25.11.2009 | Hebräer 12, 22-25 (Mittwoch nach dem Ewigkeitssonntag)

MITTWOCH NACH DEM EWIGKEITSSONNTAG – 25. NOVEMBER 2009 – PREDIGT ÜBER HEBRÄER 12,22-25

Sondern ihr seid gekommen zu dem Berg Zion und zu der Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, und zu den vielen tausend Engeln und zu der Versammlung und Gemeinde der Erstgeborenen, die im Himmel aufgeschrieben sind, und zu Gott, dem Richter über alle, und zu den Geistern der vollendeten Gerechten und zu dem Mittler des neuen Bundes, Jesus, und zu dem Blut der Besprengung, das besser redet als Abels Blut. Seht zu, dass ihr den nicht abweist, der da redet. Denn wenn jene nicht entronnen sind, die den abwiesen, der auf Erden redete, wie viel weniger werden wir entrinnen, wenn wir den abweisen, der vom Himmel redet.

Vor einigen Wochen wurde der Kinofilm „Der König von Narnia“ nun auch noch einmal im Fernsehen gezeigt. Auf den ersten Blick handelt es sich dabei einfach um eine nette, spannende Fantasieerzählung. Doch in Wirklichkeit ist dieser Film, wie das Buch, das ihm zugrunde liegt, vollgepackt mit Anspielungen auf den christlichen Glauben, die der Autor des Buches, der englische Schriftsteller C.S. Lewis, dort ganz bewusst untergebracht hat. So ist in dem Film zu sehen, wie einige spielende Kinder sich in einem alten englischen Herrenhaus in einem Schrank verstecken und mit einem Mal durch den Schrank hindurch in eine andere Welt geraten, in der sie alle möglichen Abenteuer erleben. Als sie am Ende des Films wieder aus dem Schrank heraustreten, stellen sie fest, dass mittlerweile in der Erdenzeit, aus der sie herausgetreten waren, überhaupt keine Zeit vergangen war. Offenbar waren sie dazwischen in eine Welt geraten, in der unsere Vorstellungen von Zeit keine Rolle spielten.
So etwas Ähnliches, Schwestern und Brüder, wird uns auch in der Predigtlesung des heutigen Abends geschildert. Da schreibt der Verfasser des Hebräerbriefes seinen Brief vermutlich an Christengemeinden in Italien, in der Gegend von Rom, an Christen, die bereits Verfolgungen und Schikanen um ihres Glaubens willen durchgemacht hatten und die nun in der Gefahr standen, im Glauben allmählich zu ermüden und zu erlahmen. Im Gottesdienst saßen diese Christen nun zusammen, als ihnen dieser Brief vorgelesen wurde, und was sie dort zu hören bekamen, schien erst einmal so überhaupt nicht zu der Realität zu passen, die sie als Christen ansonsten tagtäglich erfuhren: Nicht von ihren Sorgen und Nöten und Bedrängnissen ist hier in diesen Versen die Rede, sondern davon, dass sie, die Christen, allen Ernstes schon am Ziel ihres Weges als Christen angekommen sind: „Ihr seid gekommen zu dem Berg Zion und zu der Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem“, so heißt es hier.
Und das gilt nun nicht bloß für die Christen damals vor gut 1900 Jahren in Italien; das gilt genauso für uns heute Abend hier in Zehlendorf. Als ihr eben durch die Kirchentür gekommen seid, da seid ihr gleichsam auch, wie in dem Kinofilm, durch eine Schranktür hindurchgegangen. Scheinbar war es nur ein kleiner Schritt; doch in Wirklichkeit seid ihr nun in eine andere Welt eingetreten, in eine Welt, in der all das zurückbleiben darf, was euch sonst bedrückt und belastet, in eine Welt, in der ihr jetzt schon, obwohl ihr immer noch unterwegs seid, doch zugleich schon das Ziel erreicht habt. „Ihr seid gekommen zu dem Berg Zion und zu der Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem“. Genau das geschieht hier und jetzt, in diesem Augenblick, mit euch: Ihr seid angekommen im himmlischen Jerusalem. Nein, das liegt nicht erst irgendwo ganz fern in der Zukunft, sondern das ist hier und jetzt gegenwärtig, weil der in unserer Mitte gegenwärtig ist, der dieses himmlische Jerusalem zur Stadt des lebendigen Gottes macht, er, Jesus Christus. Ja, ihr seid eben in den Himmel eingetreten; ihr seid gekommen zu den vielen tausend Engeln, so formuliert es der Hebräerbrief hier. Ja, es mag auf den ersten Blick so erscheinen, als sei unsere Kirche heute Abend halbleer. Nein, das stimmt nicht; wir haben heute Abend Zehntausende von Gottesdienstteilnehmern: Zehntausende von Engeln feiern diesen Gottesdienst mit, umgeben euch, umgeben uns hier und jetzt. Und es sind nicht allein die Engel. Wir sind hier und jetzt hineingeraten in eine unüberschaubar große Festversammlung, an der all diejenigen teilhaben, die uns schon im Glauben vorangegangen sind. Ja, auch sie feiern hier und jetzt mit, sind mit dabei, weil auch sie dort sind, wo Christus ist. Und Christus ist hier, spricht zu uns in seinem Wort, gibt uns Anteil an seinem Leib und Blut, ja, an diesem Blut, das uns nicht anklagt, wie Abels Blut damals den Kain anklagte, sondern das uns im Gegenteil freispricht, uns als solche vor Gott, dem Richter über alle, dastehen lässt, an denen er, der Richter, nichts auszusetzen hat, weil das Blut Christi alles gesühnt hat, was uns von ihm, Gott, trennen könnte.
Ja, ihr seid heute Abend bereits in den Himmel gekommen, werdet gleich mitsingen im Chor der Engel und aller Heiligen, wenn ihr das „Heilig, heilig“ anstimmen werdet, werdet erfahren, wie ihr Raum und Zeit überbrückt und Anteil gewinnt an dem, was Christus damals vor fast 2000 Jahren für uns getan hat, damit wir mit dabei sein dürfen bei diesem Fest, in das wir nun eingetreten sind.
Ja, ihr seid schon am Ziel, ihr seid schon im Himmel. Das ist richtig. Doch noch müsst ihr am Ende dieses Gottesdienstes wieder aus dem Kleiderschrank heraus, müsst wieder zurück in diese alte Welt, in der ihr auf dem Weg zum Ziel immer noch unterwegs seid, in der es so vieles gibt, was euch davon abhalten kann, diesen Weg zum Ziel weiterzugehen.
Genau darum ging es auch damals schon dem Verfasser des Hebräerbriefes in seinem Schreiben an die Christen in Italien: Wenn er ihnen deutlich macht, wo sie da gerade im Gottesdienst gelandet sind, dann schreibt er ihnen das nicht deshalb, um bei ihnen ein schönes Gefühl hervorzurufen, um bei ihnen einen Schauer über den Rücken herunterlaufen zu lassen. Sondern er macht ihnen deutlich, wo sie da gerade im Gottesdienst gelandet sind, damit ihnen klar wird, was für ein Wahnsinn es wäre, sich im Weiteren im Alltag, auf dem Weg zum Ziel, auszuklinken, nicht mehr zu diesen Gottesdiensten zurückzukehren, nicht mehr ernst zu nehmen, was dort in Wirklichkeit geschieht. Mit den Worten des Hebräerbriefes selber: „Seht zu, dass ihr den nicht abweist, der da redet. Denn wenn jene nicht entronnen sind, die den abwiesen, der auf Erden redete, wie viel weniger werden wir entrinnen, wenn wir den abweisen, der vom Himmel redet.“ Ja, auch wenn es nach der Stimme des Pastors klingt: In Wirklichkeit ist es Gott selber, der vom Himmel zu uns redet hier im Gottesdienst. Wenn der Pastor zu dir sagt: „Dir sind deine Sünden vergeben“, dann ist es Gott, der dies vom Himmel herab direkt zu dir spricht. Wenn der Pastor die Einsetzungsworte Christi singt oder spricht, dann ist es Christus selber, der in diesem Augenblick seine wirkmächtigen Worte laut werden lässt. Und nichts Anderes gilt auch jetzt für diese Predigt. Nein, es geht hier nicht um mehr oder weniger gute Unterhaltung: Ihr begegnet hier und jetzt gerade dem lebendigen Gott, der nun gerade in euer Leben hineinspricht. Und wem das aufgeht, der erkennt auch, was für ein Wahnsinn es wäre, anschließend mit diesem Gott nichts mehr zu tun haben zu wollen, auf die künftige Begegnung mit ihm hier zu verzichten, andere Termine für wichtiger zu halten als die, bei denen wir immer neu gleichsam durch den Schrank in Gottes Welt eintreten. Ja, unser Heil würden wir aufs Spiel setzen, wenn wir uns von ihm, Christus, lossagen würden, wenn er uns gleichgültig würde, wenn wir unser Leben jemals ohne ihn führen würden.
Ja, ein Wahnsinn wäre es, von dem Ziel, das wir jetzt und hier schon erreicht haben, wieder wegzulaufen, solch ein Wahnsinn wäre das, dass einem eigentlich die Worte fehlen, dies angemessen zu beschreiben. Vergesst es darum nicht, was geschieht, wenn ihr hier durch die Kirchentür eintretet: „Ihr seid gekommen zu dem Berg Zion und zu der Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem.“ Ja, vergesst das nicht, bis ihr schließlich genau dies auch sehen werdet, was ihr jetzt nur hören könnt und was darum doch nicht weniger real ist. Vergesst es nicht, wo ihr hier seid, bis ihr ihn selber schauen werdet – ihn, der einmal auch alle Tränen von euren Augen endgültig abwischen wird. Amen.