11.02.2009 | St. Markus 1, 32-39 (Mittwoch nach Septuagesimae)

MITTWOCH NACH SEPTUAGESIMAE – 11. FEBRUAR 2009 – PREDIGT ÜBER ST. MARKUS 1,32-39

Am Abend aber, als die Sonne untergegangen war, brachten sie zu ihm alle Kranken und Besessenen. Und die ganze Stadt war versammelt vor der Tür. Und er half vielen Kranken, die mit mancherlei Gebrechen beladen waren, und trieb viele böse Geister aus und ließ die Geister nicht reden; denn sie kannten ihn. Und am Morgen, noch vor Tage, stand er auf und ging hinaus. Und er ging an eine einsame Stätte und betete dort. Simon aber und die bei ihm waren, eilten ihm nach. Und als sie ihn fanden, sprachen sie zu ihm: Jedermann sucht dich. Und er sprach zu ihnen: Lasst uns anderswohin gehen, in die nächsten Städte, dass ich auch dort predige; denn dazu bin ich gekommen. Und er kam und predigte in ihren Synagogen in ganz Galiläa und trieb die bösen Geister aus.

„24 Stunden“ – So lautet eine erfolgreiche Reportagenserie auf SAT 1, die seit mehr als 16 Jahren bei diesem Sender ausgestrahlt wird. Über einen überschaubaren Zeitraum von 24 Stunden beob-achtet ein Kamerateam Menschen in ihrem ganz alltäglichen Leben und Tun; die Reportage, die daraus entsteht, eröffnet dem Fernsehzuschauer mitunter erstaunliche Einblicke in das Leben und Denken der dargestellten Personen.
Ganz neu ist dieses Fernsehformat allerdings nicht; einen Vorläufer dieser 24 Stunden-Reportage finden wir schon hier bei St. Markus in dem Abschnitt aus seinem Evangelium, den wir eben als Predigtlesung gehört haben. Anhand eines Tages stellt St. Markus exemplarisch das Wirken Jesu in Galiläa dar, lässt auf diese Weise ganz kurz und knapp erkennen, was dieses Wirken Jesu damals ausmachte, was daran wirklich wichtig war, und leitet damit zugleich uns dazu an, noch einmal neu auf das zu blicken, was in unserer Gemeinde geschieht, ob das tatsächlich den Schwerpunkten entspricht, die Christus selber in dieser 24 Stunden-Reportage für seine eigene Arbeit setzt.
Scheinbar setzt St. Markus bei seiner 24 Stunden-Reportage reichlich spät ein, am Abend des Tages. Doch so denken eben nur wir als Mitteleuropäer, die den Tag um Mitternacht oder am Morgen beginnen lassen. Damals begann der Tag bei Sonnenuntergang; aus den Versen, die unserer Predigtlesung vorangehen, wird deutlich, dass dieser Tag, der nun begann, der Tag nach dem Sabbat war. Am Sabbat durften bekanntlich keine Lasten getragen werden, und so scheint die ganze Stadt Kapernaum nur in den Startlöchern gelegen zu haben, nur auf das Ende dieses Sabbats gewartet zu haben, um nun wieder Arbeiten verrichten zu dürfen, in diesem Fall ganz konkret: um die ganzen Kranken und Besessenen der Stadt zu Jesus zu bringen. Das sind also die ersten Eindrücke vom Wirken Jesu, die uns St. Markus hier zu Beginn seiner Reportage vermittelt: Jesus hält sich in Kapernaum auf, einer Stadt am See Genezareth, und seine Anwesenheit ruft nun gleich einen Massenauflauf hervor; die ganze Stadt versammelt sich vor der Tür des Hauses der Schwiegermutter des Simon Petrus, in dem Jesus sich mit einigen seiner Jünger aufhielt. Mit jeder Menge Arbeit beginnt also dieser Tag für Jesus; Kranken soll geholfen werden, Dämonen sollen ausgetrieben werden. Und Jesus arbeitet kräftig, heilt viele Kranke, treibt viele böse Geister aus. Zweierlei fällt in dieser Schilderung des Beginns des Arbeitstages Jesu auf: Zum einen macht St. Markus hier einen feinen, aber bedeutsamen Unterschied: Alle Kranken und Besessenen werden zu Jesus gebracht; vielen hilft er, viele böse Geister treibt er aus – also gerade nicht alle. Jesus ist kein Heilungsautomat, den die Bewohner Kapernaums nach Belieben benutzen können; es kam auch damals in der Gegenwart Jesu sehr wohl vor, dass Menschen zu ihm gebracht und nicht geheilt wurden. Weshalb einige geheilt wurden und andere nicht, führt St. Markus hier nicht aus. Er stellt es einfach nur fest. Und zum anderen legt St. Markus hier durchaus ein gewisses Schwergewicht auf die Dämonenaustreibungen Jesu. Da mögen wir als aufgeklärte Mitteleuropäer ein wenig die Stirn runzeln und überlegen feststellen, dass der antike Mensch ja alle möglichen Krankheiten für die Wirkung von Dämonen hielt, ja, dass vor allem psychische Krankheiten damals als dämonische Besessenheit verstanden wurden. Doch ganz so einfach können wir es uns nicht machen, denn St. Markus geht es hier um mehr als um geglückte oder missglückte Diagnosen von irgendwelchen Krankheitsbildern. Deutlich machen will er, dass Jesu Wirken von Anfang an eine Kampfansage bedeutete gegen alle Mächte des Bösen, die die Menschen gefangen halten, von Gott fern halten wollten. Doch er, Christus, ist stärker, so zeigt es sein Wirken in Kapernaum. Seinem machtvollen Wort können die Mächte des Bösen nicht widerstehen; sie müssen ihm gehorchen, müssen schweigen, wo er, der Herr, erscheint.
Und dann schläft Jesus; ja, auch das gehört zu seinem 24-Stunden-Tag hinzu, dass er schläft. Ein wirklicher Mensch ist er, der auch Schlaf braucht. Doch ein Langschläfer ist Jesus offenbar auch wieder nicht. „Am Morgen, noch vor Tage, stand er auf und ging hinaus“, so berichtet St. Markus. Nein, Jesus geht nicht zum morgendlichen Joggen hinaus, sondern er sucht sich einen einsamen Ort, um in Ruhe beten zu können. Ja, auch das Gebet, das Gespräch mit Gott, seinem Vater, gehört entscheidend mit dazu zu einer Darstellung des Wirkens Jesu, so macht es uns der Evangelist hier deutlich. Jesu Wirken kann nur verstanden werden aus seiner untrennbaren Verbindung mit seinem Vater, aus seinem unaufhörlichen Gespräch mit ihm. Nein, dieses Gebet ist für Jesus nicht überflüssig; hier kann er keine Zeit einsparen, die er durch andere Tätigkeiten sinnvoller nutzen könnte. In dieser Gefahr stehen wir ja heute oft genug, Pastoren genauso wie Gemeindeglieder, dass da täglich so viel auf uns einstürmt, was scheinbar so wichtig ist, dass für das Gebet kaum noch oder gar keine Zeit mehr bleibt. Doch so modern ist dieses Problem, ist diese Gefahr in Wirklichkeit gar nicht. Genau mit dieser Einstellung wurde Jesus schon damals sehr direkt konfrontiert: Da zieht er sich extra zurück; doch seine Jünger, Petrus vornean, laufen ihm nach, versuchen, ihn dazu zu bewegen, sein Gebet ein wenig abzukürzen oder es gar ganz zu beenden: „Jedermann sucht dich!“ Was für ein naheliegendes Argument: Wenn so viele Menschen darauf warten, dass ihre Wünsche und Bedürfnisse erfüllt und befriedigt werden, da kannst du dich hier doch nicht einfach zurückziehen! Ach, wie wohlbekannt sind mir solche Gedanken auch selber!
Doch Jesus orientiert sich in dem, was er tut, gerade nicht an den Wünschen der Menschen, auch nicht an den taktischen Überlegungen seiner Jünger: Schau doch, wie beliebt du in Kapernaum bei den Leuten bist, nutze das aus, veranstalte noch einmal solch ein Heilungs-Happening wie gestern Abend! Jesus geht es eben nicht darum, bei den Leuten beliebt zu werden; ja, es geht ihm noch nicht einmal zuerst darum, Menschen zu heilen, so sehr auch die Heilungen zu seinem Dienst mit dazugehören, Zeichen sind des Reiches Gottes, das in seiner Person zu den Menschen gekommen ist. Nein, so erklärt er es seinen Jüngern: „Lasst uns anderswohin gehen, in die nächsten Städte, dass ich auch dort predige; denn dazu bin ich gekommen.“ Sein erster und wichtigster Auftrag ist und bleibt die Predigt, die Verkündigung des Reiches Gottes; alles Andere kann auf diese Predigt hinweisen, ist und bleibt aber nicht das Entscheidende. Und diese Predigt soll eben nicht bloß den Einwohnern Kapernaums allein gelten; nein, immer mehr Menschen sollen die gute Botschaft hören, die er zu verkündigen hat; immer mehr Menschen sollen durch diese Verkündigung dem Machtbereich des Bösen entrissen werden. Und die Jünger – sie sollen mitkommen; denn was er, Jesus, hier in Galiläa tut, das sollen sie nach Ostern weiterführen, sollen die Botschaft von Galiläa aus in die ganze Welt verbreiten, damit alle Menschen durch diese Verkündigung in die Gemeinschaft mit ihm, Christus, geführt werden, mehr von ihm erfahren, dessen Wirken hier von St. Markus so eindrücklich in seiner 24-Stunden-Reportage dargestellt wird.
Verkündigung Christi, Verkündigung dessen, was er gesagt und vor allem was er für uns getan hat – Das ist und bleibt auch unser zentraler Auftrag als Kirche, als Gemeinde. Dass wir uns um die Nöte anderer Menschen kümmern, ist gut und wichtig; ja, auch darin tun wir es Christus nach, wenn wir uns in Liebe anderen Menschen zuwenden, die diese Zuwendung brauchen. Aber keinesfalls darf sich unser Dienst als Kirche nur darauf beschränken; nein, unser Auftrag ist derselbe wie der Auftrag, den Christus hier als den seinigen beschreibt: Zum Predigen ist er gekommen. Menschen sollen hören, dass auch sie eingeladen sind in die Gemeinschaft mit Christus; Menschen sollen zum rettenden Glauben geführt werden. Und darum gilt auch für uns, dass wir immer weiterziehen, uns nicht beschränken auf das, was gewesen ist und was wir schon haben, und das weiterpflegen. Nein, es gibt noch so viele Menschen, die die Christusbotschaft brauchen; es gibt noch so viele Menschen, die der Macht der Finsternis entrissen werden und unter die befreiende Herrschaft Christi gestellt werden müssen. Doch dass wir es ja nicht vergessen: Wir selber können und schaffen das nie; wir sind und bleiben nur Werkzeuge unseres Herrn. Und eben darum ist es so wichtig, dass alles, was wir in der Kirche tun, die Verkündigung vornean, begleitet bleibt vom Gebet, dass wir das vor lauter Tun und Machen ja nicht vergessen oder abkürzen oder beiseite schieben. Ja, Gott geb’s, dass wir uns dafür immer wieder die nötige Zeit nehmen – ganz gleich, wer alles bei uns an die Tür klopfen mag! Amen.