26.12.2010 | Johannes 8,12-16 | 1. Sonntag nach dem Christfest

Vor einigen Wochen hatten wir in unserer Dreieinigkeitskirche in Steglitz während des Gottesdienstes einen besonderen Besuch. Ein Mann betrat kurz nach Beginn des Gottesdienstes den Kirchraum und redete mir während der Predigt immer wieder einmal dazwischen. Gegen Ende der Predigt verließ er dann die Kirche, wartete dann aber anschließend auf mich, um mir auch im Beisein einiger anderer noch etwas mitzuteilen, was ich, ehrlich gesagt, nicht ganz verstand. Aber es klang jedenfalls so, als müsse er mir mitteilen, er sei der Gott aller Götter. Als ich daraufhin nicht anbetend vor ihm niederfiel, wurde er ziemlich wütend und verließ das Gebäude schließlich mit lautem Türknallen.
Ja, ich sage es ganz offen: Ich glaube nicht, dass der Gott aller Götter an diesem Abend in der Kirche hinten in der vorletzten Reihe gesessen und mir in die Predigt hineingeredet hat. Ich glaube vielmehr, dass uns der Gott aller Götter auch an diesem Abend vorne am Altar begegnet ist, als wir seinen Leib und sein Blut im Heiligen Mahl empfangen haben. Jenem Mann hingegen, der uns da besuchte, würde ich vielmehr zu ärztlicher Hilfe raten, da ich ihn für krank halte – und ihm darum im Übrigen auch nicht böse sein kann wegen seines Verhaltens. Nein, wenn sich jemand für den Gott aller Götter hält, dann hat er nach unserem Urteil ein äußerst gestörtes Verhältnis zur Wirklichkeit, dann kann man diese Behauptung selbstverständlich nicht weiter ernst nehmen.

In der Predigtlesung des heutigen Tages begegnet uns nun auch jemand, der sich mehr oder weniger offen als Gott, als Gott aller Götter, vorstellt, der von sich sagt: „Ich bin“ und damit anspielt auf die Selbstvorstellung des Gottes Israels am Sinai: Ich bin, der ich bin. Da begegnet uns einer, der von sich selber behauptet, er sei das Licht der Welt; an ihm, an seiner Person entscheide es sich, ob das Leben von Menschen ins Licht oder in die Dunkelheit führt. Wäre es da nicht auch für uns angemessen, diese Behauptung mit einem mitleidigen Lächeln zu übergehen, vielleicht zu bedauern, dass man damals vor 2000 Jahren noch keine Möglichkeit hatte, solchen Menschen, die so etwas von sich behaupteten, angemessen psychiatrisch zu helfen?  

Schwestern und Brüder, natürlich reagieren wir auf die Worte Jesu in Wirklichkeit anders als ich neulich auf jenen ungebetenen Besucher in der Kirche; natürlich liegt es uns fern, ihn, Jesus, für irgendwie durchgeknallt zu halten, tut uns im Gegenteil schon allein der Gedanke daran, dass jemand so etwas behaupten könnte, weh. Doch, Brüder und Schwestern, diejenigen, die Jesus mit seinen Behauptungen für gestört und durchgeknallt halten, haben in Wirklichkeit mehr von dem verstanden, was Jesus sagt, als die meisten anderen Leute heutzutage.

Denn unser Problem heute besteht darin, dass die meisten Menschen überhaupt nicht mehr ernsthaft hinhören, was Jesus eigentlich sagt, und sich stattdessen von vornherein einen eigenen Wunschjesus nach ihren eigenen Bedürfnissen zusammenstellen. Das Ergebnis solcher Wunschjesusbasteleien kann dabei sehr unterschiedlich aussehen: Für manche bleibt Jesus sein Leben lang ein kleines Baby in der Krippe, das man einmal im Jahr besuchen darf, das aber niemals erwachsen wird und darum auch niemals anfängt, zu einem zu sprechen. Für andere ist Jesus ein großer Lehrer, der den Menschen manch einen guten Tipp in Sachen Gewaltlosigkeit und nettem Umgang miteinander zu geben vermag. Und wieder für andere ist Jesus einfach ein kuschliger Begleiter auf dem Lebensweg, der einem immer ein gutes Gefühl vermittelt, nicht ganz allein zu sein. Doch all diese selbstgebastelten Jesusse haben herzlich wenig mit dem Jesus zu tun, der sich in unserer heutigen Predigtlesung uns zu erkennen gibt. Dieser Jesus, den wir hier reden hören, ist nicht süß und klein, er gibt uns hier auch keine Benimmregeln mit auf den Weg, und er vermittelt uns hier auch keine wohligen Gefühle. Sondern der spricht von sich, von seiner Person, erhebt hier einen Anspruch, angesichts dessen uns tatsächlich nur zwei Möglichkeiten bleiben: ihn als völlig verrückt abzutun oder vor ihm auf die Knie zu fallen.

Naheliegend ist es für uns eigentlich, sich dem Urteil der Pharisäer hier in unserer Predigtlesung anzuschließen: Dein Zeugnis ist nicht wahr. Was du redest, ist Quatsch. Kein Mensch kann ernsthaft von sich behaupten, Licht der Welt, ja, Gott selber in Person zu sein. All das, was wir hier in dieser Welt erleben, lässt sich auch ganz gut erklären, ohne dass man da einen braucht, der sich als Licht der Welt bezeichnet und behauptet, dass wir durch ihn überhaupt erst die richtige Erleuchtung für unser Leben bekommen. Wir sind auch ohne dieses Licht der Welt hell genug im Kopf; und eben darum wissen wir auch: Wenn wir tausend Leute, die behaupten, Gott zu sein, für verrückt erklären, dann tun wir das logischerweise bei dem tausendundersten auch. Und von daher haben wir es überhaupt nicht nötig, uns mit solchen Behauptungen ernsthaft zu befassen – mal ganz abgesehen davon, was das bedeuten würde, wenn der wirklich Recht hätte; dann würde das ja unsere ganze Lebenseinstellung, unsere ganze Lebensausrichtung hinterfragen. Nein, daran wollen wir erst gar keinen Gedanken verschwenden!

Jesus stimmt denen, die so argumentieren, in gewisser Weise zu. Er sagt: Das, was ihr denkt, ist tatsächlich naheliegend, das entspricht in der Tat eurem menschlichen Denken. „Ihr richtet nach dem Fleisch“, so formuliert er es hier, wobei mit Fleisch natürlich kein Hamburger von McDonalds gemeint ist, sondern die ganz normale, natürliche Lebensausrichtung eines Menschen, der glaubt, sein Leben allein im Griff zu haben und ohne ihn, Jesus, gut auskommen zu können. Aber, so fährt Jesus fort: Auch wenn ihr es erst einmal für noch so unwahrscheinlich halten mögt, könnt doch auch ihr es nicht ausschließen, dass es tatsächlich stimmt, dass es tatsächlich möglich sein kann, dass es nicht bloß Gott gibt – dafür lassen sich ja sogar noch eine Reihe von Vernunftargumenten anführen –, sondern dass dieser Gott sich tatsächlich zu erkennen gegeben hat, nein, nicht bloß mit etwas Blitz und Donner, sondern allen Ernstes als Mensch. Ja, ausschließen könnt ihr das nicht – und dann stellt euch einfach mal vor, das würde tatsächlich stimmen, dass Gott, der, dem die ganze Welt ihre Existenz verdankt, dem auch du deine Existenz verdankst, dass dieser Gott sich tatsächlich gemeldet hat, dass er uns Menschen nicht bloß den Weg gezeigt hat, den wir gehen können, um zu ihm zu gelangen, sondern dass er uns tatsächlich so nahe kommt, dass wir diesen Weg gemeinsam mit ihm, in seiner Gemeinschaft gehen können. Ja, stellt euch einfach mal vor, das stimmt tatsächlich! Jesus selber behauptet das jedenfalls von sich, und wenn wir lesen, was er ansonsten so alles gesagt und getan hat, mögen wir nicht unbedingt gleich auf die Idee kommen, dass er wohl insgesamt nicht ganz zurechnungsfähig war. Ganz ruhig und nüchtern sagt er es den Pharisäern hier: Ich weiß, woher ich gekommen bin und wohin ich gehe; ihr aber wisst nicht, woher ich komme und wohin ich gehe. Natürlich habt ihr keine Ahnung von mir und könnt sie auch nicht haben. Ich allein weiß es ja, wer ich in Wirklichkeit bin, eben woher ich komme und wohin ich gehe.

Wie lässt sich dieses Dilemma also lösen; wie ist das dann möglich, dass Menschen ihn, Jesus, nicht für durchgeknallt halten, sondern seinem Wort Glauben schenken? Nein, das ist nicht dadurch möglich, dass Jesus uns beweist, dass er Recht hat – wie sollte das auch möglich sein? Sondern es wird einzig und allein dadurch möglich, dass dieses Wort, das Jesus spricht, tatsächlich Glauben an ihn wirkt, Glauben, der keine menschliche Möglichkeit ist, sondern Wirkung des Geistes Gottes. Die Apostel damals, die haben es noch mit eigenen Augen sehen dürfen, wie Jesus seinen Anspruch selber bestätigt hat durch seine Auferstehung von den Toten, haben es selber gesehen, dass Jesus eben nicht bloß Sprüche geklopft hat, sondern gezeigt hat, dass auf sein Wort wirklich Verlass ist, dass sein Wort tatsächlich bewirkt, was es sagt. Doch auch sie konnten das, was sie gehört und erlebt hatten, dann nur weitererzählen, konnten nur bezeugen, was ihnen widerfahren war. Doch das Wunder geschah: Immer und immer wieder hat dieses Wort von Jesus, das sie weitergesagt haben, tatsächlich Glauben gewirkt, hat Menschen tatsächlich dazu veranlasst, Jesus nachzufolgen, ihn als Licht der Welt, ihn als den ewigen Sohn Gottes anzuerkennen und anzubeten.

Stell dir mal vor, Jesus erhebt diesen Anspruch zu Recht, Licht der Welt, Gottes Sohn zu sein – und ich sage und bezeuge es dir: Er erhebt diesen Anspruch in der Tat zu Recht. Ja, stell dir das einfach mal vor, was das bedeutet: Das heißt: Wenn du meinst, in deinem Leben ohne ihn, Jesus, klarkommen zu können, wenn du meinst, ihn, Jesus, irgendwo in eine Ecke deines Lebens packen zu können, wo er dich nicht weiter stört, dann lebst du in Wirklichkeit, um es mit Jesu Worten zu formulieren, immer noch in der Finsternis. Das heißt nicht, dass du dich deswegen schlecht fühlen musst und immer nur deprimiert irgendwo in der Ecke rumhängst. Man kann sich auch im Dunklen sehr gut fühlen, und Augen können sich ein ganzes Stück weit auch an Dunkelheit gewöhnen, das wissen wir. Doch es geht Jesus in seinen Worten nicht darum, ob du dich gut fühlst oder nicht, sondern ob du dein Leben verpennst oder nicht, ob du einmal für immer mit ihm, Jesus Christus, das Licht des Lebens haben wirst oder ob du am Ende deines Lebens genau das in alle Ewigkeit bekommst, was du dein ganzes Leben lang auch immer haben wolltest: ein Leben getrennt von ihm, Christus, dem Licht der Welt.

Christus ist nicht in diese Welt gekommen, um Menschen in die Hölle zu befördern. Im Gegenteil: Er ist als Licht in diese Welt gekommen, um das Leben der Menschen hell zu machen, um ihnen durch seine Gegenwart, durch sein Wort Leben, ewiges Leben zu schenken. Doch leider passiert eben doch immer wieder dieses Unfassliche, dass Menschen von diesem Licht endgültig nichts wissen wollen, sich ihm endgültig verschließen und sich damit der Realität endgültig verweigern.

Gott geb’s, dass das für keinen von euch, die ihr heute Morgen hier sitzt, gilt. Ja, noch spricht Christus zu euch in seinem Wort, noch lädt er euch ein. Wir haben es heute Morgen miterlebt, wie dieses Wort tatsächlich wirken kann, haben es bei Shane heute Morgen miterlebt, wie dieses Wort ihm nun mit knapp 14 Jahren tatsächlich die Augen geöffnet hat, sodass er nun auch durch die Taufe zu denen gehört, die ihr Leben im Licht dieses Jesus Christus führen.

Ja, in seine Nachfolge ruft Christus dich, Shane, und uns alle miteinander. Christus möchte nicht bloß, dass wir ihn nett finden, und er möchte auch nicht bloß, dass wir das für richtig halten, was er sagt. Sondern er möchte, dass wir uns mit unserem ganzen Leben auf seine Einladung einlassen, dass wir uns an seinem Wort orientieren und darum die Möglichkeiten auch nutzen, ihn und sein Wort immer besser kennenzulernen. Christus möchte, dass wir auf Tuchfühlung mit ihm bleiben; darum lädt er dich, Shane, heute zum ersten Mal, und uns alle miteinander gemeinsam mit ihm heute und immer wieder ein, ihn selber leibhaftig zu empfangen hier im Heiligen Mahl, so, dass er, Christus, das Licht der Welt in uns lebt und unser Leben dadurch hell macht. Verlasst euch drauf: Christus weiß, wovon er redet, er hat Ahnung, unendlich mehr, als diejenigen glauben, die ihn und sein Wort in ihrem Leben einfach zur Seite packen. Ja, verlasst euch drauf: Wer ihm, Christus, nachfolgt, wer sein Leben in seiner Gemeinschaft führt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben. Klingt völlig verrückt und ist doch die Wahrheit. Amen.