06.12.2009 | St. Jakobus 5, 7-8 (2. Sonntag im Advent)

ZWEITER SONNTAG IM ADVENT – 6. DEZEMBER 2009 – PREDIGT ÜBER ST. JAKOBUS 5,7-8

So seid nun geduldig, liebe Brüder, bis zum Kommen des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen. Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe.

Es ist Mittwochmorgen – höchste Zeit für mich, endlich die Predigt für Sonntag zu schreiben. Vorher will ich noch kurz eine telefonische Bestellung vornehmen. Ich rufe an; doch statt des erhofften Gesprächspartners erwartet mich am anderen Ende der Leitung nur eine Endlosschleife mit klassischer Musik, von Zeit zu Zeit unterbrochen von dem ermutigenden Hinweis: „Please hold the line!“, also der freundlichen Aufforderung, nicht aufzulegen, sondern mich weiter bedudeln zu lassen. Und dabei fällt mein Blick nun schon einmal auf die Predigtlesung dieses Sonntags: „So seid nun geduldig bis zum Kommen des Herrn!“ Nein, so geduldig bin ich jetzt am Telefon nicht, will es auch nicht sein. Ich habe keine Lust, bis zum Kommen des Herrn geduldig darauf zu warten, dass ich endlich meine telefonische Bestellung loswerden kann, zumal die sich spätestens dann ohnehin erübrigen würde, und so lege ich schließlich leicht entnervt auf. Ich habe auch keine Lust, bis zum Kommen des Herrn auf der Stadtautobahn geduldig im Stau zu stehen oder bis zum Jüngsten Tag auf einen Gesprächspartner zu warten, mit dem ich mich zu einem bestimmten Termin verabredet hatte.
Was sollen also diese Worte aus dem Jakobusbrief, die wir eben gehört haben? Sind sie letztlich nur eine billige Vertröstung, eine gut gemeinte, aber letztlich nicht fürchterlich hilfreiche Durchhalteparole? Oder sollen diese Worte einfach unserem psychischen und körperlichen Wohlbefinden dienen: „Reg dich nicht auf; es lässt sich ja sowieso nichts ändern. Also reg dich ab, sonst bekommst du noch einen Herzinfarkt!“ Ja, könnten wir beim Thema „Geduld“ nicht die eine oder andere Anleihe beim Buddhismus machen, in dem die Geduld ja auch als eine wichtige Geisteshaltung eingeübt wird? Ja, täte es mir vielleicht doch ganz gut, mir glücklich lächelnd wie der Dalai Lama am Telefon zum 93. Mal „Please hold the line“ anzuhören oder mich in einem Zustand tiefsten Seelenfriedens im Stau über die Stadtautobahn meterweise vorwärts zu bewegen?
Doch damit, Schwestern und Brüder, hätten wir noch überhaupt nicht erfasst, worum es St. Jakobus in der Epistel dieses Sonntags geht. Der betätigt sich hier nicht als Briefkastenonkel, der gibt uns hier auch keine moralischen Anweisungen. Sondern um zu erfassen, was St. Jakobus hier mit seiner Aufforderung zur Geduld eigentlich meint, müssen wir uns die Worte unserer heutigen Predigtlesung noch einmal genauer anschauen. Dann werden wir feststellen, wie aktuell und hilfreich sie sind

- für unser Leben in der Gesellschaft
- für unser Leben in der Gemeinde
- für die Ausrichtung unseres Lebens insgesamt

I.

Um recht verstehen zu können, worum es St. Jakobus hier geht, müssen wir auf die Verse blicken, die unserer Predigtlesung unmittelbar vorangehen. Da knöpft sich Jakobus nämlich die Reichen vor und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund: „Siehe, der Lohn der Arbeiter, die euer Land abgeerntet haben, den ihr ihnen vorenthalten habt, der schreit, und das Rufen der Schnitter ist gekommen vor die Ohren des Herrn Zebaoth. Ihr habt geschlemmt auf Erden und geprasst und eure Herzen gemästet am Schlachttag.“ Ja, eine Riesensauerei ist das in den Augen des Jakobus, wenn die Reichen den Armen ihren gerechten Lohn vorenthalten, wenn sie ihr Geld im Luxus verprassen, während die Armen kaum genug zu essen haben. Ja, das sollen gerade auch die Christen wissen.
Doch was für Schlussfolgerungen zieht Jakobus nun aus dieser Situationsbeschreibung? Nein, er ruft nicht die Revolution aus, er fängt nicht an, die Utopie einer klassenlosen Gesellschaft zu träumen, er macht sich nicht daran, das Paradies auf Erden, vielleicht sogar unter christlichem Vorzeichen, zu verwirklichen. Sondern er schreibt gerade den Armen in der Gemeinde: „So seid nun geduldig bis zum Kommen des Herrn.“ Nein, das heißt nicht, dass Unrecht, dass gerade auch soziale Ungerechtigkeit nicht beim Namen genannt werden darf, dass diejenigen, die dafür verantwortlich sind, nicht auch zur Umkehr gerufen werden sollen und müssen. Aber was St. Jakobus schreibt, heißt in der Tat: Bis zum Kommen des Herrn wird es hier auf Erden niemals eine ideale, klassenlose Gesellschaft geben, werden alle Versuche scheitern, hier auf Erden ein Paradies zu schaffen und gesellschaftliche Utopien zu verwirklichen. Dies ist von daher einer der entscheidenden Gründe, weshalb der Versuch eines Aufbaus einer kommunistischen Gesellschaft in der DDR oder in der Sowjetunion gescheitert ist: Dieser Versuch war ein Ausdruck von Ungeduld, ein vergeblicher Versuch, jetzt schon zu verwirklichen, was doch erst Christus selber bei seinem Kommen zu verwirklichen vermag.
„So seid nun geduldig bis zum Kommen des Herrn!“ – Nein, das ist keine billige Vertröstung, kein taktisches Manöver, um die Ungerechtigkeiten dieser Welt und unserer Gesellschaft zu verharmlosen. Der Tag des Herrn, er ist keine Erfindung derer, die wollen, dass alles in dieser Welt so bleibt, wie es ist. Er ist Realität, kommt noch gewisser als die Frucht, die auf einem Acker wächst, wenn der Same ausgesät ist und der Regen gefallen ist. Gott wird sich nicht für immer mit der Ungerechtigkeit, die in dieser Welt herrscht, abfinden, wird selber Gerechtigkeit schaffen und die zur Verantwortung ziehen, die ihr Herz vor den Nöten der Armen verschlossen hatten. In dieser Gewissheit dürfen wir uns als Christen jetzt schon in dieser Welt einsetzen für die, die unsere Hilfe und Unterstützung nötig haben, eben weil wir uns dabei nicht übernehmen und versuchen, eine neue Welt zu schaffen – und dann am Ende resigniert aufgeben, wenn wir merken, dass wir an dieser Aufgabe scheitern. Nein, gerade weil wir wissen, dass am Ende, am Tag des Herrn, Gott selber Gerechtigkeit schaffen wird, dürfen wir uns mit leidenschaftlicher Geduld den Nöten anderer Menschen zuwenden. „Seid geduldig“ heißt eben gerade nicht: Gebt auf, kümmert euch nicht um das, was in dieser Welt geschieht, schaut einfach nur zu! Sondern St. Jakobus meint hier ein leidenschaftliches, gerade nicht gleichgültiges Warten auf die Gerechtigkeit, die Gott schaffen wird, ein leidenschaftliches Warten, das darum weiß, dass wir jetzt in einer Zwischenzeit leben bis zum Tag des Herrn, und das gerade darum zu tun versucht, was in dieser Zwischenzeit möglich und machbar ist. Ja, zu solcher leidenschaftlicher Geduld leitet uns St. Jakobus hier an, entlastet und ermutigt uns. Es geht ihm in der Tat um mehr als bloß um unseren Seelenfrieden.

II.

Hilfreich, ermutigend, tröstend ist das, was St. Jakobus hier schreibt, auch im Hinblick auf das Leben in unserer Gemeinde:
Das griechische Wort, das Jakobus hier für „Geduld“ gebraucht, beschreibt eigentlich zunächst einmal einen Wesenszug Gottes: Er ist geduldig, hat einen langen Atem mit uns, gibt uns nicht gleich auf, lässt uns noch Zeit. Und eben darum wartet er auch noch mit seinem Letzten Tag, mit dem Tag des Kommens des Herrn, um Menschen noch Zeit einzuräumen, dass sie umkehren und sich ihr Verhältnis zu ihm, Gott, in Ordnung bringen lassen.
An dieser Geduld unseres Gottes, Schwestern und Brüder, hängt unser ganzes Heil, hängt unsere Rettung. Wie viel Grund hätte Gott schon dazu gehabt, mit uns ungeduldig zu sein, uns aufzugeben, die Brocken hinzuschmeißen, weil sich bei uns ja doch nichts mehr ändert, weil wir doch immer wieder ihm gegenüber schuldig werden, weil wir es einfach nicht schaffen, von Sünden loszukommen, die uns immer wieder von ihm, unserem Gott, trennen! Doch er macht es nicht, gibt uns nicht auf, verdammt uns nicht. Immer und immer wieder wartet er hier auf uns, dass wir zu ihm kommen, an seinen Altar, um wieder von neuem seine Vergebung zu empfangen, und dann vergibt er uns noch einmal und noch einmal und noch einmal, ja, immer wieder dieselben Lieblingssünden, immer wieder dasselbe Versagen vor seinen Geboten. Ja, Gott wartet auf uns. Und er wartet auch auf den Jugendlichen, der nach seiner Konfirmation seine eigenen Wege gegangen ist, sich so weit von Gott entfernt hat, dass wir vielleicht schon alle Hoffnung aufgegeben haben, dass der noch mal seinen Weg zu Gott zurückfinden könnte. Doch Gott gibt ihn nicht auf, wartet und wartet, hat mit ihm immer noch Geduld. Und er wartet auch auf den älteren Menschen, der nun jahrzehntelang schon keine Kirche mehr von innen gesehen hat, den man doch eigentlich längst aus der Gemeindekartei hätte streichen müssen. Doch Gott nimmt ihn aus seiner Kartei nicht heraus; dieser Mensch bleibt doch sein Kind, auch wenn der selber davon vielleicht kaum noch etwas weiß. Und Gott wartet auch noch auf die Menschen, die noch gar nicht getauft sind, die immer noch ganz fern von ihm leben, die ihn auch nicht vermissen, weil sie ihn noch nie kennengelernt hatten. Ja, auch mit ihnen hat er noch Geduld.
Und von dieser Geduld unseres Gottes sollen und dürfen nun auch wir uns eine Scheibe abschneiden, so macht es uns St. Jakobus hier deutlich. Wenn Gott einen Menschen nicht aufgibt, mit ihm immer noch Geduld hat – wie sollten wir ihn da abschreiben, aufgeben, fallen lassen? Ja, seid geduldig bis zum Kommen des Herrn. Bis der Herr kommt, bis das Leben eines Menschen endgültig an sein Ende gekommen ist, ist es nicht zu spät, ist noch Zeit, sollen wir diese Zeit nutzen, ja, geduldig nutzen, im Gebet für diese Menschen eintreten und Gott bitten, dass er uns die rechte Zeit zeigen möge, um auch diese Menschen zu erreichen, die wir innerlich vielleicht schon aufgegeben haben. Wie eine Pflanze auf dem Feld Zeit braucht zu wachsen und zu reifen, wie man diesem Wachstum nur sehr begrenzt nachhelfen kann, so können wir auch, was den Glauben bei anderen Menschen angeht, nichts erzwingen. Warten können wir nur wie der Bauer, der darum weiß, dass Säen und Begießen der Pflanzen am Ende doch nicht umsonst waren. Ja, genau zu solchem geduldigen Warten soll uns die Erfahrung der göttlichen Geduld helfen, die wir hier im Gottesdienst immer wieder machen können!

III.

Aber nun betreffen die Worte des heiligen Jakobus nicht bloß allgemein unsere Gesellschaft oder unser Leben in der Gemeinde. Sie sprechen auch ganz direkt in unser Leben hinein.
„Seid geduldig“ – Diese Aufforderung setzt ja voraus, dass es da überhaupt etwas gibt, worauf wir in unserem Leben warten, dass es ein Ziel gibt, woran wir unser Leben ausrichten, ja, wonach wir uns sehnen, ein Ziel, das weiter reicht als jeweils nur der aktuelle Terminkalender.
Und genau das ist ja ein Problem unserer heutigen Zeit, die auch unser Leben prägt und bestimmt: Wir können einfach nicht mehr warten. „Ich will Genuss sofort“ – dieser bekannte Werbeslogan bringt diese Einstellung auf den Punkt. Und so hoppen die einen von einem Kurzgenuss zum nächsten in unserer Spaßgesellschaft, während so viele andere einfach nur noch so vor sich dahinleben, eigentlich gar keine Ziele mehr für ihr Leben haben, genügend damit beschäftigt sind, irgendwie mit ihrem alltäglichen Leben klarzukommen. Entsprechend bieder fallen dann auch die Hoffnungen aus, die Menschen sich für ihr Leben machen: Sie reichen oft nicht sehr viel weiter als bis zum kleinen privaten Glück, das man sich wünscht und zu verwirklichen versucht.
„Seid geduldig“, ruft uns dagegen St. Jakobus zu. Und das heißt ja: Es gibt da ein Ziel, auf das zu warten sich wirklich lohnt. Es gibt da ein Ziel, das so wunderbar, so großartig ist, dass es gut und sinnvoll ist, dafür auch Unannehmlichkeiten und Verzicht in Kauf zu nehmen, nur um dieses Ziel nicht zu verpassen. Es gibt da ein Ziel, das so wichtig ist, dass es gut ist, wenn wir all das, was wir so in unserem Alltag tun, von der Ausrichtung auf dieses Ziel bestimmen lassen.
Ja, ihr geht Christus entgegen, so ruft es Jakobus den Christen damals, so ruft er es auch uns zu. Macht euch das doch mal klar, was das heißt: Der Tag wird kommen, an dem einmal überhaupt keine Rolle mehr spielen wird, was für Noten du in der Schule gehabt hast. Der Tag wird kommen, an dem einmal überhaupt keine Rolle mehr spielen wird, wie viel Geld du in deinem Leben verdient hast, welchen Beruf du gehabt hast, ob du es geschafft hast, dir ein Häuschen zu bauen oder nicht. Der Tag wird kommen, an dem einmal überhaupt keine Rolle mehr spielen wird, was andere Menschen über dich gedacht haben, weil auch diese Menschen dann einmal nicht mehr als Richter dastehen werden, sondern selber nach ihrem Leben gefragt werden wie du auch. Ja, der Tag wird kommen, an dem Christus selber dich einmal in seine Arme schließen wird, alle Tränen von deinen Augen abwischen wird; ja, der Tag wird kommen, an dem einmal alles Unrecht endgültig vergangen sein wird, das dich jetzt noch so bedrückt und dir weh tut.
Ja, dieser Tag wird kommen, ganz gewiss; davon darfst du noch viel fester ausgehen als davon, dass in neunzehn Tagen voraussichtlich Weihnachten sein wird. Und darum seid geduldig: Findet die Erfüllung eures Leben nicht einfach bloß in dem, was ihr jetzt macht, erlebt oder gar kauft. Sondern bereitet euch immer wieder von neuem auf diesen großen Tag vor, auf die Begegnung mit eurem Herrn Jesus Christus. Seid als Christen wartende Menschen, Menschen, die sich eben darum auch nicht einfach mit allem in dieser Welt abfinden, weil sie wissen, dass alles, was wir Menschen jetzt tun, immer nur vorläufig und nie endgültig sein kann. Seid darum leidenschaftlich geduldig, bittet den Herrn täglich neu um sein Kommen, ja, warum nicht auch im Verkehrsstau oder beim Hängen in der Telefonschleife? Bittet ihn um sein Kommen, und bittet ihn zugleich doch auch immer wieder um Geduld – mit euch selber und mit allen, die seine Geduld so dringend nötig haben. Ja, seid leidenschaftlich geduldig, hört nicht auf zu warten auf ihn, euren Herrn. Keiner von euch wird vergeblich warten; bei euch allen wird sich dieses Warten lohnen – noch viel mehr, als ihr es jetzt auch nur ahnen könnt. Alles andere in unserem Leben wird vergehen; doch unser Herr kommt. Amen.