannes anhören? „Ihr Schlangenbrut, wer hat denn euch gewiss gemacht, dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet?“ Stellt euch mal vor, ich würde euch zu Beginn des Gottesdienstes mit solchen Worten begrüßen!

Doch Johannes weiß, was sein Auftrag ist: Es geht ihm nicht darum, einen Fanclub um sich zu scharen, sondern sein Auftrag ist es, Menschen auf Gottes großes Kommen vorzubereiten und sie dabei nicht in falscher Sicherheit zu wiegen: In Gottes kommendem Gericht können wir Menschen eben nicht dadurch bestehen, dass wir immer ganz nett und anständig gewesen sind. Da geht es um viel mehr.

Schwestern und Brüder, ich gestehe, ich tue mich schon etwas schwer damit, euch als Schlangenbrut zu bezeichnen. Aber auch dem Johannes ging es ja nicht darum, seine Zuhörer persönlich zu beleidigen, sondern ihnen vor Augen zu halten, wessen Gift auch in ihrem Leben seine Wirkung hinterlassen hatte: Das Gift der einen Schlange, von der bereits am Anfang der Heiligen Schrift die Rede ist, das Gift des Verführers, des Teufels, der nur ein Ziel kennt: uns Menschen für immer von Gott zu trennen. Sollte Gott wirklich gesagt haben? Sollte er es mit seinem Wort wirklich so ernst meinen? Die Fragen der Schlange, ihr Gift, das steckt auch in uns drin, droht auch uns immer wieder von Gott abzubringen. Und das ist eben nicht egal, ob das passiert. Denn Gottes Gericht steht auch uns bevor, der Tag, an dem auch wir vor Gott werden Rechenschaft ablegen müssen.

Worauf wartest du noch? Ja, hoffentlich wartest du auch darauf, dich vor Gott einmal verantworten zu müssen. Hoffentlich hast du das nicht aus deinem Leben verdrängt, sondern weißt, dass auch für dich in deinem Leben nicht weniger als alles auf dem Spiel steht, dass sich hier und jetzt in deinem Leben entscheidet, ob du dem künftigen Zorn Gottes entrinnen wirst oder nicht. Nein, allein schaffst du das sowieso nicht. Du hast nur eine Chance: Dass du dich an den hältst, der nach Johannes dem Täufer gekommen ist, dessen Geburt wir nun in knapp zwei Wochen feiern werden. Du hast nur eine Chance: Dass du dich an den einen hältst, der den Zorn Gottes, der dir gegolten hätte, auf sich genommen hat am Kreuz, damit du Gottes Gericht nicht voll Schrecken, sondern ganz ruhig und getrost entgegenblicken kannst. Ja, Gott hat auch bei dir in deiner Taufe eben dies Wunder gewirkt, dass er sich aus Steinen Kinder erwecken kann und tatsächlich erweckt, dass er aus einem Menschen, der von sich aus nicht ihm, Gott, vertrauen konnte, einen Menschen gemacht hat, der seine Hoffnung auf ihn, Christus, den Heiland, setzen kann und setzt.

Worauf wartest du noch? Jawohl, auf diesen Christus sollst und darfst du warten. Der kommt dir entgegen, derselbe Christus, den damals Johannes der Täufer angekündigt hat. Der kommt dir entgegen, um dich vor dem künftigen Zorn zu bewahren. Verliere sie darum niemals aus den Augen: die wichtigste Frage deines Lebens: Wie werde ich einmal in Gottes Gericht bestehen können? Und verliere vor allem niemals den aus den Augen, verliere niemals die Verbindung zu dem, der dich dann einmal allein wird retten können: er, Christus, das Kind in der Krippe, der Mann am Kreuz, der auferstandene und wiederkommende Herr, der auch heute wieder darauf wartet, dir zu begegnen.

III.
Und damit lenkt der Evangelist Lukas unseren Blick schließlich tatsächlich auch ganz in die Gegenwart: Ja, worauf wartest du eigentlich noch? So fragt er dich, wenn Christus nachher dir wieder zuruft: Kommt, denn es ist alles bereit! Worauf wartest du eigentlich noch, wenn Christus auch dich einlädt, nachher wieder zu singen: Meine Augen haben deinen Heiland gesehen, ja, worauf wartest du noch, wenn du hier am Altar erleben darfst, wie sich heute von Neuem erfüllt, was damals schon durch den Propheten angekündigt wurde: „Alle Menschen werden den Heiland Gottes sehen.“ Ja, du darfst ihn schon heute sehen – wenn auch noch verborgen in den Gestalten von Brot und Wein. Größeres wirst du hier auf Erden nirgendwo finden können.

Und diese Begegnung mit Christus, die hat allerdings Konsequenzen, so machte es schon damals Johannes der Täufer seinen Zuhörern deutlich: Gott erwartet von euch, dass ihr in eurem Leben Frucht bringt, dass euch die Begegnung mit ihm, dem lebendigen Herrn, nicht unverändert lässt.

„Was sollen wir tun?“ – So fragten damals die Menschen, so fragten ganz konkret auch die Zöllner und die Soldaten Johannes den Täufer. Die drei Antworten, die der Täufer den Leuten gab, hatten jedes Mal mit dem Thema „Geld und Besitz“ zu tun: Selbst diejenigen, die nicht sehr viel besaßen, sollten von dem, was sie hatten, noch kräftig an die noch Ärmeren abgeben: von zwei Hemden immerhin eins – 50%. Die Zöllner sollten sich nicht, wie dies üblich war, an denjenigen, denen sie den Zoll abknöpften, bereichern. Und die Soldaten – sie sollten ihre Möglichkeiten nicht dazu nutzen, um anderen Menschen mit Gewalt Geld und Besitz zu rauben, wie dies leider damals immer wieder geschah. Ja, so zeigt es Johannes der Täufer auch uns heute: Unser Verhältnis zu Gott, zu Christus, die Begegnung mit ihm, wirkt sich aus auch in unserem Umgang mit Geld und Besitz. Wenn ich erkenne, was Gott schon in der Vergangenheit für mich und mein Leben getan hat, wenn ich erkenne, dass die Frage nach dem Bestehen in seinem Gericht die wichtigste Frage meines Lebens ist, ja, wenn die Begegnung mit Christus hier im Heiligen Mahl das Zentrum meines Lebens als Christ ist, dann ist klar, dass Geld und Besitz nicht an erster Stelle in meinem Leben stehen können, dass daran nicht mein Herz hängen kann. Nein, Johannes der Täufer fordert uns nicht dazu auf, auf unseren gesamten Besitz zu verzichten und künftig als Bettelmönche und -nonnen zu leben. Er hat damals auch nicht die Zöllner und auch nicht die Soldaten dazu aufgefordert, ihren Beruf aufzugeben. Aber wer sein Leben ganz auf Gott, ganz auf den kommenden Christus ausrichtet, bei dem wird dann alles andere im Leben auch die richtige Rangfolge bekommen, der wird dann auch gerne und fröhlich abgeben von dem, was er hat – nicht nur jetzt in der Adventszeit, aber gerade jetzt natürlich auch.

Ja, ich weiß, das klingt jetzt alles so einfach und logisch. Doch wir merken es in unserem Leben, genauso wie es gewiss auch damals die Leute, gerade auch die Zöllner und Soldaten gemerkt haben, wie schwer wir uns gerade mit diesem Thema „Geld und Besitz“ tun, wie unser Herz dann doch immer wieder so leicht an den Dingen dieser Welt hängt. Ja, solange wir leben, werden wir es von daher immer wieder nötig haben, auf die Predigt Johannes des Täufers zu hören, werden wir es nötig haben, uns zur Buße, zur Umkehr, rufen zu lassen – und damit zum Empfang der Vergebung der Sünden. Darum ging es Johannes damals schon, als er predigte und taufte. Und um nichts Anderes geht es heute in diesem Gottesdienst auch: Dass euch die Sünden vergeben werden. In der Taufe ist das auch bei euch geschehen, genau wie bei Michael heute Morgen auch. Und weil es uns immer noch so schwer fällt, das zweite Hemd aus dem Schrank zu holen, weil es uns so schwer fällt, Gottes Fürsorge in unserem Leben wirklich ganz zu vertrauen, darum lädt euch Christus nun gleich wieder von Neuem ein, sein Blut zu empfangen – zur Vergebung aller eurer Sünden. Ja, worauf wartet ihr noch? Amen.